Aschenbrödel © Marie-Laure Briane
Vorsicht beim Suchen des Ausgangs nach der Vorstellung. Glücksbetrunkene Tanzversuche zu unternehmen, kann zu körperlichem Fremdkontakt führen.
Aschenbrödel
Ballettmärchen
Musik von Johann Strauss (Sohn)
Dirigat Eduardo Browne
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Choreografie Karl Alfred Schreiner
Bühne Kaspar Glarner, Simon Schabert
Kostüme Bregje van Balen
Licht Peter Hörtner, Karl Alfred Schreiner
Video Christian Gasteiger
Dramaturgie Karin Bohnert
Staatstheater am Gärtnerplatz, München, 20. November 2025 PREMIERE
von Frank Heublein
An diesem Abend wird im Staatstheater am Gärtnerplatz das Ballett Aschenbrödel mit der Musik von Johann Strauss (Sohn) aufgeführt. Pünktlich zum 200. Geburtstag des Komponisten.
Dahinter steckt eine echte Wiener Gschichtn. Denn der Maestro ließ sich lange bitten. Ein Librettowettbewerb musste her. Der startete am 5. März 1898. Unter anderem arbeitete sich der in der Jury sitzende werte Herr Direktor des k.u.k. Hof-Operntheaters Gustav Mahler durch 718 Vorschläge (u.a. Rübezahl, Peter Schlemihl, Odysseus). „Als Curiosum sei erwähnt, dass ein Textbuch […] ausschließlich Flöhe als handelnde »Personen« bringt.“ So – äußerst aufschlussreich – das Illustrierte Wiener Extrablatt am 4. November 1898. Voll der Schmäh. Es wurde der Märchenhit Aschenbrödel.
Weil der Tod bekanntlich ein Wiener ist, funkt er in diesem Fall dazwischen. Johann Strauss stirbt vor Vollendung. Gattin Adele beauftragt den Ballettdirigenten der Hofoper Josef Bayer, die Komposition aufführungsreif zu machen. Karl Alfred Schreiner schlägt dem Tod, nein!, natürlich nur dem Herrn Bayer ein Schnäppchen und verwendet kongenial drei zusätzliche Strauss Kompositionen.

Soviel der Vorrede. Einen Piccolo brauchen Sie für die Aufführung nicht, die allein macht glückstrunken genug. Und das ohne Champagner-Arie. Schauen Sie sich es einfach an. Fassen Sie diesen Entschluss, dann lesen Sie nicht weiter.
Der Schuh ist quasi Synonym von Tinder in der Vor-Tinder-Zeit. Matcht es oder nicht? Strauss’ Musik, seine Polkas, seine Walzer, seine ungarischen Galoppe sind im ersten Teil keineswegs immer nur heiter. Doch jederzeit schwungvoll lässt das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz die Musik an diesen Abend unter dem das Tempo sensibel und bedacht einsetzenden Dirigenten Eduardo Browne erklingen. Im zweiten Teil dann prasselt sprudelnd Schwung, Wohlgehfühl, andächtige Liebe und ausgelassenes Glück aus der Musik.

Die Stiefschwestern tanzen, Wahnsinn! Wie gemein sind die denn gegen Aschenbrödel! Was sie mit dem Prinzen so alles anstellen. Schleimig! Die Stiefmama Aschenbrödels tanzt fies schlangenartig, wenn es um Aschenbrödel geht oder den Hauslehrer. Natürlich unterschiedlich in der Intention. Uuuh. Tollpatschig tanzende Waschbären save Aschenbrödels day, besser: ihren ersten (und zweiten) Ballauftritt. Kongenialer Musikeinschub die erste: zur Pizzicato-Polka nähen die Waschbären Aschenbrödels Kleid. Toll! Auf dem Ball dann Hörner, die die aufkeimende Liebe des Prinzen mit Aschenbrödel ankündigen. Die Geigen schmachten andächtig. Das paar ertanzt sich die Liebe graziös.
Der König, ja wie soll ich sagen, das mit dem Schuhsuchen übertreibt er. Aber hallo! Das Publikum bringt es zum Lachen. Die Schuh-passend-zur-Frau-Suche ist eine höchst unterhaltsame mehrteilige Szene – die zweite eingeschobene Musik Ritter Pásmán aus den Csárdás, jedenfalls meine ich, das zu hören. Großartig. Der Prinz verzehrend. Das Ensemble mit angezogenen Schuhen an der Hand, plötzlich regnet es Schuhe, der König tanzt mit – dem falschen – Schuh in der Hand tanz-reitend quer über die Bühne. Süffisant. Am Ende dann, juhu! der Prinz hat Aschenbrödel gefunden. Der Magenta farbene Neonschuh passt, sitzt, hat Luft! Die Tiere – die Lamas hätte ich so jetzt nicht erkannt, Wildschwein, Eichhörnchen, Waschbären und Flamingos – tanzen vor Freude. Und dann, wie schön!: das Programmheft sagt Leuchtkäfer dazu: das Ensemble ist mit leuchtenden Strängen umgarnt. Tanzt und erzeugt in mir damit das Gefühl die-Liebe-liegt-in-der-Luft-und-auch-überall-sonst.

Gegen Ende zeigt Karl-Alfred Schreiner Sinn fürs dramatisch Punktierte. Denn für den großen Pas de deux der Aufführung von Aschenbrödel und dem Prinzen fügt er die Romanze Nummer zwei für Cello und Orchester ein. Mein Herz schmilzt. Tolle Hebefiguren. Zärtlich zugewandt und elegant getanzt. Liebe! Ich verdrück ein, zwei Tränchen. Danach dann Eierkuchen. Alle haben alle lieb. Und Schluss!
Das heutige Tanzen ist so wie Alfred Schreiner im Programmheft sagt: „Wir Künstlerinnen und Künstler tragen die Fackel der Tradition weiter“. Tradition also, aber ohne Ballettschuh. Aschenbrödel tanzt weich, zart, Menschen und Waschbären zugewandt. Der Prinz, ist ein Scheißjob, das wissen Sie nachher, siehe unten, hat Glück mit seinem Hauslehrer. Der nimmt es nicht sooo genau. Die Figur erfindet Alfred Schreiner. Passt! Insgesamt empfinde ich den Tanz heute elegant, fließend, ausdrucksstark.
Kaspar Glarner und Simon Schabert haben kluge Bühnenideen. Vorhang links: Prinzengemach. Vorhang rechts: Aschenbrödels Zuhause. Vorhang weg: Ballsaal. Einfache Idee, funktionaler Schick. Die tollen Einfälle lassen die Handlung fließen. Das Konzept überzeugt mich.
Interessant ist auch das dickere Programmheft, ich empfehle den Kauf. Darin lesen Sie: woher kommt eigentlich das Wort Aschenbrödel? Wie alt ist die Geschichte dieser jungen Lady mit fieser Stiefmutter? Viel älter als Sie denken! Sie kommt aus China und ist über tausend Jahre alt! Prinz zu sein, heißt sechs-Tage-dreizehn-Stunden-am-Tag-Woche. Jedenfalls bei Ludwig II. sagt uns 1859 das die „Tagesordnung für den Kronprinzen“, seeehr anstrengend also.

Dieses Aschenbrödel makes someone – in diesem Fall: me – happy. Nicht nur mich. In dieser Geschichte haben sich am Ende auf der Bühne alle lieb. Läuft mir rein heute. Super. Nehm’ ich. Nach dem Ende hat das gesamte Publikum das ganze Ensemble, den Dirigenten, die Kreativen wirklich, aufrichtig und ausgiebig lieb. Klatschen. Begeisterungsrufe. Viele Vorhänge.
Vorsicht beim Suchen des Ausgangs nach der Vorstellung. Glücksbetrunkene Tanzversuche zu unternehmen, kann zu körperlichem Fremdkontakt führen. Nach Heute „Schuh gut, alles gut“ drückt mir das Personal in die Hand: demnächst in diesem Haus „Gluck Gluck ins Glück“ (aka der Liebestrank von Donizetti). Oder nochmal dieser Glücksbrödeltanzabend. Hicks!
Frank Heublein, 21. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at