Hamburg: Komponiert wird mal wieder für die Schublade

NDR Elbphilharmonie Orchester, Peter Rundel, Dirigent  Elbphilharmonie Hamburg, 20. November 2025

Peter Rundel © Astrid Ackermann

Mit drei äußerst abwechslungsreichen Werken begeisterte das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Peter Rundel für diese facettenreiche Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, eine Uraufführung war auch dabei. Ein zweites Mal hätte man dieses Programm ruhig auf den Spielplan setzten können…  

Elbphilharmonie Hamburg, 20. November 2025

NDR Elbphilharmonie Orchester
Peter Rundel, Dirigent

Gan-Ya Ben-Gur Akselrod, Sopran
Sophia Burgos, Sopran

Werke von Hèctor Parra, Bohuslav Martinů und Gérard Grisey

von Johannes Karl Fischer

Während viele Hamburger sich darüber aufregen, wie furchtbar schwer es sei, an Karten für ihre geliebte Elbphilharmonie zu kommen, blieben an diesem Abend einige Reihen und Ränge mindestens mal halbleer. Und das, obwohl dieses Konzertprogramm kein einziges Mal wiederholt wird, alles erstmal für die Schublade also. Pünktlich angefangen wurde übrigens auch nicht, denn kaum waren die Saaltüren geschlossen, begann vor allem aus den oberen Rängen ein großes Umsetzen. Soweit das Negative.

Eine gänzlich andere Bilanz als die peinliche Auslastung – bei zeitgenössischer Musik im Moment leider keine Ausnahme – bot allerdings die musikalische Darbietung des Abends. Uraufführungen per se sind immer spannend, wer wäre nicht gerne beim Skandalkonzert 1913 im Musikverein gewesen? Und die ersten drei Stücke von Hèctor Parras „Constellations“ für Orchester waren hierbei keine Ausnahme – die letzten beiden wurden bereits im April in Barcelona uraufgeführt.

Den extrem energetischen, an einigen Stellen wie musikalische Orkanböen durch den Saal fegenden Klang schmückte das Orchester unter der Leitung von Peter Rundel mit den facettenreichen Klangfarben ihrer Instrumente. Als würden die Farben der Miró-Bilder aus ihren Bilderrahmen ausbrechen und ein surrealistisches Kunstwerk auf die Ränge zeichnen. Insbesondere Solo-Oboist Kalev Kuljus setzte die leicht quietschigen, doch strahlenden Töne seines Instruments wunderbar klangvoll zwischen das teils peitschende Schlagwerk. Vor allem der Komponist hätte ein wenig mehr als einen dezenten Applaus mit ein paar versteckten Bravo-Rufen verdient.

Gan-Ya Ben-Gur Akselrod © Stefan Panfili

Mit Bohuslav Martinůs „Les Fresques de Piero della Francesca“ eher war auch etwas für tonal gestimmte Ohren auf dem Programm. Auch dieses Werk basierte auf Gemälden, genauer gesagt den Fresken von Piero della Francesca. Im Gegensatz zu Herrn Parras nahezu überwältigenden Orchesterstürmen flossen hier die musikalischen Farben wie Aquarelle von den Saiten, ein sehr wohltuender und ebenso exzellenter Ausgleich für die musikalisch zuvor sehr geforderten Ohren. Die Akkorde schwebten sanft und schwerelos von der Bühne, als würde man hier zwischen den Klangwolken an musikalisch streichelnden Klarinetten und Flöten die Seele baumeln lassen.

Nach der Pause ging es mit Gerard Griseys „L’icône paradoxale“ wieder etwas ernster zur Sache. Schon der Anblick des Orchesterapparats hätte nicht spektakulärer sein können, völlig kreuz in quer auf der Bühne verteilt saßen die Musiker. Die Streicher bis auf die Bläserpodeste, dafür durfte der Solo-Hornist auch mal in der ersten Reihe sitzen, während die meterhohe Partitur kaum noch auf das Dirigentenpult passte. Mit fast schon grotesken, leicht schrillen Klängen beleuchtete diese als „Hommage an Piero della Francesca“ untertitelte Musik eine gänzlich andere Seite der gleichen Malerei als Martinů.

Sophia Burgos © Kate Lemmon

Insbesondere die beiden Sopranistinnen Gan-Ya Ben-Gur Akselrod und Sophia Burgos ließen die Noten ihrer Stimmen immer wieder effektvoll durch den Saal fliegen. Der lautstärkemäßig gar nicht so fordernde Orchesterklang hielt einen mit spannenden Harmonien packend in Atem, stets wollte man mit Neugier auf die nächste Seite der Partitur blicken. Leider verließen von den ohnehin nicht sehr zahlreich anwesenden Gästen einige vorzeitig den Saal – hat ihnen etwa diese sehr kritische Auffassung der mittelalterlichen Malerei nicht gefallen?

Dieser äußerst abwechslungsreiche und musikalisch spannende Abend hätte auf jeden Fall ein paar mehr Besucher verdient!

Johannes Karl Fischer, 21. November 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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