Kathartisch, berührend, gut: Tristan und Isolde begeistern an der Deutschen Oper Berlin

Richard Wagner, Tristan und Isolde  Deutsche Oper Berlin, 23. November 2025

TRISTAN UND ISOLDE, Premiere am 1. November 2025 in der Deutschen Oper Berlin © Bernd Uhlig

Ich wüsste, schrieb ich einem Freund nach dem Besuch des neuen Tristan an der Deutschen Oper Berlin, grad nichts, das wichtiger sein könnte als Musik. Vielleicht, weil das Heulen dann einmal nicht verzweifelt sei, sondern kathartisch. Dass mich Michael Thalheimers abstrakte neue Inszenierung so sehr bewegte, lag außer an der hohen musikalischen Qualität der Aufführung wahrscheinlich eben an der weitgehend leeren Bühne und der vorzüglichen Personenregie.

Richard Wagner
Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen (1865)
Deutsche Oper Berlin, 23. November 2025

Musikalische Leitung   Sir Donald Runnicles

Inszenierung   Michael Thalheimer
Bühne   Henrik Ahr
Kostüme   Michaela Barth
Chor   Jeremy Bines

Tristan   Clay Hilley
König Marke   Georg Zeppenfeld
Isolde   Elisabeth Teige
Kurwenal   Thomas Lehman
Brangäne   Irene Roberts
Melot   Dean Murphy

Herrenchor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin

Englischhorn   Chloé Payot
Holztrompete   Thomas Schleicher

von Sandra Grohmann

Instrumentalsoli berühren in der Oper häufig besonders – so auch die „Alte Hirtenweise“ zu Beginn des dritten Aufzugs von Tristan und Isolde. Sie konzentriert Gegensätze in sich: Sehnsucht und Hoffnung ebenso wie Resignation und Einsamkeit, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Todesverlangen und das Warten auf die Geliebte – ja bald alle widersprüchlichen Regungen liebender Menschen. Wenn sich diese Melodie in die Seele der Zuhörer klagt wie an diesem Abend, öffnet das die Herzen weit.

Dazu tragen auch Clay Hilley als zuverlässiger Tristan – den wir allerdings schon (noch) strahlender erlebt haben – und vor allem die auch schauspielerisch unvergleichliche Elisabeth Teige bei, die gemeinsam die mit minimalistischem Bühnenbild, dafür aber umso ausgefeilterer Personenregie glänzende Inszenierung Michael Thalheimers tragen.

Um es gleich zu sagen: Ich bin hin und weg von dieser Einrichtung. Endlich mal wieder ein Tristan und überhaupt ein Wagner, der nicht unter einer Materialschlacht versinkt: Keine aufgesetzten Einfälle, keine Erklärungen, null Pädagogik. Das Werk für sich sprechen lassen und aus Libretto und Musik die Bezüge herauskitzeln: Lange nicht mehr habe ich Regiekunst so bewundert. Man kann den Tristan als große Lovestory verstehen. Aber auch, und das beweist Thalheimer hiermit, als eine Geschichte über die Idee einer übermächtigen, todessehnsüchtigen Liebe. Eine solche Idee nachvollziehbar auf eine abstrakt gehaltene Bühne zu bringen, ist schlicht ein Meisterwerk.

TRISTAN UND ISOLDE, Premiere am 1.11.2025 in der Deutschen Oper Berlin © Bernd Uhlig

Und das gelingt hier in eingängigen Bildern: Wie Isolde erst von Brangäne am Seil verschleppt wird und dann von oben herab herrisch Kurwenal befehligt. Wie der Liebestrank sich in Tristan und Isolde ausbreitet und die Beiden ihm erst nachspüren (das Orchester macht es hörbar) und dann einander musikalisch zum exakt richtigen Zeitpunkt mit veränderten Augen ansehen. Wie sie ihre Todessehnsucht miteinander zelebrieren (nicht schön anzuschauen, aber von der Anlage des Werks und der Inszenierung her schlüssig). Wie sich Machtverhältnisse in der sich hebenden und senkenden Bühne abbilden. Große Klasse. Wer Inszenierungen freilich auf das Bühnenbild reduziert, dem sei zugestanden: Das ist karg. Wenn man mich fragt: Zum Glück. Mehr als 160 Lampen und ein Seil braucht es nämlich nicht.

Das Ganze funktioniert allerdings nur mit einer Besetzung, die mindestens so gut sein muss wie die der Berliner Premiere, die auch heute – in der seitdem 4. Vorstellung – zu hören ist. Die Rollen sind alle ausgezeichnet besetzt, keine Stimme macht schlapp, trotz der mörderischen Partien, die insbesondere die Titelhelden zu bewältigen haben. Wir haben bereits Anderes erlebt, auch an diesem Haus.

Dass Elisabeth Teige nicht zu den ganz wenigen hochdramatischen Sopranen gehört, die unsere Zeit noch zu bieten hat, sondern die Stimme eher im jugendlich-dramatischen Charakterfach zu verorten sein dürfte, spiegelt sich darin, dass sie in den tieferen Lagen das Orchester nicht immer überstrahlt. Das stört angesichts der ansonsten enormen Kraft und des herrlichen Timbres ihrer Stimme sowie der ausdifferenzierten stimmlichen und darstellerischen Kraft ihrer Interpretation aber niemanden. Ich erinnere mich an eine Diskussion in diesem Blog, wo wir unterschiedlicher Meinung darüber waren, ob eine Hochdramatische hier die richtige Besetzung sei; ich meine das grundsätzlich immer noch. Der begeisterte Applaus, der Elisabeth Teige völlig berechtigt zuteil wird, zeigt aber deutlich, dass hier Spielraum besteht.

TRISTAN UND ISOLDE, Premiere am 1.11.2025 in der Deutschen Oper Berlin © Bernd Uhlig

Auch die Vorfreude auf die Nebenrollen, allen voran auf die als Brangäne seit langem bewährte Irene Roberts sowie Georg Zeppenfeld als sonoren König Marke und Ensemblemitglied Thomas Lehman als stimmlich seinem Herrn Tristan ebenbürtigen Kurwenal, erweist sich als vollständig begründet.

Getragen und zusammengehalten wird die Aufführung von Donald Runnicles, der das Orchester der Deutschen Oper Berlin im Vorspiel und zu Beginn des ersten Aufzugs für meinen Geschmack etwas zu sehr zurücknimmt und die Sänger mit verhaltenen Tempi auch noch zusätzlich fordert. Aber die filigrane Transparenz der lyrischen Passagen gibt ihm recht, und auch die großen dramatischen Momente überfallen das Ohr niemals mit übertriebener Lautstärke. Mit anderen Worten: Hier findet kein Wagner-Krach statt. Sondern Musik – und die gehört vielleicht sowieso, aber vor allem im Moment zum Wichtigsten auf der Welt. Karthatisch. Berührend. Und einfach gut.

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