Offenbachs unbekannte komische Oper “Robinson Crusoé” ist ein Werk für die einsame Insel

Jacques Offenbach (1819-1880), Robinson Crusoé  Théâtre des Champs-Elysées, Paris, 5. Dezember 2025

Rodolphe Briand, Julie Fuchs, Marc Mauillon, Sahy Ratia, Emma Fekete, Adèle Charvet © Vincent Pontet 

Der Dirigent Marc Minkowski und der Regisseur Laurent Pelly haben wieder zugeschlagen: Eine brillante Darbietung der leider viel zu selten gespielten “opéra comique” von Jacques Offenbach “Robinson Crusoé” erfreut das Publikum in diesen vorweihnachtlichen Tagen am Théâtre des Champs-Elysées in Paris. Eine köstliche Aufführung, zu deren Erfolg auch das perfekt besetzte Sängerensemble, das großartige Orchester “Les Musiciens du Louvre”, sowie der hervorragende Chor “accentus”  ihren jeweiligen großen Teil beitragen.

Jacques Offenbach (1819-1880)
ROBINSON CRUSOÉ

 Opéra comique in drei Akten  (Libretto von Eugène Cormon und Hector Crémieux)

Musikalische Leitung: Marc Minkowski

Inszenierung & Kostüme: Laurent Pelly
Bühne: Chantal Thomas 

Les Musiciens du Louvre                              accentus (Leitung: Louis Gal)

Théâtre des Champs-Elysées, Paris, 5. Dezember 2025

von Jean-Nico Schambourg

Jeder kennt die Geschichte von Robinson Crusoe und Freitag, 1719 geschrieben vom englischen Schriftsteller Daniel Defoe. Jacques Offenbach hat sie sich mit seinen Librettisten zurechtgelegt,  um daraus ein in seiner Produktion sehr spezielles Werk zu schaffen.

Robinson Crusoe will heraus aus seinem ihn einengenden bürgerlichen Zuhause. Er will die Welt entdecken, um reich zu werden wie der einstige Nachbar Jim Cocks. Auch die Liebe seiner Cousine Edwige kann ihn nicht abhalten einzuschiffen. Robinson ist schließlich auf einer fernen Insel gelandet, dorthin ausgesetzt von Piraten. Hier lebt er zusammen mit dem Eingeborenen Vendredi (Freitag) umgeben von einheimischen Kannibalen.

Nach einigen Jahren landet Edwige ebenfalls auf dieser Insel. Zusammen mit der Dienerin Suzanne und deren Freund Toby hat sie sich auf die Suche nach ihrem geliebten Robinson gemacht. Die drei Neugestrandeten werden von den Kannibalen gefangen genommen. Edwige soll im Feuertod mit dem Gott Saranha verheiratet werden. Suzanne und Toby sollen vom Koch des Stammes zum Festmahl verarbeitet werden. Dieser ist kein anderer als Jim Cocks. Durch das mutige Einschreiten von Vendredi werden die drei gerettet.

Vendredi hat die bewusstlos gewordenen Edwige in sein Zelt gebracht und sich gleich in sie verliebt. Als Robinson in ihr Zeltlager zurückkommt, erkennen sich die beiden Liebenden und fallen sich in die Arme. Vendredi sieht traurig ein, dass er keine Chance auf ein Glück mit Edwige hat. Zusammen mit Suzanne, Toby und Jim Cocks locken sie die anrückenden Piraten auf die Insel und klauen diesen ihr Boot, um in die zivilisierte Heimat zurückzusegeln.

“Robinson Crusoé” ist eine der drei sogenannten “opéras comiques”, die Jacques Offenbach geschrieben hat (neben “Fantasio” und “Barkouf”). Er verbindet dieses Genre hier allerdings mit denjenigen der Operette und “Féerie” (Zaubertraum). Schmissige Ensembleszenen wechseln sich mit ungewohnt lyrischen und dramatischen Passagen ab. Offenbach wollte zu Lebzeiten auch als Komponist seriöser Musik anerkannt werden. Am Anfang des Werkes erklingt die eher unbekannte Seite des Komponisten, bevor in den letzten Akten dann das musikalische Feuerwerk gezündet wird.

Adèle Charvet, Sahy Ratia © Vincent Pontet

Werke dieser Art “en demi-teinte”, halb komisch, aber auch halb sentimental gelten in der heutigen Zeit als überholt. Entweder muss es Komödie, Drama, Thriller oder Horror sein, aber keinesfalls eine Mischung von all diesem. Und dabei erst recht nicht auch noch rassistisch oder kolonialistisch!

Laurent Pelly umgeht alle inszenatorischen Fallen, indem er Robinson als Obdachloser in den Straßen einer amerikanischen Stadt zeigt. Vendredi, ein jugendlicher Latino ist sein Zeltnachbar. Jim Cocks erscheint als Chef eines Schnellimbisses, der unter anderem auch menschliche Körperteile zu Burgers verarbeitet. Sondheims Sweeney Todd lässt grüßen! Großes Halali im Zuschauersaal als der Chor der Kannibalen als Gruppe von Trump-Klonen auftaucht, brillant gesungen und geschauspielert vom Vokalensemble “accentus”.

Eine Insel gibt es trotzdem in der Inszenierung. Pelly hat sie sich für den ersten Akt ausgedacht  und zeigt das bürgerliche Wohnhaus der Familie Crusoe wie eine solche auf einer drehbaren Plattform Mitten auf der Bühne. Die kleine Insel des langweiligen spießigen Bürgertums!

Wie immer in seinen Inszenierungen kann man auch an diesem Abend verfolgen, wie genau  Laurent Pelly die schauspielerischen Abläufe an die Musik anpasst und nicht wie andere seiner Regiekollegen sich die Musik zurecht bastelt. Ein Meister seines Fachs!

Für die musikalische Ausführung ist sein “Bruder im Geist” Marc Minkowski zuständig mit dem er schon manches Werk von Offenbach auf die Bühne gebracht hat. Dieser hat das totale Gespür für die Musik von Jacques Offenbach und ist für mich der Star des Abends! Wunderbar wie er die rasanten Passagen ebenso vollkommen von seinem Orchester “Les Musiciens du Louvre” ausführen lässt, wie die sentimentalen. Der Zuhörer kann sich erfreuen an den tollen Klangfarben, die Offenbach in diesem Werk erklingen lässt. Da das Orchester auf historischen Instrumenten spielt, ist die subtile Instrumentation jeder einzelnen Szene noch besser hörbar, wie auch die vielen kleinen instrumentalen Solopassagen, die der Meister schon ab der Ouvertüre eingefügt hat.

Auf der Bühne singt und agiert ein Ensemble von erstklassigen Interpreten. Sahy Ratia, die neue aufstrebende Tenorhoffnung, singt mit lyrischer Stimme die verträumte Titelfigur. Er besitzt aber trotzdem genug Durchschlagskraft um sich in den dramatischeren Momenten durchzusetzen. Seine Cousine und Geliebte Edwige wird von Julie Fuchs mit viel Musikalität gestaltet. In der bekannten Arie “Conduisez-moi vers celui que j’adore” begeistert sie nicht nur mit präzisen Koloraturen, sondern auch mit extravaganter schauspielerischer Gestaltung.

Adèle Charvet, Sahy Ratia © Vincent Pontet 

Emma Fekete ist eine reizende Suzanne, die mit viel Pikanterie in der Stimme das anwesende Publikum und ihren Partner Toby um den Finger wickelt. Letzterer wird von Marc Mauillon mit heller Baritonstimme gesungen. Ihr Duett im zweiten Akt ist an Komik kaum zu überbieten.

Die Rolle des Vendredi ist eine sogenannte Hosenrolle. Sie wird von Adèle Charvet mit farbenreichem Mezzosopran und viel jugendlichem Elan gesungen. Rodolphe Briand gibt  seinem Jim Cocks die nötige komische Note.

Als Elternpaar passen Julie Pasturaud und Laurent Naouri perfekt zusammen. Beide treten zwar nur im ersten Akt auf, doch besticht sie dabei mit warmer stimmlicher Tiefe und er mit viel Stimmkraft und außergewöhnlicher Diktion.

Mit der Programmierung des Triumvirats Offenbach-Minkowski-Pelly hat das Théâtre des Champs-Elysées in Paris wieder einmal einen Volltreffer gelandet. “Robinson Crusoé” ist ein zu Unrecht vergessenes Werk, das mit dieser Aufführungsserie der kritischen Edition des Offenbach-Spezialisten Jean-Christophe Keck hoffentlich zu neuem Leben erweckt wird und nicht gleich wieder von den kannibalischen Tiefen der Opernarchive verschlungen wird.

 

 

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