Fotos: © Tom Schulze
Richard Strauss, Elektra, Oper Leipzig, 11. November 2018
von Phillip Schober
„Elektra“ gilt als anspruchsvollste und kräftezehrendste Partie in der Musikliteratur des dramatischen Soprans. Richard Strauss verdichtet in seiner Partitur die Anstrengungen von drei Abenden Brünnhilde auf 100 Minuten pausenlosen Exzess. Weltweit ist lediglich eine Handvoll Sängerinnen in der Lage, diese Rolle adäquat auf der Bühne zu bewältigen. Schon manche Sopranistin scheiterte kläglich an den Herausforderungen dieser Partie. Nicht so in Leipzig – dort zeigt man ein Händchen für gute SängerInnen.
Die Oper Leipzig besetzt die Titelrolle mit einer der ganz großen dramatischen Soprane der Gegenwart, der Engländerin Catherine Foster. Nach sechs unerreichten Jahren als Brünnhilde auf dem Grünen Hügel von Bayreuth beweist Foster, dass sie nicht nur für Richard Wagner, sondern auch für „den anderen Richard“ das notwendige Stimmvolumen und die darstellerische Ausdruckskraft mitbringt. Ihre große, offene und angenehme Stimme lässt sie in Verbindung mit beeindruckender Bühnenpräsenz zur Idealbesetzung einer Elektra werden. Vollkommen mühelos und geradezu lyrisch bewältigt sie diese Partie als Hausdebut an der Oper Leipzig. Fosters Stimme ist unglaublich flexibel. Die liebevolle Wiedererkennungsszene mit Orest „O laß deine Augen mich sehen, Traumbild“ erklingt zart und mühelos, man meint, sie singe Mozart. Dank ihrer makellosen Technik ist Catherine Foster zuzutrauen, nach den 100 Minuten der Elektra gleich noch eine Salome dranzuhängen. Nur dürften dies die Nerven des Publikums (im positiven Sinne) nicht aushalten.
Melanie Diener verkörpert in Leipzig die kleine Schwester der Elektra – Chrysothemis. Auch bei ihr zeigt sich vollste Leidenschaft und große stimmliche Flexibilität. Ihre helle Stimme ist insgesamt etwas leiser als jene von Catherine Foster, im Duett klingen sie harmonisch vereint in wunderbarer Klangfarbe. Leider macht sich Melanie Diener äußerst rar auf der deutschen Bühne. Sie ist eine großartige Sängerin, und es bleibt zu wünschen, sie zukünftig öfters auf den Spielplänen zu entdecken – hoffentlich einmal wieder als Isolde.
Die beiden Ensemblemitglieder der Oper Leipzig, Karin Lovelius und Tuomas Pursio, verkörpern Elektras Mutter Klytämnestra und ihren Bruder Orest. Hier zeigt sich wieder einmal, über welch vorzügliches Ensemble die Oper Leipzig verfügt. Beide sind regelmäßig auf dieser Opernbühne zu erleben und stets ein Garant für hohe darstellerische und sängerische Qualität. Ob Fricka und Wotan, Jochanaan und Herodias oder nun ihre beiden Rollen in Elektra, Lovelius und Pursio sind stets gern gesehene Namen auf der Besetzungsliste und Lieblinge des Leipziger Opernpublikums.
Die großen Wagner- und Strauss-Werke sind in Leipzig die Herausforderung für den Opernintendanten und gleichzeitigen Generalmusikdirektor Ulf Schirmer. Sonst regelmäßig in Live-Aufführungen vorzufindende Striche öffnete er, so dass diese Elektra fast ungekürzt gezeigt wird. Schirmer dirigiert straff, schnell und direkt. Solch ein Dirigat gelingt nur, wenn Orchester und Dirigent eng zusammenarbeiten. In Leipzig ist dies Routinearbeit im positivsten Sinne, das Gewandhausorchester kennt seinen GMD und dieser zeigt vollstes Vertrauen in seinen Klangkörper: „Chapeau, Herr Schirmer!“.
Die Inszenierung von Peter Konwitschny ist ein Klassiker. Der Countdown, leuchtend sichtbar auf der hinteren Bühnenwand, zählt die Minuten bis zur Tötung von Aegisth – das musikalische Finale wird mit einem Feuerwerk auf der Bühne garniert. Alle Charaktere sind während ihres Todeskampfes bis zur Ironie überzeichnet, zum Schluss endet die Oper passend zur brachialen Musik in einem großen Massaker. Konwitschny bringt den Wahnsinn der Partitur im darstellerischen Ausdruck der Sänger zum Leben. Er inszeniert kein Drama der alten Griechen, sondern die brutale, schrille und gewalttätige Gegenwart. 2005 eröffnete diese Produktion das neue Opernhaus in Kopenhagen. Seitdem steht sie fest verankert im Repertoire regelmäßig auf den Spielplänen der Opernhäuser in Stuttgart und Leipzig.
Fazit: Diese Elektra ist eine Vorstellung voller Höhepunkte, es gibt rein gar nichts zu bemängeln! Das Orchester und die Sängerbesetzung in Höchstform, die Inszenierung mittlerweile legendär, die Personenregie vorzüglich einstudiert. Leider bleibt das Opernhaus leer, nur etwa ein Viertel der Sitzplätze sind verkauft. Jedes andere Opernhaus dieser Welt leckt sich nach solch einer Sängerbesetzung die Finger. Die Oper Leipzig bietet höchstes künstlerisches Niveau analog der Salzburger Festspiele. Die Eintrittspreise sind moderat und es gibt zahlreiche Vergünstigungen für junge Menschen und Studenten. Warum bleibt das Publikum am Sonntagnachmittag daheim? Die Leipziger sollten sich schämen!
Phillip Schober, 13. November 2018, für
klassik-begeistert.de
Ulf Schirmer, Musikalische Leitung
Peter Konwirtschny, Inszenierung
Hans-Joachim Schlieker, Bühne und Kostüme
Manfred Voss, Licht
Catherine Foster, Elektra
Melanie Diener, Chrysothemis
Karin Lovelius, Klytämnestra
Jürgen Müller, Aegisth
Tuomas Pursio, Orest
Jean-Baptiste Mouret, Pfleger des Orest
Ilaria Baggioli, Die Vertraute
Sven Hjörleifsson, Junger Diener
Roland Schubert, Alter Diener
Eliza Rudnicka, Die Schleppträgerin
Kathrin Göring, Eine Aufseherin
Sandra Fechner, Erste Magd
Wallis Giunta, Zweite Magd
Sandra Maxheimer, Dritte Magd
Magdalena Hinterdobler, Vierte Magd
Olena Tokar, Fünfte Magd
Agamemnon, Frank Schilcher
Gewandhausorchester Leipzig
Chor der Oper Leipzig