Foto: Andreas Schager, David Jerusalem (c)
Staatsoper Hamburg, 18. November 2018
RICHARD WAGNER, SIEGFRIED
von Dr. Holger Voigt
Der Hamburger „Ring“ kommt unaufdringlich daher – und das ist gut so. Nach jahre-/jahrzehntelanger Ring-Abstinenz hat Hamburg nun wieder einen vollständigen „Ring“ – Simone Young brach das Eis und ebnete den Weg. Jetzt scheint die Vergangenheit vergessen, und Hamburg wächst sein „Ring“ zunehmend ans Herz. Die Akzeptanz nimmt kontinuierlich zu, was gut für das Haus und seine Besucher ist.
Der Hamburger Siegfried kommt in einer sehr schönen Inszenierung von Claus Guth zur Aufführung: Modern und romantisch zugleich, mit einer gehörigen Prise an Selbstironie und Humor, nie übertrieben, gleichwohl witzig im Detail (da muss man erst einmal drauf kommen: eine Waschmaschine als Amboss! Papierschwalben als Waldvögelchen – eine davon von Siegfried auf Kent Nagano am Pult gerichtet in Bewegung gesetzt….). Alles eingebettet in romantisierenden Bühnenbildern von Christian Schmidt, die indes nie Gefahr laufen, zum „Freischütz“ zu werden.
Die Person des Siegfried steht in Hamburg ganz im Zeichen von Andreas Schager. Er verkörpert bravourös einen „parsifalisierten“ Siegfried, der eben auch als „Tor“ aufwächst, gleichwohl noch so manche Lektion zu lernen hat. Von Wotan ausgewählt für Höheres, richtet er das Schwert in seinem Unverständnis gegen ihn und bricht damit dessen Allmacht. Wotan revidiert daraufhin seinen Masterplan und zeigt dem bis dato furchtlosen Siegfried, dass auch er das Fürchten erlernen kann und muss – der Weg in die Götterdämmerung ist vorgezeichnet. Zuvor aber wird Brünnhilde aus ihrem Schlaf erweckt, und zwischen Siegfried und Brünnhilde – den beiden aus Wotans Sicht ungehorsamen Geschöpfen seines Masterplans – entfacht, besser: entfackelt sich eine im wahrsten Sinne glühende Liebesbeziehung.
Andreas Schager war auch sängerisch der Kraftprotz, den er rollenmäßig darzustellen hatte. Unglaublich, was er mehrere Stunden lang sängerisch und darstellerisch auf die Bühne brachte, gegarnt mit einer Spielfreude und einem Witz, den er wie eine zweite Natur abrufen kann. Schon nach dem 1. Aufzug drei Vorhänge und ein wahrer Beifallssturm! Am Ende dann standing ovations für den derzeit wohl weltbesten Siegfried!
Die Rolle des Mime war bei Jürgen Sacher in den besten Händen. Er verkörperte den hinterlistigen Ziehvater Siegfrieds mit all seiner Verschlagenheit und täppischen Unbeholfenheit so eindringlich, dass er zeitweise sogar sympathisch wirkte. Was für ein Irrtum – er will doch letztlich nur an die Beute!
Wotan als Wanderer (John Lundgren) zeigte eine klare und kontinuierlich klangschöne Stimmführung, allerdings wirkte er als Wanderer eher wenig gottgleich, so dass Siegfried es leicht hatte, ihm respektlos gegenüberzutreten.
Doris Soffel hatte als Erda im unteren Tonbereich doch einige Engpässe zu überwinden, die sie recht gut zu meistern verstand. Alberich (Jochen Schmeckenbecher) ist rollenmäßig vom Komponisten mit schwierigeren Aufgaben konfrontiert worden – auch er bewältigte diese ohne Probleme.
Das Waldvögelchen (Elbenita Kajtazi) sang einen hellen, klaren Sopran und verkörperte den optimistischen Aspekt der Natur und seiner Allmacht des Wissens auf sehr anrührende Weise.
Lise Lindstrom – die „Hamburger Brünnhilde“ – sang mit hellem, etwas zum Vibrato tendierenden Sopran in einer hinreißenden Klangschönheit und darstellerischen Eindringlichkeit… eine ideale Partnerin von Andreas Schager, der sie beim Schlussapplaus – vor Kraft strotzend – in die Höhe wuchtete!
Das Philharmonische Staatsorchester unter Kent Nagano war perfekt auf den Punkt zentriert, manchmal etwas vorsichtig erscheinend. Die gemäßigten Tempi ließen die der Partitur innewohnende Klangschönheit sich entfalten, zugleich den Sängern viel Raum und Sicherheit gebend. Bei fast 5 Stunden ist bei ihnen ja auch die physische Grenze irgendwann einmal in Sicht. Das zurückgenommen erscheinende Dirigat Naganos zeugte deshalb von einem hohen Gespür für musikalische Kohärenz. Ohne so etwas geht Wagner eben nicht.
Großer Opernabend in Hamburg!
Dr. Holger Voigt, 19. November 2018, für
klassik-begeistert.de
Inszenierung: Claus Guth
Bühnenbild und Kostüme: Christian Schmidt
Licht: Michael Bauer
Dramaturgie: Hella Bartnig
Orchester
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung: Kent Nagano
Siegfried: Andreas Schager
Mime: Jürgen Sacher
Wanderer: John Lundgren
Alberich: Jochen Schmeckenbecher
Fafner: Alexander Roslavets
Erda: Doris Soffel
Brünnhilde: Lise Lindstrom
Waldvogel: Elbenita Kajtazi
THE BEST VOICE !
Karl Reinhard Zeiss
Nicht nur Andreas Schager auch John Lundgren und die anderen männlichen Solisten wie Schmeckenbechers Alberich und Sachers Mime einfach überragend!!
Hans-B.Volmer
Sehr geehrter Herr Voigt,
leider konnte ich nicht zu diesem „Ring“ nach Hamburg kommen; offenbar habe ich wirklich etwas verpasst!
Was Ihre Einschätzung von Doris Soffel als Erda betrifft muss ich Ihnen allerdings widersprechen. Ich habe die Künstlerin in den letzten Spielzeiten des öfteren an verschiedenen Bühnen erleben können, von „Engpässen im unteren Tonbereich“ habe ich dabei nichts gehört, im Gegenteil. Noch verwunderlicher allerdings ist, dass sie von „Hamburgs Erda“ und „langgedientem Ensemblemitglied“ schreiben. Beides ist sachlich falsch! Richtig ist, dass Doris Soffel seit nunmehr vier Jahrzehnten an fast allen bedeutenden Theatern gastiert und im Wagner- und Straussfach Maßstäbe setzt. Sie war niemals Ensemblemitglied in Hamburg. Zudem hat sie in dieser „Ring“-WA als Erda ihr Rollendebüt gegeben.
Beides hätten Sie auf Doris Soffels Website und in den Künstler-Infos des Hauses nachlesen können… Ich betreibe selbst einen Kultur- und Opernblog und weiss, dass Höreindrücke immer auch subjektiv sind – aber korrekt recherchierte Fakten sind nunmal die Basis für Journalismus!
Mit freundlichen Grüßen,
Fabian Stallknecht