Music Chapel Festival: Die Brüsseler Philharmoniker brennen ein musikalisches Feuerwerk ab

Brüsseler Philharmoniker, Flagey, Brüssel, 8. Dezember 2018

Foto: © Wouter van Vaerenbergh
Brüsseler Philharmoniker, Flagey, Brüssel 8. Dezember 2018

Stéphane Denève, Dirigent
Jonathan Fournel, Klavier
Louis Lortie, Klavier
Augustin Dumay, Violine
Riana Anthony, Cello
Eline Groslot, Harfe
Brüsseler Philharmoniker

Ernest ChaussonPoème, Op. 25 (1892 – 96)
César Franck Les Djinns – Komposition für Klavier und Orchester nach einem Gedicht von Victor Hugo, FWV 45 (1884)
César Franck Symphonische Variationen für Klavier und Orchester, FWV 46 (1885)
John WilliamsHighwood’s Ghost – Eine Begegnung für Harfe, Cello und Orchester (2018)
John WilliamsThema aus Schindler’s Liste“ (1993)
Andrea & Ennio Morricone Cinema Paradiso (1988)
Paul Dukas  Der Zauberlehrling (1897)

Von Daniel Janz

Bunt, laut und fulminant – so ließe sich dieser Abend im Brüsseler Kulturzentrum Flagey zusammenfassen. Was dargeboten wurde, war die oberste Liga französischer Romantik, gepaart mit zeitgenössischer Filmmusik und unterstrichen von hochklassigen Solisten der Gegenwart und Zukunft. In einer Reihe kurzer Stücke beeindruckte jeder einzelne als Beispiel für das Beste, was Land und Musiker zu bieten hatten.

Dabei ist diese Konzeption durchaus gewöhnungsbedürftig. Zehn Minuten Aufführung, Applaus, Umbau und schon steht der nächste Solist auf der Bühne. Das Manko daran ist natürlich, dass der Zuhörer den einzelnen Akteuren und Werken kaum genug Aufmerksamkeit spenden kann. Alles wird auf kurze Episoden reduziert – das grenzt an Fließbandmusik.

© Augustin Dumay

Den Anfang machen die Brüsseler Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Stéphane Denève (47) und dem Jahrhundertgeiger und Dirigenten Augustin Dumay. Obwohl der 69-jährige infolge eines Unfalls auf Krücken die Bühne betritt und nur im Sitzen spielen kann, ergreift sein Auftreten sofort.

Beim ersten Einsatz zu Ernest Caussons Poème (op. 25, 1892 – 96) zieht er das Publikum nicht nur im Kontrast zum düster aufspielenden Orchester in seinen Bann, auch im deutlich fröhlicheren Tutti kann er sich schillernd durchsetzen. Diese Mischung aus Melancholie im Wechsel mit Sehnsucht und Hoffnung geht ihm mühelos von der Hand.

Dabei ist dieses verklärend ausklingende Werk nicht das einzige, mit dem der Franzose begeistert. Auch seine Interpretation von John Williams‘ Hauptthema zum Film „Schindlers Liste“ ergreift durch sein voll ausgereiftes Feingefühl.

Von seiner kindlichen Seite zeugt die kaum fünf Minuten lange Filmkomposition „Cinema Paradiso“ (1988) von Andrea und Ennio Morricone. Hochverdient erntet er nach jeder einzelnen Performance tosenden Applaus. Bravorufe begleiten ihn den Abend hindurch und feiern ihn abschließend als großartigen Künstler.

Jonathan Fournel © Robin Ducancel

Jonathan Fournel beweist im Alter von nur 25 Jahren, dass er am Klavier qualitativ in derselben Liga spielt. Seine Interpretation von César Francks „Les Djinns“ hat Feuer an den richtigen Stellen. In den ruhigen Passagen glänzt auch er durch Einfühlungsvermögen und brilliert im symbiotischen Timing mit dem präzise aufspielenden Orchester.

Ob Solist oder Orchestermusiker – alle können hier imponieren. Unter Stéphane Denèves präzisem Dirigat gelingt sowohl der tänzerische Einstieg als auch ein klarer Grundrhythmus. Kombiniert mit dem virtuos spritzigen Spiel des jungen Solisten zeichnen hier alle Beteiligten ein Bild höchster Perfektion, das nach wunderbar zartem Ausklang zurecht vom Publikum gefeiert wird.

Maßgeblichen Anteil an diesen Fähigkeiten hat Jonathan Fournels Lehrer Louis Lortie. Tatsächlich steht der 59-jährige Franzose nach der Darbietung seines Schülers persönlich auf der Bühne, um die symphonischen Klaviervariationen ,ebenfalls von Franck, zu Gehör zu bringen. Stilistisch grenzt sich dieses Werk wenig vom vorangegangenen ab – es entstand nur ein Jahr später und wird sogar als direkt nachfolgendes Opus gezählt. Doch sind Grundstimmung und Thematik deutlich zu unterscheiden.

Louis Lortie © Hiroyuki Ito

Genauso wie Fournel brilliert Lortie durch höchste Virtuosität und technische Perfektion. Die einfühlsamen Stellen liegen ihm zwar nicht so gut, dafür aber reißt er in den lebhaften, fröhlichen Teilen das Publikum regelrecht aus den Sesseln. Nicht selten gewinnt er Reihen der Zuschauer ein kurzes Lachen ab, als er energisch auf das Klavier einhämmert. Diese Passagen machen ihm sichtlich Spaß – was zweifelsfrei auch daran liegt, dass sie den besseren Teil der Komposition ausmachen. Kein Wunder, dass die Zuschauer auch ihm am Ende zujubeln.

Einen völligen Kontrast zu diesen beiden Werken der Hochromantik bietet stattdessen die Musik von John Williams. Weltberühmt durch die Filmmusiken zu Jurassic Park, Star Wars, Der Weiße Hai, E. T., Harry Potter und vielen mehr kann man ihn zu den bedeutendsten, womöglich sogar dem bedeutendsten Filmkomponisten überhaupt zählen.

Doch der 86-jährige US-Amerikaner kann auch fernab der großen Kinosäle musikalisch überzeugen. Das beweist seine erst kürzlich fertig gestellte Komposition „Highwood’s Ghost“ für Solo-Cello, Harfe und Orchester, die an diesem Abend ihre Europapremiere erlebt.

„Da ist ein Geist hier draußen und dieser Geist hört zu“, wird John Williams vom Chefdirigenten Stéphane Denève sinngemäß zitiert. Da diese Komposition im Andenken an Leonard Bernstein enstand, drängt sich der Verdacht auf, dass auch dessen Geist gemeint sein könnte – der Komponist selber hat sich dazu jedoch in Schweigen gehüllt.

So entsteht ein musikalisches Mysterium, das insbesondere von Riana Anthony am Solo-Cello, sowie Eline Groslot an der Harfe geprägt wird. Am Gelingen dieses Werkes sind beide gleichermaßen beteiligt. Beim Einsatz ihres Streichinstruments erzeugt die in Yamagata geborene und heute in den USA lebende Riana Anthony Gänsehautgefühl. Dieses ebenfalls 25 Jahre junge Talent bringt selbst gegen das volle Orchester ihr Instrument perfekt zur Geltung.

Eline Groslot setzt dem intime Klänge ihrer Harfe entgegen. Im Frage-Antwortspiel mit Riana Anthony verzaubert sie, mit schillernden Klangfiguren beeindruckt sie.

Beeindruckend ist auch die Musik selbst. In einer Mischung aus Unheimlichkeit und Mysterium bringt sie einen Fluss gespenstischer, spirituell anmutender Episoden hervor, die allesamt in ihren Bann ziehen. Es dominieren schillernde Klangfarben und Ungewissheit über die weitere musikalische Entwicklung.

Wollte man dieses Werk einem Genre zuordnen, so wäre dies erst neu zu erfinden. Das ist Ausdrucksmusik ohne feste Form, die trotz aller Abstraktion ein deutliches dramaturgisches Motiv, sowie einen plastischen und gedanklichen Hintergrund hat. Jedenfalls bleibt am Schluss der Eindruck, dass der Komponist eine Art Programm vorgesehen hat, dessen Details er aber verschweigt.

Ganz anders gestaltet es sich bei Paul Dukas‘ Programmkomposition „Der Zauberlehrling“ aus dem Jahr 1897. Hier liegt das Programm offenkundig in der gleichnamigen Ballade von Johann Wolfgang von Goethe vor – weltberühmt ist es nicht zuletzt auch durch Walt Disneys Zeichentrickverfilmung aus dem Jahr 1940. Nachdem alle vorangegangenen Werke die Solisten in den Vordergrund stellten, kann hier noch einmal das Orchester in seiner Gesamtheit abschließend aufspielen.

Und auch dieses letzte Werk gelingt phänomenal. Der sehr bedachte Einstieg zieht unmittelbar in seinen Bann. Fagott und Hörner überzeugen durch thematische Klarheit und perfekte Intonation. Die dramatische Steigerung hin zur Katastrophe ergreift, während glasklare Akzente des Dirigenten dem Ganzen noch einen feinfühligen Anstrich verleihen. Stéphane Denève beweist durch seine klare Körpersprache zweifelsfrei, dass er dieses Werk bis in die letzte Note beherrscht.

So wird diese Aufführung zu einem gigantischen Erfolg. Wer sich über den Abend hinweg bereits an die Bravorufe aus dem Publikum gewöhnt hatte, kann zum Schluss sogar noch eine Steigerung erleben. Eigentlich verwunderlich, dass es keine Stehenden Ovationen gibt, denn immerhin fordern die Zuschauer im Einklang Zugaben – ein Wunsch, der ihnen leider nicht erfüllt wird. Doch auch so kann man allen Beteiligten eine perfekte Darbietung attestieren. Dieser Abend war wirklich ein Ausrufezeichen im Verlauf eines breit angelegten Kulturfestivals.

Eine Spotify-Liste mit Aufnahmen dieses Konzerts kann unter https://www.brusselsphilharmonic.be/en/concerten/music-chapel-festival-08-12-2018 angehört werden (Anmeldung erforderlich).

Daniel Janz, 11. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de

 

 

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