Foto © Tobias Witzgall
AIDA
Giuseppe Verdi
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Libretto von Antonio Ghislanzoni nach Auguste Mariette
Salzburger Felsenreitschule, 1. Dezember 2023
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Nach dem wunderbaren Abend mit Anna Netrebko und Elīna Garanča in Wien war es die erste „Aida“ danach. Das Ambiente täuscht. Man zeigte keine Aufführung im Rahmen von Festspielen, sondern eine Produktion des an sich von mir geschätzten Salzburger Landestheaters. Aber Anpassungsfähigkeit war angesagt.
Wir gewannen die Einsicht, dass gerade die Kontinuität das Wesen eines Stars ausmacht. Amneris Julia Rutigliano, Amonasro Aris Argiris, Aida Cristiana Oliveira und Radamès Milen Bozhkov konnten nur bei vereinzelten melodischen Einheiten sich steigern, dann aber ließen sie aufhorchen.
Während der Vorstellung hatten wir nicht geahnt, wie grandios der gemeinsame Abschied von Aida und Radamès ausfallen wird. Wie bei den bisherigen Aida-Erlebnissen wirkte der Oberpriester Ramfis (Martin Summer) stimmlich einflussreicher als der Pharao (Daniele Macciantelli).
Die wunderschöne Kleinrolle der Priesterin musste Anita Giovanna Rosati androgyn gestalten. Vom Chor des Salzburger Landestheaters kam Alexander Hüttner als Bote zu solistischen Ehren. Der Tenor Johannes Czernin doubelte zeitweise Radamès ohne unter den Biografien des Programmhefts aufzuscheinen. Wir möchten noch Chor und Extrachor des Salzburger Landetheaters wie eine Solistin, einen Solisten hervorheben.
Das sogenannte Regietheater war ursprünglich eine Chance zur Profilierung der Landestheater. Zu seiner Verteidigung stellen wir fest, dass Theaterwerke, ob es den Autoren nun passt oder nicht, eine Eigendynamik entwickeln. Deshalb haben oft Komponisten ständig an ihren Werken herumgebastelt und nicht nur, um ihre Stücke möglichst vielen Theatern verkaufen zu können.
Denken wir auch an „Der Zauberflöte zweiter Teil“ von Schikaneder, Goethe oder Grillparzer. Als wir das Programmheft aufschlugen, um noch einmal kurz den Inhalt durchzugehen, wurden wir überrascht und gleichzeitig unsre Neugierde für Andreas Gergens Regie und Vinda Migunas Dramaturgie geweckt: Radamès haben wir uns als einen Manager in einem Großkonzern vorzustellen, der vor dem gesellschaftlichen Leistungsdruck und aus seiner Ehe mit Amneris (!) fliehen will. In einem Videospiel taucht er in die Fantasiewelt des alten Ägyptens ein, in der er Parallelen zu einigen Menschen aus seinem Leben findet. So wird in der virtuellen Welt sein Konzernchef und Schwiegervater zum Pharao und in der realen Welt wird der Angriffskrieg der Äthiopier zu einem Auftreten eines Geschäftsmanns eines Konkurrenzunternehmens.
Die Choreografie von Reginaldo Oliveira und das lobenswerte Ballettensemble des Landestheaters nehmen starken Bezug auf die konkreten Situationen der realen Welt und haben keinen bloß ausschmückenden Charakter.
Am Anfang dachten wir, man hätte die Aida-Geschichte total in die heutige Welt transponieren können. Abgesehen von etwaigen rechtlichen Problemen bei einer Auswechslung des Librettos hat gerade das zunehmende Verschwimmen der Grenzen zwischen Fantasie und Realität seinen besonderen Reiz. Immer mehr bilden Bühnenbildner, hier Stephan Prattes, und Videodesigner, hier Andreas „Ivo“ Ivancsics, der uns schon vom „Freischütz“ im Badener Stadttheater und vom „Pinocchio“ an der Wiener Volksoper in bester Erinnerung ist, ein Team. Nicht wie gedacht spielen die Arkaden der Felsenreitschule als Kulisse eine dominante Rolle.
Die Kostüme der virtuellen Welt von Aleksandra Kica wirkten entweder extrem fantastisch oder unansprechend.
Das Mozarteumorchester Salzburg unter der Leitung von Leslie Suganandarajah trug ebenfalls Wesentliches zu diesem interessanten Abend bei. Das Trampeln für die Ausführenden beim Schlussbeifall als Geste der höchsten Auszeichnung fanden wir aber übertrieben.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 6. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Aida Salzburg/Landestheater, 4. NOVEMBER 2023 / PREMIERE