„Diese Musik sollte einen erheben“

Aida, Giuseppe Verdi,  Wiener Staatsoper

Foto: M. Pöhn ©
Aida, Giuseppe Verdi
Wiener Staatsoper, 29. September 2016

Der Wiener Musiklehrer Reinhard Rauner, 51, kennt die Oper „Aida“ von Giuseppe Verdi besser als viele Musikkritiker. Er hat das am 24. Dezember 1871 in Kairo uraufgeführte Werk schon 30 Mal gehört, oft mit großer Begeisterung. Als Student hat er die Oper vor dem Tempel von Luxor in Ägypten verfolgt und dafür sogar seinen Rückflug verschoben. „Ich habe schon viele außerordentliche und bewegende Aufführungen der ‚Aida‘ gesehen“, sagt der Lehrer am Sportgymnasium Maria Enzersdorf (Niederösterreich), der in seiner Freizeit schon rund 1000 Schüler mit der phantastischen Welt der Oper bekannt gemacht hat.

An diesem Abend in der Wiener Staatsoper stand „Aida“ nach einer Inszenierung von Nicolas Joël aus dem Jahre 1984 vor ausverkauftem Hause auf dem Programm. Reinhard Rauner verfolgte die Aufführung auf dem Balkon und zog nach drei Stunden und 15 Minuten keine überbordende Bilanz: „Ich gehe mit gemischten Gefühlen nach Hause. Die Musik ist großartig, das Orchester war toll, aber die Gesangsleistungen haben zum Teil leider zu wünschen übrig gelassen. Schade, dass das nicht mehr war. Normalerweise möchte ich mir eine Oper immer noch ein zweites Mal anhören, aber diesmal lasse ich es lieber bleiben.“

Der Herr Professor lag ganz richtig mit seiner Auffassung: Die historisierende Inszenierung ist sehr gefällig, die Ballettszenen sind effektvoll, die Kostüme prächtig. Das Dirigat von Marco Armiliato überzeugte, er zog die Tempi an den richtigen Stellen an, auch wenn ihm das Orchester der Wiener Staatsoper nicht immer zu 100 Prozent folgte. Wunderbar erklangen die „Aida“-Trompeten und ein Extralob gebührte der Piccoloflöten-Spielerin, die mit einem phantastisch glänzenden Klang brillierte.

Was aber von den Sängern auf der Bühne im ersten und zweiten Akt vor der Pause teilweise zu hören war, das entsprach nicht dem Anspruch, den die Wiener Staatsoper an ihre Darsteller hat. Eine unpässliche Leistung vor der Pause bot der Tenor Marcello Giordani als Radamès: Er sang sehr gepresst und in der Höhe bisweilen bis zu einen Ton zu tief. Der Wiener Musiklehrer Reinhard Rauner war zur Pause so bedient von der Leistung des 53 Jahre alten gebürtigen Sizilianers, dass er die Staatsoper am liebsten vorzeitig verlassen hätte.

Auch die Mezzosopranistin Violeta Urmana als ägyptische Königstochter Amneris schien anfangs nicht richtig eingesungen und sang teilweise einen halben Ton zu tief. Erst im Duett mit Aida („Fu la sorte dell’armi“) im zweiten Akt, in dem sie sich als Rivalin der äthiopischen Sklavin zu erkennen gibt, machte sie die Stimme ganz auf und bescherte dem Publikum einen angenehmen Hörgenuss. Auch der Bariton Ambrogio Maestri als Amonasro, Aidas Vater und König von Äthiopien, wirkte vor der Pause blass und sehr gepresst in der Höhe.

Doch zum Glück kam die Pause. Mag eine Ansprache von oben oder eine kurze Visite beim Opernarzt geholfen haben – auf alle Fälle waren die Gesangsleistungen der drei bis zur Pause unterdurchschnittlich singenden Solisten deutlich besser. Violeta Urmana als Amneris steigerte sich mächtig und zeigte auch im höheren Register, dass sie immer noch sehr gute Leistungen abzurufen vermag. Der Furor in ihrer Stimme, der passagenweise erklang, ist sehr mitrührend.

Der Tenor Marcello Giordani als Radamès zeigte nun plötzlich auch in den Höhen, dass er ein richtiger Tenor ist. Leider zerstörte er ganz zum Schluss beim Duett mit Aida mit erneut zu tiefen Tönen den Zauber der großartigen Musik. Auch der Bariton Ambrogio Maestri als Amonasro sang im zweiten Teil wesentlich kraftvoller und angenehm in der Höhe.

Aber es gab an diesem unterm Strich nicht fesselnden Abend im Haus am Ring auch zwei sehr schöne Stimmen zu hören: Der zum Ensemble gehörende Bass Sorin Coliban als Oberpriester Ramphis bot mit seiner gewaltigen, schön resonierenden Tiefe eine – wie so oft – wunderbare Darbietung. Stern und Glanzlicht des Abends war die US-amerikanische Sopranistin Kristin Lewis als Aida. Sie brachte in weiten Passagen das, wofür Opernliebhaber immer wieder in die Oper gehen: Einen Hörgenuss, der den Zuschauer mitfühlen lässt und unter die Haut geht. Der Musiklehrer und Opernenthusiast Reinhard Rauner aus Wien brachte es schön auf den Punkt: „Diese Musik sollte einen vollkommen vereinnahmen und erheben. Das hat heute Abend nur der Gesang der Aida geschafft.“

Andreas Schmidt, 30. September 2016
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