Animal Farm: Was uns die Tiere erzählen...

Alexander Raskatov, Animal Farm  Wiener Staatsoper, 2. März 2024

Fotos © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Menschen sind die Teufel der Erde und die Tiere die geplagten Seelen (Arthur Schopenhauer)

Nach kurzer Pause der Betroffenheit zeigte sich das Publikum begeistert. Den stärksten Applaus erhielten, völlig berechtigt, Dirigent und Orchester, und auch Chor, Solistinnen und Solisten wurden mit herzlichem Beifall bedacht. Einen Besuch lohnt die Produktion auf jeden Fall!

Alexander Raskatov
“Animal Farm”

Text: Ian Burton & Alexander Raskatov

Musikalische Leitung: Alexander Soddy
Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Kostüme: Klaus Bruns
Licht: Alessandro Carletti
Choreographie: Thomas Wilhelm
Choreinstudierung: Martin Schebesta & Davorin Mori

Orchester der Wiener Staatsoper
Projektchor Animal Farm & Chorakademie der Wiener Staatsoper
Jugendchor der Opernschule  der Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper, 2. März 2024

von Dr. Rudi Frühwirth

Was uns die Tiere erzählen… Nein, ich schreibe nicht über den 3. Satz von Mahlers Dritter Symphonie, sondern über die faszinierende Oper “Animal Farm” von Alexander Raskatov, die jetzt in der Staatsoper zu sehen und hören ist. Gemeinsam mit Ian Burton ist Raskatov auch für das Libretto verantwortlich. Die Vorlage ist natürlich George Orwells gleichnamige Fabel, Parabel, Dystopie, wie immer man sie nennen mag.

Zu Beginn erzählen uns die Tiere von der Knechtschaft und Unterdrückung, dann von der Revolution, und schließlich vom Umschlagen der zunächst befreienden Revolution in eine anders geartete, raffiniertere, aber nicht weniger bedrückende Unterwerfung unter eine neue Klasse von Mächtigen.

Das Ziel von Orwells Satire war die Entwicklung der Oktoberrevolution in das brutale totalitäre Regime von Josef Dschugaschwili, genannt Stalin.

Wie auch schon in der französischen Revolution vorgezeichnet, war der Stalin’sche Terror nicht etwa eine bedauerliche Abweichung von den angeblich hehren Zielen der Revolutionäre, wie das von Apologeten gerne behauptet wird, sondern eine logische Weiterentwicklung. Orwells eigene Erfahrungen auf der Seite der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg und spätere Revolutionen wie zum Beispiel in China sind traurige Bestätigungen dieses Musters.

Der Regisseur Damiano Michieletto hat also klugerweise konkrete Anspielungen auf Stalin und seine Schergen vermieden und somit die leider immer noch bestürzende Aktualität des Sujets und der Oper zu seiner Leitlinie gemacht. Den Übergang vom unschuldig leidenden Tier zum Täter wird in der Inszenierung dadurch veranschaulicht, dass die Tiermasken nach und nach abgelegt werden und das menschliche, ja teuflische Gesicht darunter zum Vorschein kommt. Nur die Pferde Boxer und Clover sowie die Ziege Muriel stellen sich gegen die Entwicklung und werden folgerichtig verstoßen oder zum Abdecker geschickt.

Bühnenbildner Paolo Fantin hat dazu sehr eindrückliche Bilder geschaffen. Die Oper spielt durchgehend in einem Schlachthaus, an dessen Wände die jeweils gültigen Parolen gekritzelt werden.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Zu Beginn sind alle Tiere bis auf Old Major in Käfige gesperrt, zum Ende müssen dann die Stute Clover und Muriel zurück in den Käfig. Die charakteristischen Tiermasken sind überaus gelungen, wie auch die Kostüme von Klaus Bruns. Sie machen die Wandlung der Tiere zu Menschen ebenfalls höchst anschaulich.

Die Musik von Alexander Raskatov fordert die Sängerinnen und Sänger auf das Äußerste. Einigermaßen konventionelle Gesangstechniken werden nur von Napoleon (Stalin) und Snowball (Trotzky) verlangt. Alle anderen Partien sind den jeweiligen Tierlauten nachempfunden, dem Grunzen der Schweine, dem Wiehern der Pferde, dem Meckern der Ziegen, dem Krächzen des Raben, dem sterotypen I-Ah des Esels. Dass die Textverständlichkeit darunter stark leidet, ist wohl ein unvermeidlicher Kollateralschaden. Glücklicherweise kann man in der Staatsoper den Text in mehreren Sprachen mitlesen!

Das Orchester weist neben der üblichen Besetzung ein riesiges Schlagwerk auf, das im Orchestergraben nicht Platz hat und aus dem Orgelzimmer zugespielt wird. Der Dirigent Alexander Soddy koordiniert das Orchester im Graben und das riesige Ensemble mit Chor auf der Bühne in gewohnter technischer Perfektion und sorgt für ein aufregendes Klangerlebnis.

Die Oper hat nicht weniger als einundzwanzig Solorollen. Man möge mir also verzeihen, dass ich nicht alle aufzählen kann, sondern nur einige wichtige kurz würdige. Die Oper beginnt mit dem Aufruf zur Revolution des alten Ebers Old Major, gesungen von Gennady Bezzubenkov. Sein Grunzen in der tiefsten Basslage ist wirklich eindrucksvoll. Das Gegenstück dazu ist die eitle und kokette Stute Mollie. Ihre halsbrecherischen Koloraturen singt Holly Flack – ähnlich Virtuoses habe ich bisher nur von Audrey Luna als Ariel in “The Tempest” von Thomas Adès gehört. In ihrer Szene mit Clemens Unterreiner, dem Mr. Pilkington, kann sie auch ihr Schauspieltalent sehr witzig beweisen.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Rolle des Raben Blacky hat hat der Komponist seiner Ehefrau Elena Vassilieva auf den Leib geschrieben, die in dieser Rolle ganz Erstaunliches leistet, vom tiefen Krächzen bis zu gewagten Spitzentönen. Nicht minder bewundernswert ist Karl Laquit. Er ist Tenor, Countertenor und von Elena Vassilieva auch im haut-contre-Stil geschult. Sein beeindruckender Stimmumfang erlaubt es ihm, sowohl den Esel Benjamin als auch die junge Schauspielerin Pigetta zu singen. Diese wird in einem von Raskatov erfundenen Szene kaltblütig von Squealer (Beria) ermordet, weil sie sich ihm verweigert. Dieser Einschub ist wohl der Biographie Raskatovs zuzuschreiben, denn auch seine Mutter war als als jüdische Ärztin der Verfolgung durch Stalin ausgesetzt;  glücklicherweise überlebte sie den Terror.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Das Schwein Squealer wird vom Tenor Andrei Popov gesungen, auch er gefordert zu extremen Spitzentönen.  Boxer, das unermüdliche Arbeitspferd, dargestellt von Stefan Astakhov, wird in der Oper leider etwas stiefmütterlich behandelt. Ihm stehen zur Seite Margaret Plummer als Clover und Isabel Signoret als Muriel.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Damit bleiben noch die beiden Gegenspieler Michael Gniffke als Snowball und Wolfgang Bankl als Napoleon. Wie bereits gesagt, ähneln die beiden Rollen am ehesten herkömmlichen Opernrollen und sind somit einer kritischen Betrachtung leichter zugänglich. Beide Sänger lieferten eine gute Leistung; Bankl war zwar schon wie im “Grand Macabre” darstellerisch sehenswert, sängerisch allerdings nicht durchwegs auf der gewohnten Höhe.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Über die Musik zu urteilen, scheint mir nach einmaligen Hören vermessen. Dennoch möchte ich anmerken, dass ich den Eindruck einer gewissen Kurzatmigkeit hatte, vor allem bewirkt durch zahlreiche Generalpausen, und verstärkt durch den episodenhaften Aufbau des Librettos. Mir persönlich schienen auch neben den brillant vertonten satirischen Aspekten die in der Vorlage durchaus präsenten humanistischen Untertöne des Werks zu kurz zu kommen. Ob das in der Absicht des Komponisten lag, wage ich nicht zu sagen.

Am Ende wird der in Leuchtschrift gezeichnete Slogan “Alle Tiere sind gleich” durch den berühmt geworden Zusatz ergänzt: “aber einige Tiere sind gleicher als die anderen”.  Heute so wahr wie zu Zeiten Orwells und Stalins.

Nach kurzer Pause der Betroffenheit zeigte sich das Publikum begeistert. Den stärksten Applaus erhielten, völlig berechtigt, Dirigent und Orchester, und auch Chor, Solistinnen und Solisten wurden mit herzlichem Beifall bedacht. Einen Besuch lohnt die Produktion auf jeden Fall!

Dr. Rudi Frühwirth, 3. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Alexander Raskatov, Animal Farm Wiener Staatsoper, 28. Februar 2024 Premiere

Giacomo Puccini, Il trittico Wiener Staatsoper, 24. Februar 2024

Francis Poulenc, Dialogues des Carmélites Wiener Staatsoper, 28. Januar 2024 / 4. Februar 2024

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