Fotos © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Die Begeisterung hält sich in Grenzen. George Orwells „Animal Farm“ ist zwar hochaktuell – Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Wenn Oper allerdings zu sehr auf Intellekt setzt, leidet die musikalische Substanz. Ein paar Fetzen vom Tristan-Akkord, der Salome und Schostakowitsch reißen das Ruder nicht herum. Höflicher Applaus für den russischen Komponisten Alexander Raskatov nach der Premiere an der Wiener Staatsoper.
Animal Farm
Text Ian Burton & Alexander Raskatov nach George Orwell
Oper in zwei Akten, neun Szenen & einem Epilog
Wiener Staatsoper, 28. Februar 2024 Premiere
von Jürgen Pathy
Erster Gedanke, nachdem der Vorhang das Bühnenbild lüftet: Da kriegt der Wolfgang Bankl endlich eine Hauptrolle, dann versteckt man sein Gesicht hinter einer Maske – und was für einer: einem Saukopf. Doch der landet schnell wieder in der Requisite. Das Sujet von George Orwells Fabel ist bekannt: Nachdem die Tiere sich von der ausbeuterischen Führung der Menschen befreien, übernehmen die Schweine die Macht auf einem Bauernhof. Alles unter der anfänglichen Prämisse: Alle Tiere sind gleich. Doch rasch vollzieht sich der Wandel. Es dauert nicht lange, bis die neue Führung ebenso Blut geleckt hat. Und am Ende steht der Zusatz: Aber manche Tiere sind gleicher.
Ensemblemitglieder beherrschen die Bühne
Das Regieteam um Damiano Michieletto stellt diese beklemmende Story rund um Machtmissbrauch eindrucksvoll auf die Bühne. Im Hintergrund lungern Tiere in riesigen Stahlkäfigen, der Boss des Aufstands verfällt immer mehr den Gelüsten der Macht, und letzten Endes hat sich am Führungsstil nicht viel verbessert.
An der Spitze der Schweine-Revolte steht mit Bassbariton Wolfgang Bankl ein Ensemblemitglied, das seine Rolle als Napoleon natürlich rollendeckend ausfüllt. Ihm zur Seite wiehert Holly Flack als Mollie, der lassziven Stute, die hüftenschwingend dem Farmer Mr. Pilkington den Kopf verdreht. Den stellt Ensemblemitglied Clemens Unterreiner im weißen Anzug der 1920er-Jahre dar. Anflüge von klassischem Operngesang entdeckt man bei Andrei Popov, der als Squealer zwar oft im Kopfregister deklamiert, aber seinen weich fließenden Tenor als geschmeidige Propaganda-Waffe einzusetzen weiß.
Musikalische Kost mit vielen Fragezeichen
Die Leistung von Alexander Soddy zu beurteilen, fällt schwer. Der britische Dirigent, der zum ersten Mal im Haus eine Premiere leitet, hat sich viel in die Programmatik eingebracht. Die zeitgenössische Partitur liefert wenig Anhaltspunkte, an denen man sich festhalten könnte. Ruhepole gibt es sogut wie keine. Wäre bei diesem Sujet, mit Hinblick auf die politischen Entwicklungen in der Heimat des russischen Komponisten, auch völlig fehl am Platz. Musikalisch: gewöhnungsbedürftig. Künstler auf der Bühne – Chapeau! Thematik natürlich: hochbrisant und todernst.
Die Frage, ob dieser politische Diskurs nicht besser im Sprechtheater aufgehoben wäre, muss man aber ganz klar stellen. Oper soll natürlich nicht nur ein Ort sein, an dem man seinen Hedonismus auslebt und für zwei Stunden den Alltag vergisst. Der Kartenvorverkauf läuft aber schleppend. Der Applaus hält sich in Summe ebenso in Grenzen. Und am Ende hört man viele Stimmen, die alles andere als euphorisch klingen.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 29. Februar 2024,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giacomo Puccini, Il trittico Wiener Staatsoper, 24. Februar 2024
Bitte, was hat man sich unter „ein paar Fetzen vom Tristan-Akkord“ vorzustellen?
Dolf Ratzmann
Lässt Raskatov ab und zu ansatzweise in der Partitur erkennen. „Fetzen“ davon eben.
Jürgen Pathy