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So viel Silvesterfreude bringt nur diese 300 Jahre alte Musik auf historischen Instrumenten, da kann kein noch so ballernder Feuerwerksknaller mithalten! Einem engelgleichen Sopran in der Wolkenkratzer-Stimmlage steht ein stimmstarkes Wunder der Singkunst tiefen Bassregister gegenüber. Die eifrig gespielte Ouvertüre ist nur ein Vorgeschmack auf zwei herrliche Stunden Barockmusik. Die beste Silvesterfeier seit Jahren!
American Bach Soloists
Liv Redpath, Sopran
Alex Rosen, Bass
Jeffery Thomas, Dirigent
Werke von George Frederic Handel, Jean-Philippe Rameau, Antonio Vivaldi und Henry Purcell
Herbst Theatre, San Francisco, USA, 31. Dezember 2022
von Johannes Karl Fischer
Den Weg ins prächtig geschmückte Herbst Theatre in San Francisco wäre mir beinahe durch ein paar vom Himmel fallende Wassertropfen versperrt geblieben. Die kalifornischen Straßen scheinen diesem Wetterwunder nicht gewachsen zu sein: Nach gefühlt drei Tröpfchen Regen verwandelt sich die sonst knochentrockene Autobahn in einen spiegelglatten See. Wäre das Wasser einen Zentimeter tiefer gewesen, ich hätte ein Boot gebraucht, um diese etwas zu groß geratene Pfütze zu passieren. Was der alte Händel in London wohl dazu gesagt hätte?
Wahrscheinlich gelacht, aber diese Musik? Die hätte ihn begeistert! Eine Sopranistin namens Liv Redpath füllt den Saal mit warmer Stimme, ihr Gesang ebenso prächtig wie die Wandmalereien des wunderschönen Saals. Ob herzzerreißende Lamento-Arien oder luftige Kunststück-Koloraturen: Das Facettenreichtum dieser Musik beeindruckt aus allen Ecken des emotionalen Spektrums. Aus sechs Barockopern gesungen, wie ein köstliches sechs-Gänge-Menü gelungen.
Im Juli habe ich diese junge Ausnahme-Sopranistin an der Bayerischen Staatsoper gehört – im Rosenkavalier. Es ist immer wieder eindrucksvoll, wenn die Sophie von morgen ihren Strauss genauso beherrschen wie ihren Händel. Ob alte Musik und der neuen Welt oder neue Musik in der alten Welt: Freude entspringt aus jedem Ohr, dass in den Genuss dieser Stimme kommt.
Diesem engelgleichen Gesang in der Wolkenkratzer-Stimmlage steht eine nicht weniger überzeugende Darbietung am anderen Ende des Registers gegenüber. Die tiefe Stimmlage mit leichter Tendenz zum Brummen, habe ich oft genug bezeugen können. Doch dieser Bass singt wie ein Sänger: Alex Rosen gelingen wunderbar schwingende Melodien als donnernder Gott wie als thronender König! „Son lievi le catene“: Die Ketten sind leicht, seine Stimme ist stark. Ein wahres Wunder der Singkunst, wie so eine stimmstarke Darbietung im sonnigen Barockhimmel seinen Platz findet.
Aber was wäre solch ein herausragender Gesang ohne eine begeisternde Orchesterbegleitung? Die MusikerInnen der American Bach Soloists hätten auch ein berauschendes Instrumentalkonzert geben können – doch war die eifrig-heitere Rinaldo-Ouvertüre nur ein Vorgeschmack auf einen zweistündigen herrlichen Barock-Abend! Wie schon zu Zeiten des Komponisten kämpften die Barockoboen ein wenig gegen ihre Instrumente – macht nix, bei Vivaldi bringen auch diese Instrumente eine feierliche Neujahrsstimmung.
Viele Jahre habe ich mich in der Klassik-Szene der Bay Area durchforstet. Wie konnte dieses Ensemble nur dermaßen an mir vorbeigehen? Kein noch so ballernder Feuerwerksknaller brachte je so viel Silvesterfreude in mein Leben wie diese fast 300 Jahre alte Musik auf historischen Instrumenten. Wie schade, dass selbst in einer 8-Millionen starken Metropole die 892 Plätze fast einmal annähernd ausverkauft waren.
Reichlich Beifall – einschließlich Bravo- und Brava-Rufen – gab es dennoch für alle Beteiligten. Hoffentlich trifft der Bassist Alex Rosen im Februar auf ein ähnlich begeistertes Publikum im teuersten Konzerthaus der Welt an der Elbe…
Johannes Karl Fischer, 1. Januar 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss, Der Rosenkavalier München, Bayerische Staatsoper, 24. Juli 2022
Festspiel-Barockkonzert: Sonya Yoncheva Prinzregententheater, München, 13. Juli 2022