Der Vorhang fällt zum letzten Mal für “La Gioconda” in Berlin

Amilcare Ponchielli (1834 – 1886), La Gioconda  Deutsche Oper Berlin, 24. Februar 2024

Foto ©️ Bettina Stöß

Vor kurzem verkündete der designierte Intendant der Deutschen Oper Berlin, Aviel Cahn, das definitive Aus für die Produktion von Filippo Sanjust der Oper “La Gioconda” von Amilcare Ponchielli. Seit 1974 wurde diese wunderbare Produktion, mit Bühnenbildern angelehnt an jene aus der Entstehungszeit des Werkes (Uraufführung 1876 an der Mailänder Scala), 63 Mal in Berlin aufgeführt. Ein vollbesetztes Haus beweist an diesem Abend noch einmal die Sympathie des Publikums für diese einmalige Produktion, deren Bühnenbilder aus bemaltem Pappkarton wie Postkarten von Venedig aus der Renaissance aussehen.

Amilcare Ponchielli (1834 – 1886)
LA GIOCONDA
Dramma lirico in 4 Akten (Libretto von Arrigo Boito)

Musikalische Leitung: Giulio Cilona
Inszenierung & Kostüme: Filippo Sanjust
Bühne: Originaldekoration aus der Entstehungszeit des Werkes

Orchester der Deutschen Oper Berlin
Chor und Extra-Chor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: Jeremy Bines)
Opernballett der Deutschen Oper Berlin

Deutsche Oper Berlin, 24. Februar 2024

von Jean-Nico Schambourg

Die erste Aufführung dieser Produktion in Berlin fand im Jahre 1974 statt, damals mit der großen Leonie Rysanek in der Hauptrolle. Ein Mitschnitt davon wurde von der Firma Myto veröffentlicht.

Dass die Produktion seither ein wenig Staub angesetzt hat bis zur heutigen 63. Aufführung, ist verständlich. Die designierte Intendanz der DOB hat jetzt aus Kostengründen entschieden, nach der diesjährigen Serie von vier Abenden die Produktion endgültig abzusetzen.

Dass diese Entscheidung bei einem großen Teil des Berliner Opernpublikums auf Unverständnis und Missfallen stößt, beweist auch dieser letzte Abend, an dem das Haus voll besetzt ist. Bei jedem Aufgehen des Vorhanges zu Beginn der jeweiligen Akte wird spontan Applaus vom Publikum gespendet, außer beim letzten Bild, wo das fachkundige Publikum die lyrische orchestrale Einleitung nicht stören will.

Jedes dieser Bühnenbilder erscheint dem Zuschauer wie ein gemaltes Bild Venedigs aus der Renaissancezeit mit Dogenpalast, Markusplatz oder Canal Grande. Auch am Ende der Oper gibt es viel Applaus für die Interpreten und manche Zuspruchsbekundungen für das Werk. Der Besucher eines Opernabends möchte sich manchmal an schönen Bühnenbildern und an einer harmonischen Personenführung ergötzen. Blut- oder kotverschmierte Ekelproduktionen mit perversen Darstellungen, wie man sie leider immer öfter erlebt, sind eben nicht jedermanns Sache!

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V.l.n.r.: Dalibor Jenis, Marianne Cornetti, Angelo Villari, Teresa Romano, Carmen Giannattasio, Marko Mimica – Foto Jean-Nico Schambourg

Leider verschwindet jetzt mit diesem letzten Abend nicht nur die schöne Produktion von Filippo Sanjust aus dem Repertoire. Nein, man wird auch Ponchiellis wunderbare Musik so schnell nicht mehr an der DOB hören, da sie, laut designiertem Intendanten, nur zum “Nischen-Repertoire” eines Opernhauses gehört.

Die richtige Frage, die sich stellt, ist, ob man heute noch die richtigen Sänger für dieses Werk findet, das, geschrieben zwischen Verdis Aida und seinem Otello, sich als italienische Version der Grand-Opéra entpuppt, deren Aufführung eine ganze Reihe exzellenter Sänger benötigt. Der Fakt, dass diese Oper heute schon zu den Raritäten im Opernbetrieb zählt, beantwortet meine Frage leider schon großenteils.

Besonders die Titelrolle stellt hohe stimmliche Ansprüche an ihre Interpretin. Die berühmte Arie “Suicidio” erklingt erst am Ende der Oper, deren Handlung sich über vier lange Akte erstreckt. In Berlin dauert der Abend, inklusive drei Pausen, fast 5 Stunden!

Große Soprane haben sich an diese dramatische Rolle gewagt. Außer der schon genannten Leonie Rysanek kommen einem sofort Namen wie Maria Callas, Eileen Farrell, Zinka Milanov, Renata Tebaldi, Anita Cerquetti, Ghena Dimitrova, Éva Marton in den Sinn, um nur einige Sängerinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu nennen! Die Tenorpartie des Enzo Grimaldi mit der berühmten Arie “Cielo e mar” erfordert einen Tenor eines Formats von Franco Corelli oder eines Carlo Bergonzi. Mit diesen Größen kann die DOB verständlicherweise an diesem Abend nicht aufwarten.

Die Titelrolle der Gioconda wird heute gesungen von Carmen Giannattasio. Sie stößt mit dieser Rolle zwar an ihre vokalen Grenzen, besitzt aber die künstlerische Intelligenz, um den Abend, sowohl von ihrer szenischen Präsenz, als auch von der vokalen Leistung her, sicher und überzeugend über die Bühne zu bringen. Ihre besten musikalischen Momente hat sie im Duett mit Laura im 2. Akt und in ihrer großen Arie “Suicidio” im 4. Akt. Dabei lässt sie sich nicht zu unkontrolliertem tiefen Orgeln hinreißen, wie man es leider manchmal bei Callas-Imitatorinnen erlebt. Im Schlussduett mit Barnaba bringt sie auch die Koloraturen sehr sicher über die Rampe.

Auch Angelo Villari, eingesprungen für Joseph Calleja, meistert die schwierige Rolle des Enzo Grimaldi mit Anstand. Seiner robusten Stimme fehlt es ein wenig an tenoralem Schmelz. Der Darbietung seiner Arie “Cielo e mar”, die er differenziert und nicht eintönig singt, spendet das Publikum spontan Applaus. Sein Bühnenspiel ist allerdings sehr steif und scheint manchmal aus einer Parodie über einen Tenor zu entstammen.

Teresa Romano singt an diesem Abend Laura, die Kontrahentin der Gioconda in der Liebesgunst um Enzo. In ihrem Duett mit der Straßensängerin im 2. Akt liefert sie sich vokal ein richtiges Duell. Sie orgelt hier mit mächtiger Mezzosopran-Stimme, weiß diese aber in lyrischen Momenten zu bändigen und auch die liebevolle Frau zu verkörpern.

Dalibor Jenis singt den Spion Barnaba mit viel Brunnenvergifter-Timbre. Erregend sein Aufschrei nach Giocondas Tod. Ansonsten klingt er mir zu knorrig in seinem Bemühen, den “Bösewicht” des Abends darzustellen.

Reinen Wohlklang versprüht dagegen Marko Mimica in der Rolle des Alvise. Seine Arie “Sì, morir ella de’!“ ist sicherlich einer der gesanglichen Höhepunkten des Abends. Seine Stimme fließt balsamisch dahin und lässt dennoch den Zorn des betrogenen Ehegattens erkennen. Marianne Cornetti, als die blinde Mutter der Gioconda, gestaltet diese Rolle, durch ihre langjährige Erfahrung, mit sehr viel Emotionen. Alle anderen kleineren Rollen werden mit viel Kompetenz gesungen.

Dem Chor und Extra-Chor der Deutschen Oper Berlin fällt in dieser Oper eine große Rolle zu. Ob große Massenszenen auf der Bühne oder Balladen hinter der Bühne, der Chor wirft sich mit viel Engagement in das Geschehen und meistert alle Aufgaben exzellent.

Großartige Leistung auch des Ballets der Deutschen Oper Berlin mit, allen voran, den Solotänzern des berühmten “Tanz der Stunden”, Lisa Pavlov, Marian Walter und Mihael Belilov. Die Jubelexplosion des Publikums, die nach dieser Ballettszene einsetzte, war absolut verdient.

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Vordere Reihe v.l.n.r.: Mihael Belilov, Lisa Pavlov, Marian Walter, dahinter der Ballettcorps der DOB vor dem Chor und Extrachor der DOB – Foto Jean-Nico Schambourg

Hierzu trug natürlich auch das Orchester der Deutschen Oper unter der Leitung von Giulio Cilona einen großen Teil bei. Nicht nur bei diesem, auch als einzelnes “Konzertstück” bekannten, Instrumentalteil zeigte sich das Orchester von seiner besten Seite. Von Beginn an ertönte leidenschaftlicher Orchesterklang aus dem Graben, der dem dramatischen Ablauf des Abends jederzeit zu Gute kam.

Wie schon erwähnt gab es viel Applaus für alle Beteiligten am Ende der Oper. Schade, dass nun diese schöne Produktion auf ewig verschwinden soll.

Jean-Nico Schambourg, 25. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

P.S.:
In der Bundesliga haben dieser Tage die Fußballanhänger durch Werfen von Tennisbällen oder Schokoladentaler auf das Feld die DFL zur Rücknahme von unbeliebten Entscheidungen gezwungen. Vielleicht müsste sich das Opernpublikum auch einmal ähnliche Aktionen ausdenken (bitte aber keine Bälle oder Hartgeld), um sein Missfallen gegenüber unverständlichen Entscheidungen verschiedener Opernintendanten zu bekunden!

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2 Gedanken zu „Amilcare Ponchielli (1834 – 1886), La Gioconda
Deutsche Oper Berlin, 24. Februar 2024“

    1. Sehr geehrter Herr Fineske,

      Ich habe die Petition heute unterschrieben. Vielen Dank für Ihren Hinweis.

      Mit freundlichen Grüßen

      JN Schambourg

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