Foto: Anna Netrebko und klassik-begeistert.de-Herausgeber Andreas Schmidt im Februar 2017 in Wien,
A. Schmidt (c)
Die Stimme dieser Frau entspannt. Ihre satte, frauliche Tiefe und ihre strahlende Höhe sind vom Piano bis zum Forte gleichermaßen stark; ihr Timbre ist mittlerweile so abgedunkelt, dass es (fast) wie ein Mezzo klingt, ihre strahlenden Spitzentöne sind ungebrochen, ihre Phrasierungen sind traumhaft schön. Es gleicht einer Explosion, wenn sie ihre Energie zum Glühen bringt.
Viele Zuhörer schlossen die Augen. Atmeten laut. Beteten. Lächelten entzückt. Waren beseelt. Spürten Frieden und Wärme im Herzen und in der Brust und im Bauch.
Musikverein Graz, Stefaninensaal, 11. November 2018
Anna Netrebko (Sopran) und Malcom Martineau (Klavier)
von Andreas Schmidt
Es gibt im Leben eines Opern-, Stimmen- und Klassikliebhabers Momente, die magisch sind, und die sich auf Ewigkeit in die Seele einbrennen. Es gibt aber wirklich nur ganz wenige Abende, die von einer so nachdrücklichen Intensivität, von einer Strahl- und Leuchtkraft sowie Zauberhaftigkeit sind wie jener Sonntagabend am 11. November 2018 in der steierischen Landeshauptstadt Graz, im Stefaninensaal des Musikvereins für Steiermark.
Zu verdanken ist dies der magischen, bezaubernden, einmaligen und nuancenreichen Stimme der weltweit herausragenden Sängerin im Bereich der Klassik: Anna Jurjewna Netrebko, 47, aus dem russischen Krasnodar – einer Sopranistin mit russischem und österreichischem Pass, einer Künstlerin mit festen Wohnsitzen in St. Petersburg, Wien und New York.
Die Präsenz, die Hingabe, die Perfektion, die Vielfältigkeit, mit der Anna Netrebko an diesem Abend in Graz sang, können mit Worten eigentlich nicht beschrieben werden. Wer in der Steiermark lebt, schöne Stimmen liebt und nicht dabei war, hat etwas verpasst.
Anna Netrebko manifestierte mit dem wunderbaren, einfühlsamen, perfekt spielenden Schotten Malcolm Martineau am Piano, dass Liederabende etwas ganz Wunderbares, Einfühlsames, ja: Intim-Persönliches sein können. Sie bewies in einer weltweit einzigartigen Vollkommenheit, dass eine Sängerin mit vollkommener Devotion Lieder in sechs Sprachen an einem Abend zu singen vermag: auf Russisch, Deutsch, Französisch, Tschechisch, Englisch und Italienisch.
Auch wenn ihr Gesangs-Deutsch noch nicht vollkommen „perfekt“ in der Artikulation ist, gehörten die vier Lieder Richard Strauss’ zu den göttlichsten aller göttlichen Lieder, die sie während dieser 130 Minuten (abzüglich 25 Minuten Pause) sang. Ja, gerade dass sie nicht vollkommen akzentfrei auf Deutsch sang, machte Ihre Darbietung umso faszinierender, umso farbenreicher, umso sinnlicher.
Ihr „Morgen“ war der berührendste Vortrag dieses Meister-Liedes, das der Autor je gehört hat. Das war Gänsehaut pur, das waren feinste, lyrische Nuancen in Reinkultur, das waren bernsteinfarbene Mittellage und strahlende Höhe, wie ihr wunderschönes schwarzes Paillettenkleid (im zweiten Durchgang).
Das war Anna-Magic!
Liebe Anna, Sie sollten viiiiiiel öfter auf Deutsch singen – so wie im Mai 2016 die Elsa von Brabant in Richard Wagners „Lohengrin“ unter der Leitung von Christian Thielemann in der Semperoper in Dresden. Auch das waren magische Momente! Sie singen auf Deutsch so schön, mit so viel (russischer) Seele und Hingabe, und ich spüre, dass Ihr Deutsch immer besser wird, auch wenn Sie sprechen (Sie sind ja jedes Jahr ein paar Wochen in Deutschland und in Österreich: in Wien im 1. Bezirk in Ihrer schönen Dachgeschosswohnung), und wenn Sie singen, ist es eh wunderbar. Ihre zwei Auftritte bei den Bayreuther Festspielen 2019 als Elsa werden sicher zu den Meilensteinen der klassischen Darbietungsform im 21. Jahrhundert gehören.
Das Grazer Publikum hatte ja erst am 26. September 2018 einen halben Abend mit Strauss-Liedern an gleicher Stätte erleben können. Damals sang solo mit Klavier der großartige Bassbariton Tomasz Konieczny, ein überragender Wotan in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, vor allem an der Wiener Staatsoper. Dieser Abend offenbarte aber, dass der Pole der emotionalen Varianz und vor allem der Zartheit der Strauss’schen Lieder nicht gewachsen war – und somit einen für seine Verhältnisse sehr enttäuschenden ersten Teil ablieferte… den er aber im zweiten Teil mit phantastischen Darbietungen auf Polnisch und Russisch mehr als wettmachte.
An diesem Sonntagabend zeigte Anna Netrebko, dass sie eine gigantische Sängerin ist: Ob bei Sergej Rachmaninow, Nikolai Rimski-Korsakow und Piotr I. Tschaikowsky auf Russisch, bei Richard Strauss auf Deutsch, bei Claude Debussy, Gustave Charpentier, Gabriel Fauré und Jacques Offenbach auf Französisch, bei Antonín Dvořák auf Tschechisch, bei Ruggiero Leoncavallo auf Italienisch sowie bei Frank Bridge und Douglas Moore auf Englisch (auch hier hört man noch einen russischen Akzent… Sie sollten, liebe Anna, I am kidding, noch mehr mit den New Yorkern reden)…
… in allen Sprachen berührte Anna Netrebko das Herz und die Seele, von der ersten Sekunde bis zur letzten Sekunde.
Viele Zuhörer schlossen die Augen. Atmeten laut. Beteten. Lächelten entzückt. Waren beseelt. Spürten Frieden und Wärme im Herzen und in der Brust und im Bauch.
Спасибо, дорогая Анна, спасибо! Danke, liebe Anna, herzlichen Dank!
Es war wirklich der Gänsehautfaktor 10: Wenn Anna Netrebko mütterlich weiblich-weich in bernsteinfarbenen Tönen in der Mittellage sang, wenn sie Erda-mäßig wie eine Mezzosopranistin ins tiefere Register glitt und wenn sie mit offener, betörender Frauen-„Power“-Stimme in den ganz großen Höhen eine STRAHL-KRAFT manifestierte, die unter den Sopranen dieser Welt einzigartig ist.
Dazu trug auch die wunderbar warm-freundliche, geerdete, intime Akustik des wunderschönen 133 Jahre alten Grazer Stefaninensaales bei, die einzigartig ist. Ja, dieser kostbare, schöne Konzertsaal gehört neben dem Musikverein Wien (in dem der Autor am Vorabend die Wiener Symphoniker unter Leitung von Philippe Jordan die Symphonie fantastique von Hector Berlioz und dessen wunderbares Lélio ou Le retour à la vie. Monodrame lyrique, op. 14b mit dem wunderbar timbrierten Tenor Cyrille Dubois und dem Bariton Florian Sempey gehört hatte), der Semperoper Dresden, der Bayerischen Staatsoper, dem Teatro alla Scala in Milano, dem Teatro Farnese in Parma sowie der Philharmonie Berlin und der Elbphilharmonie Hamburg zu den besten der Welt. Vor allem für Liederabende ist er hervorragend geeignet.
Die Wiener Staatsoper nimmt der Autor nicht mit auf in diese Top 8, weil dort zu viele Menschen, vor allem Touristen von Nah und Fern, den phantastischen Hörgenuss – mitunter massiv – mit Handys, Geräuschen und Gesprächen – stören, was von den Verantwortlichen leider nicht professionell unterbunden wird; fast die einzige Ausnahme sind lange Wagner-Opern, in die sich Opern-ferne Menschen nicht trauen; besonders viele Störgeräusche kommen im wunderbaren Haus am Ring von den ab 4-Euro-teuren 567 Stehplätzen.
Anna-Netrebko-Fans dürfen sich noch auf sechs weitere Abende mit dem dem Super-Star und dem sympathischen Malcom Martineau freuen: am 15. November in Prag, am 22. November in St. Petersburg, am 2. Dezember in Chicago, am 9. Dezember in New York sowie am 14. Juli 2019 in Baden-Baden und am 17. Juli 2019 in München. Es gibt noch Karten…
„Wie elegant, wie sensibel, wie ausdrucksstark, wie sie mit jeder Note spielt, diese als Ton in die Luft wirft, balanciert, moduliert, wie sie Pianissimi ins Auditorium zaubert, aber stets so, dass selbst der zarteste Hauch den ganzen Raum erfüllt – all das ist meisterhaft“, schrieb „Der Kurier“ über die außergewöhnliche Sangeskunst der Frau Netrebko trefflich.
Anna Netrebkos Gesang entspannt. Ihre satte, frauliche Tiefe und ihre strahlende Höhe sind vom Piano bis zum Forte gleichermaßen stark; ihr Timbre ist mittlerweile so abgedunkelt, dass es (fast) wie ein Mezzo klingt, ihre strahlenden Spitzentöne sind ungebrochen, ihre Phrasierungen sind traumhaft schön. Es gleicht einer Explosion, wenn sie ihre Energie zum Glühen bringt.
„Netrebko ist ja immer noch und immer wieder den Bohei wert, den man um sie macht“, schrieb Der Tagesspiegel. „Die Batterie, die diesen Sopran befeuert, erscheint in manchen Momenten eher wie ein Kernreaktor.“ Ihre Stimme werde stets getragen „von einer purpurnen, rotglühenden, vulkanischen Unterströmung“.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung jubelte: „Diese Sängerin ist den erhöhten Eintrittspreis dreifach wert. Jeder Ansatz, jedes Crescendo, jede Geste, jedes Pianissimo, jeder Triller: Es passt.“
Es war auch an diesem Abend überwältigend, wie Anna Netrebko Spitzentöne ansteuerte und dann ein Diminuendo bis fast zur Lautlosigkeit ausformte – das war Stimmkunst in vollendeter Form. „Netrebkos Stimme ist makellos, zärtlich, die Koloraturen freizügig girrend, aufblühend“, schrieb die Berliner Morgenpost.
„Es ist für mich ein wahres Glück, einen solchen Abend erlebt zu haben“, sagte die Wienerin Regina Schmidt. „Die Netrebko ist eine begnadete Sängerin. Sie versteht es mit ihrer Stimme wie keine andere, das Publikum zu berühren und verführen. Wenn Anna Netrebkos Stimme traurig klingt, bin ich auch traurig. Wenn sie glücklich klingt, bin ich auch glücklich.“
„Je älter sie wird, desto schöner singt sie“, sagte Peter Förster. „Ihre Stimme ist reifer und voluminöser geworden. „Anna Netrebkos Gesang geht einfach unter die Haut.“
Wenn der Autor dieser Zeilen sich für eine Sanges-Sprache der Frau Netrebko entscheiden müsste, dann wäre es sicherlich Russisch, obwohl er nur Polnisch spricht und nur ein paar Brocken der großen slawischen Schwestersprache: Wenn die Sopranistin in ihrer Muttersprache singt, ist sie wirklich vollkommen und ganz bei sich, sind Stimme, Seele, Herz und Hirn im vollkommenen Einklang.
Dann erreicht die Meisterin den größten Magie-Faktor.
Wenn Anna Netrebko auf Deutsch singt, ist dieser Magie-Faktor nur einen kleinen Deut geringer – und vor allem auch die französischen Lieder von waren in Graz von herausragender Qualität.
Aber es war jedes Lieder der 25 Lieder (inklusive zwei Zugaben) an diesem Abend ein Meisterwerk.
Spacibo, liebe Anna, Spacibo!
Das österreichische Bundesland Steiermark, dessen Hauptstadt Graz, der Musikverein Graz und dessen Generalsekretär und Künstlerischer Leiter Dr. Michael Nemeth können wirklich stolz sein auf diesen großen Abend an der Landhausgasse, unweit des Casinos. Dass das Publikum in Graz am Sonntagabend die Vorführung des Weltstars zwar wohlwollend und sehr zustimmend, aber doch recht reserviert und zurückhaltend verfolgte, dürfte auch an der gehobenen Altersstruktur der Abonnenten liegen, die bevorzugt Tickets erhalten hatten. Der Altersdurchschnitt an diesem Abend lag bei deutlich über 60 Jahren. Der meiste Applaus kam von den jüngeren Leuten von den Stehplätzen am Ende des Parketts, die sich am Abend – teils nach mehreren Stunden Wartens – für günstige Karten angestellt hatten.
klassik-begeistert.de indes wurde leider von den Verantwortlichen nicht für das Konzert akkreditiert – trotz Anfrage im September 2018 und obwohl am Konzertabend noch Karten um 100 Euro an der Abendkasse zu kaufen waren. Selbst ein Gesuch für eine Kauf-Stehplatzkarte, die wegen meiner Anreise von insgesamt 1300 Kilometern an der Abendkasse hinterlegt werden sollte, wurde von den Verantwortlichen schließlich negativ beschieden. So etwas ist den 40 AutorInnen von klassik-begeistert.de noch mit keinem europäischen Opern- oder Konzerthaus passiert.
So erwarb klassik-begeistert.de eine Karte auf dem Schwarzmarkt (bei willhaben.at) für 190 Euro (statt 119 Euro): Nische rechts, Reihe 1, Platz 1 – vorne gleich dort, wo die Künstler auf die Bühne gehen.
Der Herausgeber bereut nicht einen Cent, den er ausgegeben hat: Es war das beste und intensivste Klang- und Hörerlebnis, das er je erlebt hat und so auch der wunderbarste der mehr als 20 wunderbaren Anna-Netrebko-Abende, die er erleben durfte.
Ich konnte Anna Netrebko aus zwei Metern Entfernung hören, spüren, erleben – und war von ihrer stimmlichen und energetischen Ausstrahlung restlos begeistert.
Klassik begeistert!
Der Abend mit Anna Netrebko war unbezahlbar.
Auch ein kurzes Gespräch mit Annas Ehemann, dem immer überzeugender werdenden Tenor Yusif Eyvazov, 41, hätte der Herausgeber vom Stehplatz aus sicher nicht führen können.
Andreas Schmidt, 14. November 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at