Foto: Yusif Eyvazov (Tenor), Anna Netrebko (Sopran), Mozarteumorchester Salzburg © SF / Marco Borrelli
Elbphilharmonie, Hamburg, 7. September
Anna Netrebko und Yusif Eyvazov
von Verdi bis Puccini
Anna Netrebko Sopran
Yusif Eyvazov Tenor
Elena Zhidkova Mezzosopran
Philharmonie Baden-Baden
Jader Bignamini, Dirigent
von Harald Nicolas Stazol
„Stoppt die Mörderin, stoppt die Mör-de-rin“ höre ich vor der Elphi von den 80 Ukrainern, die Anna Netrebko wegen vor der Elphi diesen Mittwochabend demonstrieren, und ich rufe, „Medea steht doch heute Abend gar nicht auf dem Programm“, – da weist mich meine traumbegleitende Muse darauf hin, es nur „Friend of Putin!“ heißt, und ich bin ein wenig enttäuscht, dass in dem spärlich besetzten Saale keine nacktbrüstigen „Free Ukraine“-Pussy-Riots das Konzert unter- ja abbrechen könnten.
Stattdessen sich Anna Netrebko, von Arie zu Arie in Orangerot von Goldflammen durchsetzt mit ungeahnt schauspielerischem Talent zu den gewohnten Höhen, dem satten Ton, dennoch voller Leichtigkeit, die so nur sie hinkriegt, – allein, politisch geschickt ist sie nicht gerade, Anna Netrebko, doch dazu später mehr.
Als Thyssen und Krupp fusionieren, gehen die Arbeiter vor den Frankfurter Türmen an der Taunusanlagen der Deutschen Bank, „Soll und Haben“, auf die Straße. „Und von hier oben“, sagt mein Onkel, als er in grüner Krawatte von 20 anderen Anwälten das entsprechende Dokument unterzeichnet, nehmen sie sich wie Ameisen aus.
Demo? Welche Demo? Fragt man sich an diesem Abend, in den elysischen Höhen, der ganz der Liebe gewidmet ist – hier siegt die Kunst über die Politik, hier zeigt sich die Erhabenheit dreier russischer Stimmen, die offenbar Spaß haben an der Sache, auch wenn der Gatte der Netrebko etwas presst, was ihm, wenn Maman sich richtig erinnert, schon an der Scala Kritik einbrachte.
Anna Netrebko kenne ich noch aus Salzburg, wir beide blutjung, 2002??, unter Nicolaus Harnoncourt, und es ist die Inszenierung, in der das gesamte Ballett in Strümpfen eines österreichischen Strumpf-Imperiums, „Palmers“, eingekleidet ist, es war „Don Giovanni“ – seit diesem Abend ist mir die Netrebko ein Begriff. Und damals bin ich noch im liberalen Flügel der SPD. So einen gibt es in ihrer Heimat, Russland, schon da nicht mehr, wenn, dann versteckt.
Dass sie sich in manch Arena überstrapaziert, ein wenig abgesungen hat, – an diesem Abend kein Gedanke! Man mag sich an Hilde Güden erinnern, die Karajan an der Wiener Oper festhielt, dieselbe, an dem sie am Montag zu wenigen Buh-Rufen die Mimì sang, dieselbe, von der Elena die Muse anruft, „jetzt haben sie mich rausgeworfen, weil ich Russin bin“, nur natürlich viel höflicher formuliert.
Noch am Morgen trifft man die beiden an der Binnenalster, lachend, Anna in einem Leopardenensemble, und ja, sie äußert sich manchmal überraschend. Eine Russo-Faschistin aber kann ich in ihr nicht einmal vermuten, geschweige denn, beim schlechtesten Willen, erkennen.
Denn sowenig eine Sängerin politisch sein kann, wird ein Politiker Arien singen (abgesehen von jenen natürlich, die wir nicht mehr hören können…!).
„Freundin von Putin“ haben sie unten wie die Ameisen noch skandiert, naja, das waren Schröder und Steinmeier auch, nur singen können die eben nicht. Und deswegen bin ich hier.
Doch wie an die Karte kommen? Die Agentur River Concerts ist telefonisch nicht zu erreichen schon vor zehn Tagen, man reagiert nicht auf Emails. „Jede Note eine Bombe“, heißt es, nun denn, ich glaube, der Erlös dieses einen Abends von Welt dürfte von 80-450 Euro-Tickets Ungemach und Unterbrechung unterbunden haben.
Ich höre, eine Bombe kostet etwa 8500 Euro, also einmal die ganze erste Reihe. Doch erstmal muss man das Ticket ja aber HABEN!!!
In meiner zunehmenden Nervosität lasse ich meine Kontakte spielen. Michele Pronto, ein befreundeter Anwalt vielleicht, der zwei Abos laufen hat für Freunde und mich schon manches Mal mitnahm? „Natürlich nicht! Ich habe auch keins!“ whatsappt er. Donnerwetter, denk ich da noch, da liegt etwas im Busche, nein, der Busch brennt schon, und der HERR ist nah…
Wie ich aber dann doch erlöst wurde und hineindurfte, um der lieb-zarten, jahrelangen Freundschaft dreier überragenden SängerInnen, der Netrebko, der dem wundervollen Mezzosopran, Elena Zhidkova, fast karamelig und satt, und des Gatten der Diva, des wohltönenden Tenors Yusif Eyvazov. Man sieht den dreien ihre Freude an der Aufführung an – und ist denn nicht Freundschaft und Freude ohne Grenzen, ja grenzenlos?
Doch zunächst zu Tschaikovsky: Die Ouvertüre zu »Pique Dame« op. 68, steht an, und Anna, unsere, kosmopolitische, mit ihrer Stimme all Grenzen übertrahlende, gibt, nein, schenkt uns die Arie der Lisa aus der Oper »Pique Dame«.
„Bald ist es Mitternacht“, da fällt das Orchester Baden-Baden in das unheimliche, tiefe Thema, das erst diese Anna Netrebko zum Leuchten bring, wie weiland nur die große Galina Vishnevskaja, denn bei beiden reißt es einen vor lauter Inbrunst und warmen Tönen zu höchsten Höhen, von beiden ähnlich virtuos-herrschend-ehrfuchtgebietend, und der Rezensent schätzt sich erkoren, zu der Netrebko Lebzeiten geboren zu sein.
Pause. Die braucht man jetzt auch. Über die durchs Foyer Flanierenden hat sich etwas fast Andächtiges gelegt, aber das mag auch die Hingerissenheit des Verfasser bewirken, während sich die Muse mit einer Kennerin unterhält, ja das Gespräch mit Erlaubnis mitschneidet.
Doch da, wieder ohne Zwischenfälle, der Chronist ist enttäuscht, wir setzen uns, das Licht dämmt sich, Jader Bignamini wird mit korrektem Applaus bedacht, sein Dirigat ja auch bedächtigt und korrekt, die Philharmonie Baden-Baden eine Kur für Auge und Ohr.
Doch vorher an die Karte kommen! Schließlich hilft nur noch preussische Geheimdiplomatie, denn die Muse, ja mit Elena befreundet, trifft die beiden Diven, die Netrebko im Leopardenensemble, an der Binnenalster, auch Elena liebt Rachmaninoff, die Muse sagt, „mein bester Freund, ein Konzertkritiker auch, er bekommt keine Karte“ – „Warum hast Du das nicht gleich gesagt?“, ist, glaube ich die Antwort. Und das Wunder geschieht. Es ist ein Traum.
Isoldes Liebestod folgt (wieder die Liebe…), »Mild und leise wie er lächelt«, aus der Oper »Tristan und Isolde« WWV 90, was soll man sagen, selbst bei geschlossenen Augen wird die ganze Tragödie offenbar, und man wünschte sich, dass das Ganze auf einer Großbildleinwand über den ukrainischen Demonstranten vorgeführt würde, auf dass sie zur Vernunft kommen. Aber wegen eines Wagner-Fans hatte ja auch ein Furtwängler, ja, ein Karajan Berufsverbot einige Jahre lang. Soweit ist es ja nun glücklicherweise noch nicht.
Die Manon – Puccini setzt den Schlussstrich – legt die Ausnahme-Sopranistin ein wenig zu nervös an, schwingt sich aber dann zur stimmlichen Apotheose auf, was den Applaus im Anschluss, und den grazil-lächelnden Verbeugungen der Stimmvirtuosen einen würdigen, abschliessenden Rahmen verleiht.
Das schönste aber dieses erinnernswerten Gala-Abends: Niemand fiel aus dem Rahmen.
Harald Nicolas Stazol, 9. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
PROGRAMM
Gaetano Donizetti
Piangete voi? / aus der Oper »Anna Bolena«
Tombe degl’avi miei / Arie aus der Oper »Lucia di Lammermoor«
Francesco Cilea
Acerba voluttà, dolce tortura / Arie der Principessa aus »Adriana Lecouvreur«
Piotr I. Tschaikowsky
Ouvertüre zu »Pique Dame« op. 68
Arie der Lisa aus der Oper »Pique Dame«
– Pause –
Richard Wagner
Isoldes Liebestod
»Mild und leise wie er lächelt«, aus der Oper »Tristan und Isolde« WWV 90
Giuseppe Verdi
Forse la soglia attinse / Arie des Riccardo aus der Oper »Un ballo in maschera«
Georges Bizet
Farandole / aus: L’arlésienne / Suite Nr. 2
Giacomo Puccini
Donna non vidi mai / Arie des Des Grieux aus der Oper »Manon Lescaut« In quelle trine morbide / Arie der Manon aus der Oper »Manon Lescaut« Intermezzo 3. Akt aus der Oper »Manon Lescaut«
Tu, tu, amore, tu? / Duett aus der Oper »Manon Lescaut«
Ich freue mich sehr über diese positive Kritik. Gern wäre ich dabei gewesen. Anna Netrebko ist für mich gegenwärtig die beste Sopranistin der Welt und ich finde, man behandelt sie gegenwärtig sehr ungerecht.
Sonja Hannemann