Die Pianistin Anna Vinnitskaya berauscht die Kölner Philharmonie

Anna Vinnitskaya Klavier 
WDR Sinfonieorchester Köln 
Vasily Petrenko Dirigent 
Edward Elgar – In the South (Alassio), Ouvertüre für Orchester op. 50 (1904)
Dmitrij Schostakowitsch – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 F-Dur op. 102 (1957)
Sergej Rachmaninow – Sinfonische Tänze für Orchester, op. 45 (1940)
Kölner Philharmonie, 1. Juli 2017

von Daniel Janz

Edward Elgar ist einer der Komponisten, die stark unterschätzt werden. Trotz vieler bekannter Werke wird der Erschaffer des „Pomp & Circumstance March“ nur selten gespielt. Dass dies völlig ungerechtfertigt ist, beweisen an diesem Abend Vasily Petrenko und das WDR Sinfonieorchester in der Kölner Philharmonie. Gespielt wird die Ouvertüre „In the South (Alassio)“, die Elgar während eines Familienurlaubes in dem gleichnamigen Dorf in Italien komponierte.

Vom ersten Ton an setzt das Ensemble ein beeindruckendes Statement für den englischen Komponisten. Der 41 Jahre alte russische Gastdirigent hat das Orchester sofort voll im Griff. Im Tutti entfesselt er die Musiker mit ganzer Kraft. An den ruhigen Stellen drängt er sie bewusst zur Zurückhaltung und hebt so die Kontraste eindrucksvoll hervor. Die erste Bratsche glänzt mit ihrem Solo – eine perfekte Symbiose von Taktgeber und Musikern. Hier sitzt vom Anfang bis zum Ende jede Note.

Orchester und Dirigent gewinnen bei der Interpretation dieser 20 Minuten langen Ouvertüre nicht nur durch ihr technisch einwandfreies Niveau. Vasily Petrenko gestaltet sein Dirigat sehr ausdrucksstark, er unterwirft das Werk einer festen Vorstellung. Damit setzt er sich von vielen seiner Kollegen ab, die zwar alle stets eine Idee haben, sie aber oft nicht deutlich genug über das Orchester vermitteln. In the South ist der erste furiose Höhepunkt des Abends, den das Publikum begeistert feiert.

Atemberaubend geht es auch in dem zweiten Stück von Dimitrij Schostakowitsch zu. Die russische Pianistin Anna Vinnitskaya, 33, verleiht diesem Werk ihren Ausdruck. Mit dem ersten Tastendruck ist bereits klar: An diesem Abend wird Weltniveau geboten. Im regen Wechsel schmettern Anna Vinnitskaya und Vasily Petrenko sich die Akkorde zu. Zu den marschartigen Phasen lassen sie das Orchester exerzieren, den ruhigen zweiten Satz bilden sie zum Träumen schön aus. Hier haben sich zwei gefunden, bei denen man nicht einfach von Nachwuchstalenten sprechen kann – hier sind zwei junge Meister am Werk!

Anna Vinnitskaya spielt nicht einfach nur Musik – ihr ganzer Körper ist Musik. Ihre Finger rasen über das Klavier, bei jedem Ton wippt sie fröhlich auf und ab. Als wäre Petrenkos Dirigat nicht schon mitreißend genug, berauscht sie den ganzen Saal mit ihrer Aura. Orchester und Solistin tanzen in feurigen Wechseln umeinander. Zum Finale steigern sie sich in eine Explosion der Entzückung. Ein Augenschmaus, der Pianistin zuzusehen und eine Wohltat für die Ohren. Sie wird für diese überragende Leistung genauso verdient gefeiert, wie das WDR Sinfonieorchester.

Den Abschluss des Abends bilden Rachmanninows berühmte Sinfonische Tänze. Eifrige Fernsehzuschauer kennen das Hauptmotiv des ersten Satzes auch als Titelmelodie zur Fernsehsendung „Quarks und Co“. Was dem Fernsehzuschauer jedoch vorenthalten bleibt, sind die nachfolgenden 40 Minuten musikalischen Hochgenusses.

Hier ist es wieder der begnadete Dirigent Petrenko, der das Werk prägt. Das ohnehin hohe Niveau des Orchesters hievt er mit seiner präzisen motivischen Arbeit noch eine Stufe höher. Wichtige Momente, wie die verspielten Soli von Klavier und Saxophon oder das tänzerische Motiv des Glockenspiels am Ende des ersten Satzes arbeitet er akribisch heraus. Musiker wie Zuschauer erleben eine kleine Sternstunde, weil er das Werk so mühelos im Kopf hat, dass er jeden noch so unbedeutenden Einsatz persönlich angibt.

Diese deutliche Prägung tut dem Werk allgemein gut. Gerade der ansonsten eher fließende zweite oder der ungelenke dritte Satz erfahren eine klare Formung. Petrenkos Interpretation besticht, weil er es versteht, jede Nuance eines Tons herauszukitzeln. Er tritt dabei so selbstbewusst auf, dass die Partitur vor ihm auf dem Pult zum schmückenden Beiwerk wird.

Zum Finale hin wird es noch einmal stürmisch. Rachmanninow konzipierte den Schluss als Synthese aus dem Dies Irae – dem Hymnus vom Jüngsten Gericht – und dem Halleluja aus der orthodoxen Liturgie für die Auferstehung. Diese Themen sind dermaßen kunstvoll verschleiert, dass es einen äußerst versierten Dirigenten braucht, um sie herauszuarbeiten.

Vasily Petrenko krönt seine Arbeit und die des tadellosen Orchesters mit einer Glanzleistung. Er schärft nicht nur den musikalischen Konflikt. Die Themen arbeitet er so pointiert heraus, dass jeder Klang in sich selbst noch einmal zum Erlebnis wird. Ein gewaltiger Tamtam-Schlag zum Schluss sorgt für einen emotionalen Höhepunkt. Tosender Applaus für diese grandiose Aufführung.

Daniel Janz, 5. Juli 2017, für
klassik-begeistert.de

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