"Die Gezeichneten" von Franz Schreker: Tolle und üppige Musik für Klassiklieberhaber

Franz Schreker, Die Gezeichneten, 07.07.2017, Ingo Metzmacher, Tomasz Konieczny, Christopher Maltman, Alastair Miles, Catherine Naglestad, John Daszak,  Bayerische Staatsoper

Foto: © Wilfried Hösl
Franz Schreker – Die Gezeichneten

Bayerische Staatsoper, 7. Juli 2017
Musikalische Leitung – Ingo Metzmacher
Inszenierung – Krzysztof Warlikowski
Bühne und Kostüme – Małgorzata Szczęśniak
Choreographie – Claude Bardouil
Video – Denis Guéguin
Dramaturgie – Miron Hakenbeck
Herzog Antoniotto Adorno – Tomasz Konieczny
Graf Andrea Vitellozzo Tamare – Christopher Maltman
Lodovico Nardi – Alastair Miles
Carlotta Nardi – Catherine Naglestad
Alviano Salvago – John Daszak
Kinderchor der Bayerischen Staatsoper
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester

von Raphael Eckardt

Mit Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ steht eine Produktion im Münchner Opernprogramm, die nicht allzu oft auf den Spielplänen der großen Opernhäuser dieser Welt zu finden ist. Uraufgeführt 1917 in Frankfurt, spielt die Handlung im zu dieser Zeit sehr beliebten Renaissance-Zeitalter. Da passt es wunderbar, dass wir uns in einer Art „Schreker-Renaissance“ befinden, die in München im Jahr 2017 ihren Höhepunkt zu finden scheint.Ein reicher Mäzen vergeistigt seine unendliche Sehnsucht nach Sexualität mit dem Sammeln von Kunstobjekten. Seine Freunde richten im Keller des Privatmuseums eine Art Bordell ein; um dies zu verschleiern, teilt Alviano seine Schätze mit der Öffentlichkeit.

Die Handlung Schrekers klingt mehr nach dem Jahr 2017 als nach dem Zeitalter der Renaissance. Sie könnte beinahe einem aktuellen Bestsellerroman entnommen sein, der sich der unzähligen Skandale reicher Männer bedient, die in den letzten Jahren aufgedeckt wurden. Genau diese Tatsache macht sich die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski zunutze: Alviano Salvago (John Daszak) betreibt anstatt eines Kunstmuseums einen Boxclub. Das mag auf den ersten Blick verwirrend wirken, bei genauem Nachdenken wird aber erkennbar, dass Warlikowski beinahe klischeehaft aus der Vergangenheit Gegenwart macht.

Machogetue und Proletenhaftigkeit scheinen in unserer Zeit teilweise das „Männlichste“, was es zu geben scheint. In der Renaissance war dies das Sammeln von Kunst. Und das ist es auch, was Warlikowskis Inszenierung an diesem Abend so fantastisch macht: Die Gegenwart mit einer Lupe studiert, gelingt es dem Polen eine gesellschaftskritische Ebene zu schaffen, die auf den von Schreker konzipierten Grundwerten beruht, aber starken Bezug zur Gegenwart aufweist. Bravo!

Die kulturaffine Münchner Abendzeitung schrieb einmal über Warlikowski, es gelinge ihm in seinen besten Arbeiten, das Sexuelle ohne jeden Voyeurismus auf die Bühne zu bringen. Nun, hätte er dies bei Schrekers Gezeichneten versucht, wäre seine Inszenierung wohl komplett in die Hose gegangen. Warlikowski legt seinen Fokus auf andere Extreme: Verstoßensein, Triebschicksale und seelische Abgründe. Filmsequenzen aus den 1920er Jahren laufen im Hintergrund unruhig-flimmernd über die Leinwand, ein Glitzerballett geht über die Bühne und im Boxring stehen echte Fußballer des gerade in die Regionalliga Süd abgestiegenen TSV 1860 München (Ja, da ging eventuell das Gagenbudget zu neige). Surreal, unverständlich!

Was anfangs wie ein riesengroßes Chaos wirkt, fügt sich nach und nach zu einem beinahe bedrohlichen Palast aus Elementen zusammen, der mit seelischen Extremzuständen spielt. Alviano Salvago ist das personifizierte seelische Chaos. Die Unberechenbarkeit, die Willkür, die in ihm steckt, setzt Warlikowski durch eine chaotisch-durchdachte Inszenierung glänzend um. Das ist ganz, ganz große Kunst!

Schrekers Musik ist immer ein Genuss. Aber auch eine schwere Kost, die einem durchaus zu schaffen machen kann. Die Sopranistin Catherine Nagelstad gibt eine glänzende Carlotta ab. Liane für Liane schwingt sie sich durch einen endlosen Tonurwald. Hier und da blühen farbenfrohe Orchideen, hohe Tonpassagen werden von warmen Farbtönen durchzogen. Ein wahrer Genuss für die Ohren!

Christopher Maltman brilliert als stimmgewaltiger Tamare. Mit seiner warmen und kraftvollen Baritonstimme tut er sich als herausragender Akteur hervor. Sängerisch macht Maltman an diesem Abend niemandem etwas vor: Mit gleichmäßig weich dahingleitender Stimme gelingt es ihm, Phrasierungsbögen zu schaffen, die ein einzigartiges Momentum kreieren. Ein Momentum absoluter Glaubhaftigkeit. Und das ist an diesem Abend Gold wert! Vielen Besuchern dürfte es sicherlich schwer fallen, bei Warlikowskis komplexer Inszenierung einen authentischen Bezug zur Realität herzustellen. Maltman gelingt genau das durch seine bloße Stimme. Fabelhaft!

Leider ist es ausgerechnet John Daszak, der sängerisch als Alviano doch ein wenig hinter den Erwartungen zurückbleibt. Seine Tenorstimme erklingt kräftig aber wenig wandlungsfähig. Das wirkt alles etwas statisch, und Statik ist bei Schrekers Musik selten passend. Alviano ist keine Kunstfigur, die sich durch feste Konstanten im Leben auszeichnet. Ebenso wenig wie Franz Schreker, der in seiner Musik vor allem die schwierigen Phasen seines Lebens verarbeitete. Die gezeichneten Phasen eben. Und um einen Ausweg aus den gezeichneten Phasen des Lebens zu finden, bedarf es ausgesprochener Flexibilität. Die lässt Daszak an diesem Abend vermissen. Solide ist seine Leistung dennoch, sei’s also drum!

Das Bayerische Staatsorchester überzeugt an diesem Abend mit einer absoluten Glanzleistung. Mit beeindruckender Sicherheit kämpfen sich die Streicher durch Schrekers Klangspiralen. Das ist ein drahtiges Gebilde, das der Dirigent Ingo Metzmacher da kreiert. Ein Gebilde, das sich hochkonzentriert und unzerstörbar seinen Weg durch die musikalische Komplexität bahnt. Da muss man Metzmacher besonders loben: Aus diesem Orchester eine Weltklasseleistung herauszuholen, ist die Königsdisziplin des Operndirigats. Jeder Takt ist voll emotionaler Energie, jeder Ton erstrahlt als leuchtende Sonne, die den Zuhörer beim Schopfe packt und ihn in ihr warmes Licht hinein zu saugen scheint. Herr Metzmacher, Chapeau!

Schrekers Musik tut in der in München etablierten Strauss-Tristesse unfassbar gut. Aufregend, mitreißend, authentisch – Werte, die der alte Strauss gern vermissen lässt, macht Schreker zu seiner Paradedisziplin. Das ist einfach tolle und üppige Musik, die man als Klassikliebhaber unbedingt einmal gehört haben sollte. Da kann man nur hoffen, dass weitere Schreker-Produktionen folgen. Auch im von Richard Strauss geprägten München. Welch’ ein gelungener Abend!

Raphael Eckardt, 8. Juli 2017, für
klassik-begeistert.de

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