Der Sportwagen hat Sand im Getriebe

Anne-Sophie Mutter, Pittsburgh Symphony Orchestra, Manfred Honeck   Köln, Philharmonie, 5. September 2024

Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra in der Philharmonie.

Köln, Philharmonie, 5. September 2024

John Adams (*1947) – Short Ride in a Fast Machine
Felix Mendelssohn (1809-1847) – Violinkonzert e-Moll op. 64
Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 1 D-Dur

Anne-Sophie Mutter, Violine
Pittsburgh Symphony Orchestra
Manfred Honeck, Dirigent

Anne-Sophie Mutter © Christian Palm

 von Brian Cooper, Bonn

Es war sicherlich ein guter Abend, vielleicht ein sehr guter. Aber so herausragend, wie es die Ovationen vermuten ließen, war’s keineswegs. Das Pittsburgh Symphony Orchestra unter Leitung seines Music Director Manfred Honeck, den ich überaus schätze, habe ich schon besser gehört.

Wäre das Konzert bloß so gut gewesen wie der letzte Satz der Mahler-Sinfonie und die beiden Zugaben, könnte man wirklich von einem hochkarätigen Abend sprechen. So aber blieb es einfach nur ein guter Abend von vielen, an dem lediglich die äußeren Umstände – die Westdeutsche Konzertdirektion feiert jeckes 111. Jubiläum, elegantes Publikum, ausverkauftes Haus, das Foyer ist mit Luftballons verziert, es gibt einen Infostand und in der Pause Kaltgetränke aufs Haus, guter Sekt, danke dafür – Galastimmung verbreiteten.

Schon das kurze Stück zu Beginn, John Adams’ geniales Short Ride in a Fast Machine, wirkte merkwürdig blutleer. Der italienische Sportwagen, der Adams zu diesem Stück inspirierte, schien irgendwie Sand im Getriebe zu haben, oder aber die Handbremse war nicht ganz gelöst, was am durchaus langsameren Tempo liegen könnte, als man es etwa von der rasanten Rattle-Aufnahme mit dem CBSO gewohnt ist. Es war gut gespielt, ohne Zweifel, wirkte aber hölzern. Oder – bleiben wir im Bild – wie ein solider, etwas langweiliger Mittelklassewagen, der einen dennoch ans Ziel bringt.

Star des Abends war Anne-Sophie Mutter, die eine reizvolle Lesart des Violinkonzerts e-Moll op. 64 von Felix Mendelssohn bot. Besonders gut gefielen Passagen zum Ende der ersten beiden Sätze, wo die Solistin, ansonsten wie gewohnt technisch brillant und mit feinem Gespür für jegliche Subtilitäten der Partitur, fahl und vibratoarm spielte, was den Effekt nachdenklichen Innehaltens hatte.

Nur im Zusammenspiel mit dem Orchester klappte nicht alles. Man sollte im Idealfall dem Stück nicht anhören, wie schwer es ist. Und doch hörte man das an diesem Abend deutlich, etwa wenn das Orchester der Solistin für Sekundenbruchteile hinterherhechelte. Im dritten Satz hingegen, teuflisch schwer, teuflisch schnell gespielt, gab es eine deutliche Steigerung in der Qualität des Zusammenspiels. Besonders toll waren hier die elfenhaften Stellen, so typisch Mendelssohn, der ja so gut für Holzblasinstrumente komponierte.

Der Saal tobte schon zur Pause. Vor der Zugabe erinnerte Frau Mutter in einer kurzen Ansprache an den Einmarsch der Wehrmacht in Polen vor 85 Jahren. In der Welt tobten derzeit etwa 200 Kriege, so die Geigerin, genau in diesem Augenblick stürben Menschen, während wir, Musiker wie Publikum, privilegiert und in Frieden den Abend begingen. John Williams’ Thema aus Schindlers Liste, „allen unschuldigen Seelen gewidmet“, wurde anschließend von der Solistin einfühlsam gespielt und vom Orchester warm begleitet.

Gustav Mahlers 1. Sinfonie schien zu Beginn merkwürdig unkonturiert, was sich bei der Wiederholung des „Ging heut’ morgen übers Feld“-Themas besserte. Der Einleitung jedoch mangelte es für meine Begriffe an Inspiration, Natur, Mysterium, Morgentau. Im zweiten Satz irritierten plötzliche accelerandi und Bremsmanöver – auch hier war das Fahrzeug, um im obigen Bild zu bleiben, nicht tadellos gewartet worden. Es ruckelte ein wenig.

Der sehr gute Kontrabass-Solist ließ sich vom Zwischenapplaus nach dem zweiten Satz – den hatte es auch nach Satz 1 gegeben – nicht aus der Ruhe bringen und absolvierte souverän das Frère Jacques in Moll. Highlights hier waren das exzellente Holz sowie die beiden Mittelteile: der erste schön tänzerisch; der zweite, in G-Dur, mit zartestem piano, über dem die Oboe aufs Schönste anrührendes Wehklagen verbreitete.

Grandios geriet indes der Finalsatz – auch hier übrigens vornehmlich die leisen Stellen. Wie inzwischen üblich, standen die acht Hörner auf der Zielgeraden auf – aber warum dann nur eine Trompete und eine Posaune?

Endlich war das Orchester auf Betriebstemperatur, und von mir aus hätte das Konzert nochmal von vorn losgehen können. Schönster Grieg (Morgenstimmung mit herrlicher Soloflöte) und ein phänomenaler Auszug aus dem Rosenkavalier brachten den Abend zu einem starken und herrlich derben Ausklang.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass ich innerhalb von nur einer Woche mit den Wiener Philharmonikern und dem Gewandhausorchester die absolute Weltklasse gehört hatte, deren Musizieren nur so glänzt und funkelt. Vielleicht fällt auch deswegen der Pittsburgh-Eindruck etwas dagegen ab.

Ein ganz großes Lob an das sehr junge Pärchen neben mir, das aufmerksam der Sinfonie lauschte, ohne ein einziges Mal zum Smartphone zu greifen. Stattdessen hielten sie Händchen. Ein schönes Bild.

Dr. Brian Cooper, 6. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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