Musikfest Bremen: „Auf der Überholspur“

Anton Mejias, Klavier, Tarmo Peltokoski, Dirigent, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen  Oldenburgisches Staatstheater, 21. August 2024

Mejias Peltokoski v2 © Jiyang Chen Peter_Rigaud

Nach dem nur ansatzweise zufriedenstellenden Klavierkonzert Nr. 4 von Beethoven sorgt die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit den Sibelius-Sinfonien Nr. 6 und 7 für exquisiten Hörgenuss 


Ludwig van Beethoven:
Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58
Jean Sibelius: Sinfonien Nr. 6 d-Moll op. 104 und Nr. 7 C-Dur op. 105

Anton Mejias Klavier
Tarmo Peltokoski Dirigent
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

Oldenburgisches Staatstheater, 21. August 2024

von Dr. Gerd Klingeberg

Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 ist – so ganz anders als die heroisch monumentale Nr. 5 – insgesamt lyrischer, verinnerlichter, zeitweise fast wie aus einer anderen Welt.

Das verdeutlicht der in Finnland aufgewachsene Pianist Anton Mejias bereits durch die zarten, fast schon zögerlich angeschlagenen Eingangstöne. Die Ausführungen des hochkonzentriert agierenden, gerade einmal 23-jährigen Solisten sind präzise und klar strukturiert, niemals dahingehuscht; schnelle Läufe und Figurationen kommen tadellos akkurat, die Übergänge mit dem Orchester erfolgen perfekt. An seiner profunden Spieltechnik gibt es wahrlich nichts auszusetzen. Jedoch wirkt vieles allzu rational angegangen, hat kaum Tiefgang, nur wenig Spannung, die sich mitteilt.
Die Sätze 2 und 3 starten erneut hoffnungsvoll, doch auch hier bleibt der Spannungsbogen begrenzt; es ist vielmehr das Orchester, das unter dem souverän geführten Dirigat des nur wenig älteren, ebenfalls aus Finnland stammenden Tarmo Peltokoski etwa mit markant differenzierter Dynamik und sorgsam gesetzten Akzenten für eine intensivere Steigerung sorgt. Das Gesamtergebnis bleibt interpretatorisch nur bedingt zufriedenstellend; für eine überzeugendere Gestaltung wäre im Hinblick auf Mejias’ fraglos hohes pianistisches Potenzial deutlich mehr nötig und möglich gewesen.

Was dann beim Oldenburger Publikum für ausgelassenen Jubel und Heiterkeit sorgt, ist die Zugabe: der Libertango von Astor Piazzolla. Ist zwar argentinisch, passt dennoch optimal zu den zwei jungen Starmusikern, die aus einem Land mit großer eigener Tango-Tradition kommen.

Mejias startet allein, nach ein paar Takten gesellt sich Peltokoski dazu. Vierhändig bringen sie eine ungemein fetzige Version auf die Bühne und liefern gleich noch eine slapstick-verdächtige Performance beim Umschlagen der widerspenstigen Notenblätter, ohne sich dabei auch nur im Mindesten im Spielfluss irritieren zu lassen. Chapeau!

Die zweite Konzerthälfte gehört dem großen finnischen Komponisten Jean Sibelius. Allerdings nicht mit bekannten Werken wie seinem Violinkonzert, der Karelia-Suite oder seinem wohl größten Hit Finlandia. Sondern mit den beiden nur selten zu hörenden Sinfonien Nr. 6 und 7, die in der Darbietung der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Peltokoskis dezidierter Stabführung zu einem höchst exquisiten Hörerlebnis werden.

Die viersätzige Nr. 6, entstanden unter dem Eindruck des Todes des „geliebten Bruders Christian“, verbreitet von Beginn an eine eigentümliche, fast schon sphärisch anmutende Stimmung. Breite Klangflächen entstehen, wallen auf, verdüstern sich, feierliche Blechbläserhymnen wechseln mit folkloristisch-tänzerisch Passagen und Einsprengseln von Naturlauten, jazzig Schwungvolles mit sakral Feierlichem, auf Trauer folgt Zuversicht. Immer neue Bilder werden vermittelt, oft nebulös, kaum greifbar, schon wieder verschwunden. Wer nach vertrauten kompositorischen Strukturen, etwa einer Sonatensatzform, sucht, tut dies zumeist vergeblich; Sibelius hat seine ganz eigenen kompositorischen Wege.

Dem Orchester gelingt es ausgezeichnet, die Vielzahl scheinbar unzusammenhängender, dennoch organisch miteinander verwobener Sequenzen eindrucksvoll zu vermitteln in einem faszinierenden Kaleidoskop aus nuancierter, von aquarellös luzid bis ölfarben-opak reichender Farbgebung. Das ist Hochspannung pur, mal ausgelöst durch ein alles überrollendes Donnergetöse, mal, wie etwa beim Finale, durch ein allmählich ersterbendes, ungemein ergreifendes Pianissimo, das die Zuhörer für geraume Zeit in totaler Stille innehalten lässt.

Die in jeder Hinsicht gleichermaßen überzeugende Interpretation der einsätzigen Sinfonie Nr. 7 verstärkt noch diesen Effekt. Anfangs weltabgewandt ruhig, mit einem sehnsuchtsvollen Rückblick auf Vergangenes, folgen zunehmend lebhaft aufblitzende, scharfkantig ausgeführte und sich bis ins Tumultuarische steigernde Ausbrüche, changierend zwischen heiter anmutendem Pulsieren und energischem Aufbäumen. Die Blechbläser übertönen das volle Tutti, bis das spektakuläre orchestrale Drama langsam in sich zusammenfällt. Ein letztes wuchtiges Aufbäumen, Schluss.

Nein, noch nicht ganz; denn das vom begeisterten Oldenburger Publikum frenetisch gefeierte Ensemble legt noch Sibelius’ wunderschönes Andante Festivo nach: mit gewaltigen, breit fließenden Legato-Harmonien, zu Herzen gehend ausdrucksintensiv und schließlich kulminierend in einem fulminanten Finalakkord.

Ein Abschluss vom Allerfeinsten, wie er schwerlich besser hätte gelingen können.

Dr. Gerd Klingeberg, 22. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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