Antonín Dvořák – Rusalka
Musikalische Leitung – Andris Nelsons
Inszenierung – Martin Kušej
Der Prinz – Dmytro Popov
Die fremde Fürstin – Nadia Krasteva
Rusalka – Kristine Opolais
Der Wassermann – Günther Groissböck
Die Hexe – Helena Zubanovich
Der Förster – Ulrich Reß
Der Küchenjunge – Tara Erraught
- Waldnymphe – Evgeniya Sotnikova
- Waldnymphe – Rachael Wilson
- Waldnymphe – Alyona Abramowa
Ein Jäger – Sean Michael Plumb
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerische Staatsoper, 18. Juni 2017
Von Maria Steinhilber
Ein wolkenfreier Himmel und eine noch strahlend, wärmende Abendsonne am Max-Josephs Platz in München sind gute Boten dafür, dass Antonín Dvoráks „Rusalka“, ein lyrisches Märchen in drei Akten, in der Bayerischen Staatsoper ein großer Erfolg werden kann.
Langsam flimmernd geht der riesengroße Kronleuchter an der Decke aus, und es erklingt die Ouvertüre. Tief romantische Arpeggien fließen auf der Harfe auf und ab. Das Horn webt diesen Klangteppich weiter. Eine träumerische Naturstimmung spinnt sich langsam durch den Raum. Das bayerische Staatsorchester dirigiert und führt Andris Nelsons. Die märchenhafte Stimmung ist von der ersten Sekunde an zu spüren, und sie mutiert gekonnt in feinste Töne.
Der Vorhang öffnet sich, und eine Alpenlandschaft als Kulisse ist erkennbar. Die Bühne fährt nach oben, und eine zweite Welt ist sichtbar: die der Nixen, Meerjungfrauen und Wassermänner. Der Boden, auf dem diese Wesen stehen, ist glitschig und rutschig, denn mindestens 10 Zentimeter Wasser stehen darauf. Drei Nixen robben, tanzen und planschen auf der nassen Münchner Bühne. „Ho Ho Ho – Wassermann fang uns doch“ singen sie neckisch. Schon in den ersten zehn Minuten präsentiert sich eine anzügliche Inszenierung. Nach und nach beginnt der Wassermann, Günther Groissböck, sich an seinen Meereswesen zu vergreifen. Verkraften das die eingesessenen Münchner?
Die Musik fordert vom ersten Moment an dazu auf, die Perspektive Rusalkas einzunehmen. Nach ein paar Takten setzen im Vorspiel Flöte, Klarinette und Geigen voller Schwermut zu dem Motiv an, dass sehr schnell als Rusalkas Motiv auszumachen ist. Traurig und sehnsüchtig erklingt diese Melodie im schwermütigen c- Moll. In nur acht Takten erzählt Dvorák Rusalkas ganzes Schicksal.
Langsam erwacht die schlafende Rusalka. Der Weltstar Kristine Opolais, die lettische Sopranistin, die Ehefrau des Dirigenten Andris Nelsons, zieht die Spannung des Publikums an sich. Sie verblüfft und verzückt die Hörer mit Sinnlichkeit und Charme. Zuletzt brillierte sie als Rusalka an der Metropolitan Opera in New York. Endlich beginnt sie zu singen. Leider ohne Spannung und Kraft. Gegen das Orchester kommt sie noch nicht an. Dieses zeigt sich heute zwar wirklich weltklasse, aber eigentlich müsste dieser Weltstar weltklasse sein.
Die indisponierte Rusalka wird in einem blau funkelnd und glitzernden Paillettenkleid von dem Wassermann vergewaltigt. Es arpeggiert die Harfe, sie stimmt ihr „Lied an den Mond“ an. Völlg durchnässt singt Opolais dieses Schmankerl und überzeugt leider auch dabei nicht. Ihre tiefe Lage ist kaum hörbar und sie kämpft, um das gewünschte Volumen zu erreichen. Die Energie fehlt noch.
München sei Opolais Lieblingsbühne. Und die Rusalka-Produktion Martin Kašejs ihr Favorit. Die Inszenierung zeigt, dass es zwischen allen Menschen- und Naturwesen auf der Bühne nur eine gibt, die wahrhaftig bleibt: Rusalka. Man wollte sie brechen, aber als Unantastbare bleibt sie übrig. Kristine Opolais bezeichnet sich selbst als Extremistin. Sie zittert auf der Bühne. Bei jeder Vorstellung stellt sie sich vor, es sei die Letzte. Alles ist echt, pur und sie öffnet ihre Seele. Sie gibt sich ihrer Rolle umfassend hin, vom Anfang bis zum Ende. Und selbst, wenn sie bis jetzt noch nicht stimmlich überzeugte – das Publikum verzeiht ihr alles –: sie leuchtet durch ihre Rolle hindurch.
Rusalka geht ihrem größten Wunsch nach und besucht die Hexe Ježibaba, um sich von ihr in einen Menschen verwandeln zu lassen. Helena Zubanovich gibt die Hexe und jagt mit ihrem Mezzopower fast alle von der Bühne. „Noch etwas Drachenblut und zehn Tropfen Galle“, lispelt sie und verwandelt Rusalka auf einer Liege in einen Menschen. In einem rosa Blumenkleid stolpert diese dann in die neue Welt, die es für sie ab jetzt zu erkunden gilt.
Schnell trifft Rusalka den Prinzen, in den sie sich schon als Nixe verliebt hat; für ihn bringt sie das Opfer, Mensch zu sein. Sie überlässt der Hexe ihre Stimme. Dmytro Popov strahlt und brilliert mit seinem Tenor und ist als Prinz begeistert von Rusalkas Schönheit. Doch diese leidet unter der Verwandlung, wilde Gedanken irren durch ihren Kopf. Die Sopranistin verkörpert das sagenhaft. Die lettische Sängerin singt zwar nun eine ganze Weile nicht mehr, aber sie singt durch ihre Augen. Durch die Energie und Autorität ihrer Schauspielkunst steht sie im Mittelpunkt der Aufführung auch ohne zu singen.
Weil die schöne Rusalka stumm ist, verzweifelt der Prinz. Schnell lässt er sich von einer Fürstin verführen. Kušejs Inszenierung zeigt der beiden wildes Liebesspiel am hinteren Ende der Bühne. Rusalka muss dies mit Erschrecken beobachten. Lichtspiele und fallende Wände verstärken ihre Gefühlswelt. Diese Inszenierung trifft das Publikum kollektiv ins Mark.
Die Sopranistin steht währenddessen durchgehend auf der Bühne. In Aktion, aber verstummt. Ohne stimmliche Präsenz beginnt sie dann wieder. Mit ihrem Brautkleid sitzt sie in einem kleinen Aquarium. Rusalka tritt, nass von Kopf bis Fuß, in einem fast durchsichtigen weißen Kleid aus dem Aquarium heraus und beginnt zu singen. Nach mindestens 40 Minuten Schweigen ist es nicht leicht, auf Anhieb wieder Spitzentöne zu treffen. Sie trifft diese, aber noch nicht befreit und gelöst.
Kristine Opolais rennt auf der Bühne auf und ab. Sie liebt und schwärmt auf der Bühne. Sie verstummt auf der Bühne, sie spielt auf ihr, sie gibt alles und sie macht den Bühnenboden zu ihrem eigenen. In ihr steckt eine wahre Schauspielerin. Endlich brilliert sie! Ihre Stimme fließt befreiter und kräftiger. Verzweifelt sucht der Prinz seine verstoßene geliebte Rusalka, denn er verspürt Reue. Er erbittet dann ihren tödlichen Kuss. Rusalka wird dadurch aber nicht erlöst und muss den Menschen als Irrlicht ewig Verderben bringen.
Die Violinen und die Harfe arpeggieren ein letztes Mal. Nelsons gibt ein elegantes Zeichen und schlagartig geht das Licht aus. Opolais’ Stimmnot im ersten Teil ist vergessen. Dank ihres dynamischen Singens hat das Publikum ihre Timbrierung zwischen weichem Mitgefühl und Heftigkeit genossen. Man sah, hörte und spürte die Tränen im Klang. Opolais’ Weh fließt noch Sekunden nach dem Ende schillernd durch die Bayerische Staatsoper.
Maria Steinhilber, 18. Juni 2017, für
klassik-begeistert.de