Antrittskonzert: Christian Thielemann präsentiert mit der Staatskapelle Berlin ein ungewöhnliches Programm

Antrittskonzert Christian Thielemann, Berliner Staatskapelle, Igor Levit, Klavier  Philharmonie Berlin, 8. Oktober 2024

Foto: Christian Thielemann und sein Vorgänger Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin (c) Matthias Creutziger

Zu Antrittskonzerten präsentieren sich Dirigenten in der Regel mit sinfonischen Paradestücken, um in ihre kommende Ära einzustimmen sowie Thielemann einst in München und Dresden. Seine genialen Bruckner-Interpretationen von damals sind mir noch bestens in Erinnerung, das waren sehr beseelte Abende. Zu seinem Einstand als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper servierte er schwerere Kost- dies freilich auf einem Silbertablett.

Samy Moussa: Elysium für Orchester
Felix Mendelssohn Bartholdy: Klavierkonzert Nr. 2 d-moll op. 40
Arnold Schönberg: Pelleas und Melisande op. 5

Zugabe:

Johannes Brahms: Intermezzo op. 117 Nr. 1

Igor Levit, Klavier

Staatskapelle Berlin
Christian Thielemann, musikalische Leitung

Philharmonie Berlin, 8. Oktober 2024

von Kirsten Liese

Er hatte im Vorfeld durchaus angekündigt, sich auf bislang weniger bekanntes Terrain zu begeben, auf eine vergleichsweise spröde Musikauswahl ausgerechnet zum Antrittskonzert war ich dann aber doch nicht gefasst.

Überraschend gefiel mir tatsächlich das Stück am besten, von dem ich es am wenigsten erwartet hätte: das Elysium des Kanadiers Samy Moussa, das, weitgehend angenehm tonal, mit vielen lichten Klängen energetisch stark anspricht. Vor dem inneren Auge tut sich regelrecht die prächtige Sagrada Familia in Barcelona auf, das die Inspiration dazu gab, wo es 2021 von den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann zur Uraufführung gelangte. In diesem sakralen Bau wird es sicherlich atmosphärisch noch weitaus stärker gewirkt haben, aber auch in der Berliner Philharmonie entfaltet das meditativ anmutende Tongemälde mit sonnigen Harmonien, imposanten Steigerungen und halbtönigen Streicher-Glissandi dazwischen einen starken Reiz.

Mendelssohns zweites Klavierkonzert zündete weniger. An dem Orchester und dem Dirigenten lag das nicht, vielmehr an dem Solisten, der vor allem mit dem Vortrag des ersten Satzes nicht überzeugte. Die virtuosen Passagen darin wirkten leicht überhastet, so manche Passage mit schweren Blockakkorden überdosiert im Pedal.

Und spielte das Orchester ohne ihn, drehte sich Levit auf seinem Stuhl demonstrativ zum Orchester, was vielleicht ausdrücken sollte, wie er mit der Musik mitgeht. Aber das hatte doch eher den etwas aufgesetzten Charakter einer Show. Im langsamen Satz konnte Levit zumindest seine lyrischen Qualitäten in Ansätzen entfalten, auch wenn er mir – dies allerdings nach erstmaligem Hören und ohne einen Vergleich mit anderen Interpreten – im Melodischen weniger reizvoll erscheint als das Adagio in Mendelssohns erstem Klavierkonzert g-moll mit seinem zärtlichen Thema, das zunächst die tiefen Streicher einleiten und dann vom Klavier übernommen wird.

© Matthias Creutziger

Bezeichnenderweise hat Menahem Pressler, der sich schon als junger Pianist, lange bevor er zu einer Ikone der Kammermusik wurde, Mendelssohns Klaviermusik widmete, nur dieses erste, so stark berührende Konzert aufgenommen, das mir  auch in den Ecksätzen noch mehr zusagt. Jedenfalls gewann man nicht so recht den Eindruck, dass Levit und Thielemann, seit einiger Zeit als ziemlich beste Freunde mit Brahms’ Klavierkonzerten unterwegs, in diesem Stück eins wurden. Der Finalsatz mutete vielleicht noch am organischsten an, die von diesem Presto ausgehende sommernachtsträumerische Leichtigkeit kam seitens des pianistischen Vortrags etwas zu kurz.

Am besten gefiel mir Levit an diesem Abend mit seiner Zugabe, dem ersten unter den Brahms’ Intermezzi op. 117. Das musizierte er wunderbar intim und beseelt wie die Bach/Busoni Choräle, die er in so berührender Weise aufgenommen hat, dass sein Tonmeister in dem Film „Igor Levit-No Fear“ dazu sagte, das könne man nicht schöner spielen.

© Robbie Lawrence

Wenn ich ehrlich bin, hätte ich mir nach der Pause ein Werk gewünscht, das anrührt und beseelt wie dieses kurze Brahms-Intermezzo.

Diese Erwartung löst Arnold Schönbergs sinfonische Dichtung Pelleas und Melisande bei mir nicht ein, diese durchgängig eher laute Musik, aus der ich nur ein einziges eingängiges Triolenmotiv heraushöre, tönte in meinen Ohren recht spröde. Das liegt ganz gewiss nicht an Christian Thielemann, der sich am Pult der Berliner Staatskapelle ins Zeug legt wie immer, entsprechend die große Leidenschaft exponiert, die sie bestimmt, differenziert dynamisiert und koloriert, den Instrumenten, die solistisch hervortreten wie Englischhorn, Fagott, Cello und Bratsche, atmosphärisch den roten Teppich ausrollt, dafür das übrige Orchester zurücknimmt.

Vor allem bewundere ich den Kapellmeister dafür, dieses Stück mit seiner sehr komplexen Polyphonie sogar auswendig zu dirigieren. Chapeau, besser lässt sich dieses Stück vermutlich gar nicht wiedergeben.

Politisch gesehen verstehe ich sehr gut, was Thielemann zu dieser Stückauswahl bewogen haben mag: Anders als in Wien, wo ihm Publikum und Presse zu Füßen liegen, sieht sich der Konservative in seiner Berliner Heimat immer mal wieder völlig unbegründet in die rechte Ecke gestellt.

Thielemann-Antrittskonzert-Berlin (c) Matthias Creutziger

Zumal wenn Wagner, Liszt oder Richard Strauss auf dem Programm stehen. Mit Musik jüdischer Komponisten, dazu noch flankiert von dem Linken Levit als befreundetem Solisten und Daniel Barenboim, der am ersten Konzertabend in der Staatsoper zugegen war und zum Ehrenmitglied des Hauses ernannt wurde, lässt sich solchen Vorurteilen klug der Wind aus den Segeln nehmen.

Bei dem aufgeschlossenen, Schönberg-affinen Berliner Publikum, das die Tondichtung mit emphatischem Beifall honorierte, traf Thielemann bei alledem einen Nerv. Und so bescherte dieser Abend ungeachtet der musikalischen Vorlieben der Rezensentin der Hauptperson des Abends den gewohnten Erfolg!

Kirsten Liese, 9. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dieses Konzert lief auch am Vortag, Dienstag, 7. Oktober 2024, in der Staatsoper Unter den Linden, Berlin.

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