Christian Thielemann © Matthias Creutziger
Es ist ein großes Glück, dass dieses Konzert wie die noch anstehenden letzten dieser Tournee von der bevorstehenden gesundheitlichen Zwangspause des Pultstars noch nicht betroffen sind.
Leicht humpelnd kommt Thielemann auf das Podium, aber schonen tut er sich nicht, durchlebt die Bruckner’schen Steigerungen mit einem Höchstmaß an Elan, erscheint nach dem Scherzo ziemlich durchgeschwitzt. Nein, ein unscheinbares Jugendwerk gilt es nicht zu erleben, sowieso nicht, da Bruckner bereits 41 Jahre alt war, als er die Sinfonie schrieb, vielmehr einen Koloss.
Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann Dirigent
Werke von
Robert Schumann und Anton Bruckner
Berliner Philharmonie, 15. September 2024
von Kirsten Liese
Anton Bruckners Sinfonien Nr. 1 und 2 sowie die Nullte gelangen selbst im Bruckner-Jahr nur selten zur Aufführung. Aber wenn es einen gibt, der sich gerade mit diesem Frühwerk ausgiebig beschäftigt hat und dezidiert für deren Entdeckung einsetzt, ist es Christian Thielemann.
Eine zyklische Einspielung sämtlicher elf Bruckner-Sinfonien samt Studiensinfonie mit den Wiener Philharmonikern auf Bluray in der Corona-Zeit gab den Anstoß für seine Beschäftigung mit diesen Werken, um die selbst ein so genialer Bruckner-Dirigent wie Sergiu Celibidache einen Bogen machte.
Schon bei seinem diesjährigen Konzert mit den Berliner Philharmonikern im Frühjahr hatte Thielemann zwei frühe Werke, weiland die Nullte und die Studiensinfonie, im Gepäck.
Für die Tournee mit den Wienern, die von Grafenegg über Stationen in Luzern, Luxemburg und Dortmund nun zum Musikfest in Thielemanns Berliner Heimat führte, war die Wahl auf die erste Sinfonie gefallen. Sie erscheint mir insgesamt ein wenig spröder als die Nullte, vor allem das Adagio prägt sich beim ersten Hören nicht so leicht ein wie die langsamen Sätze der späteren Sinfonien mit ihren herrlichen lyrischen, ariosen Themen. Der Kopfsatz allerdings, der rhythmisch sehr prägnant einsetzt, und insbesondere das Scherzo tönen bereits so ausgereift, dass sich – wüsste man es nicht besser – annehmen ließe, sie gehörten schon zum Spätwerk des Komponisten.
Ein kühnes, resolutes Rumoren bestimmt diesen Satz, der mit seinem starken Drive an das berühmte Scherzo aus der Neunten erinnert und sich ohrwurmartig ebenso schnell im Kopf einnistet. Dies freilich auch dank des packenden Zugriffs durch Thielemann und den brillanten, schlank-kompakten Klang des Orchesters. Ungemein vital tönt das, wobei sich die starke Energetik des Dirigenten auf jeden einzelnen Spieler überträgt.
Thielemann, der gerade Wagners Ring-Zyklus an der Mailänder Scala wegen einer anstehenden Operation abgesagt hat, mit dem er dort sein lang erwartetes Debüt geben wollte, schont sich an diesem Berliner Abend nicht. Es ist ein großes Glück, dass dieses Konzert wie die noch anstehenden letzten dieser Tournee von der bevorstehenden gesundheitlichen Zwangspause des Dirigenten noch nicht betroffen sind.
Leicht humpelnd kommt Thielemann auf das Podium, durchlebt die Bruckner’schen Steigerungen aber mit einem Höchstmaß an Elan, erscheint schon nach dem Scherzo ziemlich durchgeschwitzt. Nein, ein unscheinbares Jugendwerk gilt es nicht zu erleben, sowieso nicht, da Bruckner bereits 41 Jahre alt war, als er die Sinfonie schrieb.
Auf alle Fälle ist hier wahrlich ein Koloss zu erleben, großformatig, majestätisch und voller Wucht. Und umschmeichelt das Ohr doch einmal eine liebliche, lyrische Melodie, dann sind es nicht selten Klarinette und Flöte, die vom Komponisten solistisch reich bedacht wurden. Und hier und da macht Bruckners ungewöhnliche, innovative Instrumentationskunst Staunen, wenn er über mehrere Takte zwei so ungleiche Instrumente wie Flöte und Horn in einen Dialog treten lässt. Nicht zuletzt angesichts der wenigen Töne, die die Flöte da umspielt, eine recht bizarre Stelle.
Bruckner voraus ging an diesem Abend Schumanns erste, die sogenannten Frühlingssinfonie, und das nicht nur einfach so. Tatsächlich lassen sich so manche Parallelen zwischen den beiden Ersten ausmachen, und das vor allem im Hinblick auf die Scherzi. Zwar tönt es bei Schumann weniger motorisch als bei dem spätromantischen Kollegen aus Oberösterreich, als vielmehr majestätisch, unbedingt gemeinsam aber ist ihnen die resolute Bestimmtheit im Vortrag der Streicher.
Thielemann ist weise genug, sich von dem juvenilen Überschwang, der in dieser Sinfonie zweifellos steckt, die Schumann innerhalb weniger Tage im Alter von 31 Jahren schrieb, nicht zu einer allzu euphorischen Interpretation hinreißen zu lassen. Vielmehr entdeckt er in der Partitur bereits Vorboten der späteren Lebenskrise des Komponisten, die sich in seinem Musizieren mit den Wienern in einer gewissen Strenge an den Forte-Stellen und nervöser Unruhe im Larghetto andeuten.
Und damit sind wir schon wieder bei Anton Bruckner, der freilich ebenso beispielhaft dafür steht, wie dicht Schaffenskraft und Krise mitunter beieinander liegen, was sich bei ihm freilich darin ausdrückte, dass er nahezu alle seine Sinfonien, verunsichert von der Kritik, mehrfach umarbeitete.
Am Ende verdienter Jubel für einen packenden Abend, der einem das Frühwerk Bruckners eindrücklich ans Herz legt. Es wäre zu begrüßen, dass seine ersten drei Sinfonien doch weitaus häufiger im Konzert erklingen!
Kirsten Liese, 17. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Christian Thielemann Konzert am 4. September 2024 im Wolkenturm, Grafenegg