Englischer Humor vom Feinsten: Der "Mikado" in der English National Opera

Arthur Sullivan (Music), W.S. Gilbert (Text), The Mikado or: The Town of Titipu  English National Opera London, 10. November 2019

Fotos: © ENO.org
English National Opera London, 10. November 2019
Arthur Sullivan (Music), W.S. Gilbert (Text), The Mikado or: The Town of Titipu

von Charles E. Ritterband

Die English National Opera (ENO) im London Coliseum, nur ein paar Schritte vom Trafalgar Square – 1904 errichtet und mit seinen 2359 Plätzen, rund 100 mehr als die Royal Opera, das größte Theater der Theatermetropole London – erfreut ausnahmslos mit kreativen, farbenfrohen, intelligenten und hochmusikalischen Produktionen. Neuerdings wird es ermöglicht, begleitende Kinder unter 18 kostenlos in die Vorstellungen mitzunehmen – eine großzügige, ja geradezu geniale Maßnahme, um einer heranwachsenden Generation die Schwellenangst vor der Oper zu nehmen und den Publikumsnachwuchs sicherzustellen. Konsequent durchgehaltene Politik der ENO ist es, sämtliche Opern in englischer Übersetzung zu bringen. Das mag noch angehen bei Wagner, bei italienischen Opern tut man sich schwer. Deshalb geht man in der ENO unbedingt zu Händel-Opern, natürlich auch, wie kürzlich erlebt, zu Porgy and Bess – aber am allerliebsten zu den köstlichen, so typisch englischen Meisterwerken von Gilbert and Sullivan.
Als deren bekanntestes mag (neben dem ebenso bekannten „The Pirates of Penzance“) „The Mikado“ gelten – mit zündenden Melodien und einer typisch surrealistisch-absurden Handlung in bester englischer Tradition. Parodie und Humor bilden die Substanz der Werke von Gilbert and Sullivan, die man als die englische Version der Operette bezeichnen kann – der Komponist Sullivan wäre dann der englische Jaques Offenbach, der englische Johann Strauß. Und kein bisschen weniger zündend uns spritzig als seine Wiener bzw. französisch-deutschen Kollegen. Arthur Sullivan war zweifellos der bedeutendste englische Komponist seiner Zeit – und William Schwenck Gilbert (1836 – 1911) war der wichtigste englische Dramatiker seiner Generation. Zusammen produzierte das erfolgreiche, kongeniale Team 14 komische Opern.

Das Thema wird bald offensichtlich: Nur vordergründig geht es im „Mikado“ um eine Phantasie-Japan, ebenso vordergründig wie in Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ um die griechische Mythologie – in Wahrheit handelte es sich bei diesen Werken (wie ja auch in der „Fledermaus“) um Zeit- und Gesellschaftskritik mit unüberhörbar politischen Untertönen – um Parodien der macht- und titelbesessenen und zugleich prüden viktorianischen Gesellschaft. Und es ist denn auch Tradition, im berühmtesten Couplet, der „little List“ der Übeltäter im „Mikado“ aktuelle Namen und Fakten einzuflechten. Dass dabei der Premier Boris Johnson als „dieser blonde Populist in Downing Street“ zur Kasse kam, war unvermeidlich.

Die Inszenierung aus dem Jahr 1986 des großen internationalen Opernregisseurs Jonathan Miller ist ein – gewissermaßen unsterblicher – Klassiker. Das Bühnenbild (Stefanos Lazaridis) und die Kostüme (Sue Blane) sind nahezu ganz in Weiß gehalten (inclusive die Palmen) – und das Ganze erinnert an ein elegantes Luxushotel aus den 20er Jahren samt einem Heer von Pagen (mit weißen Käppis natürlich) und Zimmermädchen. Und vor allem von umwerfender Komik – englischer (rabenschwarzer) Humor vom Besten, surreal, absurd und vor allem geistreich!

Überragend in jeder Beziehung – stimmlich mit sonorem Bass, ganz großer Stimme und schauspielerisch hervorragend – der Bass und Wagner-Interpret John Tomlinson in der unendlich komischen Rolle des (kostümmässig überdimensionierten) Mikado. Tomlinson konnte ein kleines Jubiläum feiern: seine 50. Rolle an der ENO. Nanki-Poo, der Sohn des Herrschers, verkörpert vom großartigen walisischen Tenor Elgan Llyr Thomas sang das wohlbekannte „wandering minstrel“ mit gehörigem tenoralem Schmelz und adäquater Sentimentalität, der „Lord High Executioner“ Ko-ko die berühmte „kleine Liste“ mit umwerfender Komik. Nicht minder humorvoll Andrew Shore als „Lord High Everything Else“. Eine wunderschöne, ebenmässig glatte Stimme) bot die junge englische Sopranistin Soraya Mafi als Yum-Yum in ihrer subtilen Arie „The Sun whose Rays“ – Sonne deren Strahlen…

Temperamentvolles Orchester, präzise und humorvoll choreographierte Tanznummern (Choreographie: Anthony van Laast). Ein durch und durch englisches Meisterwerk – von der ENO authentisch und perfekt aufgeführt.

Dr. Charles E. Ritterband, 12. November 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dirigent: Chris Hopkins
Inszenierung: Jonathan Miller
Bühne: Stefanos Lazaridis
Kostüme: Sue Blane
Chöre: James Henshaw
Choreographie: Anthony van Laast
Der Mikado: John Tomlinson
Nanki-Poo (sein Sohn): Elgan Llyr Thomas
Ko-ko (Lord High Executioner): Richard Stuart
Pooh-Bah (Lord High Everything Else): Andrew Shore
Yum-Yum: Soraya Mafi
Katisha (an elderly lady): Yvonne Howard

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