Asrael, Legende in vier Akten von Ferdinando Fontana
Musik von Alberto Franchetti
Hermes Helfricht, Dirigent
Beethoven Orchester Bonn
Chor des Theater Bonn
Extrachor Extrachor des Theater Bonn
Asrael: Peter Auty
Nefta: Svetlana Kasyan
Loretta: Khatuna Mikaberidze
Lidoria: Tamara Gura
Il Padre/Lucifer/Il Re: Pavel Kudinov
Theater Bonn, 16. Oktober 2022 Premiere
von Jean-Nico Schambourg
Alberto Franchetti wurde 1860 in Turin geboren als Sohn eines reichen Geschäftsmanns jüdischer Abstammung. Seine Mutter, die aus der Wiener Rothschild Familie stammte, förderte seine Musikbegabung. Nach Kompositionsstudien in München bei Joseph Rheinberger und in Dresden bei Felix Draeseke kehrte Franchetti nach Italien zurück um sich der Komposition von Opern zu widmen.
Er zählte neben Pietro Mascagni, Giacomo Puccini und Ruggero Leoncavallo zu den größten Talenten der damaligen italienischen Komponistenwelt. Franchetti wurde oft als “moderner italienischer Meyerbeer” bezeichnet. Er selbst war ein großer Wagnerfan. In seiner Musik, so sagt man, verband er die Ideen Wagners und Meyerbeers mit dem italienischen Verismus.
Die Aufführung seiner ersten Oper “Asrael” 1888 am Teatro Municipale in Reggio Emilia war ein grosser Erfolg, so dass der Musikverlag Ricordi das Stück gleich in seinen Katalog aufnahm und Franchetti unter Vertrag nahm. Von Ricordi angeregt, arbeitete er auch an einer Oper namens “Tosca”, deren Libretto dann aber an Giacomo Puccini weitergegeben wurde.
Franchetti wurde von Giuseppe Verdi sehr geschätzt, der ihn der Stadt Genua vorschlug als Komponist einer Oper zur 400-Jahre-Feier der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus,“Cristoforo Colombo”, uraufgeführt 1892. Seine bekannteste Oper “Germania” wurde 1902 an der Mailänder Scala unter der Leitung von Arturo Toscanini uraufgeführt.
Die letzte Aufführung von “Asrael” fand 1926 in Treviso statt. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurden seine Werke nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und der Faschisten später in Italien verboten.
Albert Franchetti verstarb 1942 in Viareggio.
Zur Geschichte der Oper “Asrael”: Nach seiner Verschleppung in die Unterwelt versucht Asrael dort vergeblich seine angeblich getötete Geliebte Nefta zu vergessen. Dafür wird er von Gott verdammt. Er bekommt von Luzifer jedoch eine “Ausreisegenehmigung” aus der Hölle auf ein Jahr, um auf der Welt eine reine Seele für die Unterwelt zu gewinnen. Zur gleichen Zeit bekommt seine Geliebte Nefta, nach Fürsprache der Gottesmutter Maria, vom Himmel die Erlaubnis, auf der Welt eine verirrte Seele für den Himmel zu retten. Nach einigem Hin und Her zwischen der heiratsunwilligen Königstochter Lidoria und der Zigeunerin Loretta, findet Asrael seine geliebte Nefta in der Gestalt der Schwester Clotilde wieder. Diese überredet ihn zum Beten, womit er die Vergebung Gottes erlangt.
Dieses “außerirdische” Stück hat das Regieteam um den Regisseur Christopher Alden in ein Familienhaus gesteckt, wo Himmel und Hölle, wie so oft im tagtäglichen “irdischen” Leben, innerhalb einer Familie aufeinander treffen. Da ist der strenge Familienvater, der den Sohn als Ex-Offizier zum “richtigen” Manne erziehen will. Er übernimmt sowohl die Rollen von Gott als auch Luzifer. Dann die Mutter (Statistenrolle), die die künstlerischen Begabungen der Kinder fördert und an der Brutalität ihres Mannes scheitert. Sie übernimmt die Rolle der Gottesmutter Maria. Die drei Mädchen verkörpern drei verschiedene Frauentypen: Lidoria die Feministin, Loretta die Künstlerin und Nefta die Religiöse. Dazwischen der Sohn als Engel und Dämon: hingezogen zur künstlerisch sensiblen Liebe der Mutter, abgestoßen von den inzestuös–pädophilen Tendenzen des Vaters und doch immer auf der Suche nach Anerkennung und Liebe.
Das Szenenbild wechselt zwischen Dachboden, Zimmer und Keller des Familienhauses, die die verschiedenen Ebenen von Himmel, Erde und Hölle darstellen (Bühnenbild: Charles Edwards). Dies ermöglicht jeweils einen schnellen, übergangslosen Wechsel zwischen den verschiedenen Ebenen und Szenen. Die Kostüme von Sue Willmington sind an die Entstehungszeit der Oper angelehnt.
Großartig der Einfall den Chor auf den Balkon im Publikum zu platzieren. Gemäß Regisseur personifiziert er “die Stimmen in ihren Köpfen”. Der Zuschauer erlangt aber hierdurch auch das Gefühl Teil dieser Stimmen zu sein, die sowohl als Engelschar als auch Teufelspack fungieren. Der Chor und Extrachor des Theater Bonn verdient sich hier ein großes Lob. Ihr kraftvolles und sensibles Singen entspricht diesen Aspekten vollkommen.
Auch die Blechbläser des Beethoven Orchesters spielen zeitweise vom Seitenbalkon und, bei geöffneten Türen, von außerhalb des Saales, was den Eindruck des Zuhörers verstärkt, sich mitten in Hölle, Himmel oder weltlicher Aktion zu befinden.
Dem Dirigenten Hermes Helfricht gelingt es dabei keine Diskrepanzen zwischen Bühne, Orchestergraben und den verschiedenen “Außenstellen” aufkommen zulassen. Er leitet sein Orchester mit präziser Hand durch diese teils klang-schwellige, teils sehr sensible Partitur. Dabei werden die Sänger selten zugedeckt.
Diese werden auf der Bühne angeführt von dem Tenor Peter Auty in der Rolle des Asrael. Wie so oft im italienischen Verismo, liegen große Teile der Tenorpartie im für den Sänger unbequemen Übergangsbereich, was das Singen zu einer noch größeren körperlichen Anstrengung gestaltet. Peter Auty hat dies stimmlich und schauspielerich gut gemeistert. Mit ihrer farbenreichen Sopranstimme singt Svetlana Kasyan eine sensible, lyrische, aber zum Schluss stimmlich zupackende Nefta / Schwester Clotilde. Die beste stimmliche Leistung des Abends erbrachte meines Erachtens Khatuna Mikaberidze in der Rolle der Loretta. Mit ihrer schönen, runden Mezzostimme erfüllte sie sowohl den Part einer feurigen Zigeunerin, als auch denjenigen einer erst verliebten, dann betrogenen Künstlerin. Tamara Gura sang die Lidoria gut, war stimmlich jedoch ein wenig zurückhaltender als die Rolle es verlangt und wurde manchmal vom Orchester überdeckt. Pavel Kudinov verlieh seinen mehrteiligen Rollen als Vater, Luzifer, Gott und Brabantkönig eine passende, etwas knorrige Bassstimme.
Am Ende gab es vom Publikum einstimmigen Applaus für alle Beteiligten! Ah nein, es gab ein kurzes Buh für das Regieteam. Den Freuden musikalischer Entdeckungen kann ich diese Produktion jedenfalls wärmstens empfehlen (läuft bis Mitte Januar 2023). Der Erfolg gibt dem Opernhaus Bonn recht, verschollene Werke wieder aufleben zu lassen.
Ich freue mich jedenfalls schon auf “Siberia” von Umberto Giordano (ab 12. März 2023) und “Der singende Teufel” von Franz Schreker (ab 21. Mai 2023).
Jean-Nico Schambourg, 17. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at