… da verschmerzt man auch mal einen kalorienarmen, durch den Multi-Zerkleinerer gejagten Rachmaninow.
Cristian Măcelaru © Thomas Brill
Kennen Sie das? Sie haben ein großes Konzert-Abonnement, aber irgendwie ist bei acht oder gar zehn Konzerten immer ein Abend dabei, der Sie nicht so recht inspiriert und Sie überlegen, ob sie die Karten nicht besser im Freundeskreis weiterreichen. Gründe, daheim zu bleiben gibt’s immer: Ein Dirigent ist bekannt dafür, übertrieben verkopft zu sein. Sogenannte Neuentdeckungen vergessener Komponisten können schwierig sein, es muss doch seinen Grund haben, dass die so selten gespielt werden. Und bei modernem Repertoire hat so mancher schon mal sein blaues Wunder erlebt, gar türknallend den Saal verlassen. Bei Wundertüten ist bekanntlich das Aufreißen der schönste Moment, der Inhalt aber meistenteils wenig nachhaltig. Hätte man sein Taschengeld bloß anders ausgegeben. Gilt das auch für Konzert-Abos?
NDR Elbphilharmonie Orchester
Cristian Măcelaru, Dirigent
Martin Fröst, Klarinette
Constantin Silvestri (1913 – 1969) – Drei Stücke für Streichorchester op. 4/2
Anna Clyne (*1980) – Weathered für Klarinette und Orchester
Sergej Rachmaninow (1873 – 1943) – Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 44
Elbphilharmonie, Großer Saal, 13. Juni 2024
von Jörn Schmidt
Constantin Silvestri fällt gleich in zwei der vorgenannten Kategorien, seine Drei Stücke für Streichorchester werden selten gespielt und wurden Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts komponiert. Außerdem war Silvestri kein Vollzeit-Komponist, sondern hauptberuflich Kapellmeister. Der Komponist Silvestri hat sich bei der Arbeit an der Volksmusik seiner rumänischen Heimat bedient, da passt es gut, dass der Dirigent des Abends, Cristian Măcelaru, ebenfalls Rumäne ist.
Stilistisch ist das Werk schwer einzuordnen, es sollte vermutlich einfach nur verschiedene Stile, Farben und Rhythmen effektvoll in einen vor sich hinträumenden Fluss bringen. Diese Einschätzung ist keineswegs kritisch angehaucht, in der Lesart Măcelarus gerieten die Drei Stücke zu einer schwärmerischen Liebeserklärung an Rumänien. Überhaupt nicht verkopft übrigens.
Die Ankündigung im Programmheft zu Weathered, ein von Anna Clyne für und im engen Austausch mit Martin Fröst komponiertes Werk für Klarinette und Orchester, hat das Potential, altgediente Abonnenten in Angst und Schrecken zu versetzen: „Schönheit des Verfalls“ sei das Motto. Beim Verleger Boosey & Hawkes hat die Komponistin erläuternde Composer’s Notes hinterlegt. Weathered ist natürlich kein Wetterbericht. Es geht darum, zum Tönen zu bringen, was passiert, wenn man Elemente, hier Metall, Herz, Stein, Holz und Erde, der Verwitterung preisgibt:
“These weathered elements are both beautiful and poignant; a rusted bridge, a broken heart, a wind-worn castle, a majestic forest, and a warming planet.” Besonders spannend ist, wie ein gebrochenes Herz bei Martin Fröst klingt. Eher feinfühlig-nervös und flehend, in den Improvisationen dann einen Touch verletzt-schrill. Der letzte Satz soll dann den Bogen spannen zwischen den fünf Sätzen bzw. Elementen.
Das weltanschauliche Konzept der Komponistin ist klug, das Konzert mahnt als Klammer für alle Sätze Nachhaltigkeit an: “Weathered also touches on our collective global experiences of the COVID pandemic and the alarm of global warming.” Die Trompeten schlagen im fünften Satz prächtig Alarm, auch sonst hatte die Interpretation eine sogartige Wucht, allerdings bleiben viele Beziehungen der Elemente untereinander hintergründig: Soll ein Herz wirklich nachhaltig gebrochen werden? Das kann doch nun wirklich keiner wollen. Im Übrigen galt: MARTIN FRÖST RULES.
Obwohl beide Werke vor der Pause auffallend, wenn nicht gar überraschend melodienreich waren, mutet das Hauptwerk des Abends wie eine Entschuldigung dafür an, dass bislang unbekanntes bzw. modernes Repertoire auf dem Zettel stand. So wie in jeder Wundertüte doch ein Treffer ist, damit man immer wieder brav zum Point of Sale zurückkehrt. Denn Sergej Rachmaninows Sinfonie Nr. 3 gilt gemeinhin als unkomplizierter Hörgenuss, ein süffiger Schmachtfetzen. Das Werk bietet indes jenseits spätromantischer Leichtigkeit schattige Untertöne und kompositorische Raffinesse.
Măcelaru weiß darum natürlich, er möchte all dies hörbar machen, allein das geriet zu Lasten des Ausdrucks. Um das Genie des Komponisten herauszuarbeiten, setzte Măcelaru auf eine Art Friss-die-Hälfte-Diät oder aber, weniger plump, Maß und Mitte. Dem Orchester verlangte das kammermusikalische Tugenden ab, im Ergebnis klang es spaßbefreit, gar angestrengt, so wie auch eine Diät keinen Spaß macht.
Das ging auch zu Lasten des großen Bogens, je mehr Details herausgearbeitet wurden, je zerhackter klang dieser Rachmaninow. Hinzu kam, dass, zumindest vorne im Parkett, die scharfen Streicher zu Lasten des Blechs dominierten. Măcelaru hätte da steuernd eingreifen müssen, aber vielleicht fehlte auch ein erfahrener Konzertmeister. Das kann man aber natürlich ganz anders sehen, unstreitig ist nur:
Keine Angst vor Wundertüten-Konzerten! Es ist immer was für jeden dabei…
Jörn Schmidt, 13. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Das Konzert wird am Sonntag, 16. Juni 2024, um 11:00 Uhr wiederholt.