Auf den Punkt 16: Die große Turangalîla-Liebe gab es nur in der Laeiszhalle, in der Elbphilharmonie ist es einfach zu kalt

Auf den Punkt 16: Die große Turangalîla-Liebe gab es nur in der Laeiszhalle… klassik-begeistert.de, 18. Juni 2024

Sylvain Cambreling © Daniel Dittus

Im Vorfeld des Turangalîla-Experiments der Symphoniker Hamburg habe ich Sylvain Cambreling und Nathalie Forget gefragt, wo Messiaens Turangalîla-Sinfonie besser klingen wird: In der Elbphilharmonie oder der Laeiszhalle? 

Montagabend habe ich  die Seiten gewechselt und mich der eigenen Frage gestellt.

Symphoniker Hamburg
Sylvain Cambreling – Dirigent

David Kadouch - Klavier
Nathalie Forget - Ondes Martenot

Olivier Messiaen – Turangalîla-Sinfonie für Klavier, Ondes Martenot und Orchester

Laeiszhalle, Großer Saal, 16. Juni 2024

Elbphilharmonie, Großer Saal, 17. Juni 2024

von Jörn Schmidt

Der orchestrale Aufwand ist immens, wenn man die Turangalîla-Sinfonie aufführen möchten. Die Elbphilharmonie ist damit zunächst klar im Vorteil. Dirigent und Orchester können es dort auch bei der größten Massierung der Kräfte so richtig krachen lassen, da fällt kein Putz von der Decke. Als die Laeiszhalle am 4. Juni 1908 festlich eingeweiht wurde, war sie zwar das größte und modernste Konzerthaus Deutschlands.

Die Uraufführung der Turangalîla-Sinfonie fand indes rund 40 Jahre später statt, am 2. Dezember 1949 in Boston durch das Boston Symphony Orchestra unter dem Dirigenten Leonard Bernstein. Die Laeiszhalle wusste beim Eröffnungskonzert also noch gar nicht, was da auf sie zukommt.

Olivier Messiaen selbst bezeichnete sein Werk als „Liebesgesang“ bzw. „Freudenhymne“, wobei der französische Komponist Liebe  allumfassend verstanden wissen wollte. Von rein bis handfest. Es geht in der Sinfonie aber auch um Natur, Menschen und Menschheit. Wie auch im übrigen Werk Messiaens  spielen Vögel dabei eine große Rolle. Julia Spinola hat dazu in der NZZ (Neue Zürcher Zeitung) einst wunderschön ausgeführt:

Die Vögel, deren vielfältigen Gesang Messiaen in ornithologischen Studien ausgiebig studierte, erscheinen in seinen Werken als Sendboten des Himmels.“ Und folgerte daraus: „Als synästhetisch begabter Mystiker der Ekstase, tiefgläubiger Katholik und grundstürzender Avantgardist in einer Person wagte sich Messiaen mit frappierender Direktheit an die Beantwortung letzter Fragen: Wie klingt die göttliche Liebe?

Hier muss die Antwort anknüpfen, wo Turangalîla besser geklungen hat. Liebe ist nie kalt, sie klingt warm. Das gilt auch für die Natur, gerade für die Sendboten des Himmels. Oder haben Sie jemals gedacht, wenn sie morgens von einem göttlichen Vogelkonzert geweckt werden, dass das irgendwie kalt klingt? Ihnen quasi einen eisigen Schauer über den Rücken jagt?

Eben, natürlich nicht, und darum gehört die Turangalîla-Sinfonie für Klavier, Ondes Martenot und Orchester unbedingt in die Laeiszhalle. Dort hat es einen wunderschönen warmen Mischklang, egal wo man sitzt. Das wärmte das Herz. Daran fehlt es in der Elbphilharmonie, da klang die Liebe plötzlich ganz anders. Vielleicht spektakulärer, desgleichen euphorischer, aber eben auch ziemlich kalt.

Auch sonst waren es zwei verschiedene Interpretationen. Die Elbphilharmonie ermöglich es bekanntlich, jedes noch so kleine Detail hörbar zu machen. Da ist die Versuchung groß, diesen Trumpf auszuspielen, was zu langsameren Tempi führte. Die dynamischen Möglichkeiten wurden dagegen nicht vollständig ausgereizt. Da wäre noch mehr gegangen, an Lautstärke. Nur die Ondes Martenot klangen hüben wie drüben gleich. Jeder liebt halt anders, das hätte Messiaen gefallen.

Jörn Schmidt, 17. Juni 2024, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: Jörn Schmidt im Gespräch mit Sylvain Cambreling und Nathalie Forget – Teil 1 klassik-begeistert.de, 12. Juni 2024

Jörn Schmidt im Gespräch mit Sylvain Cambreling und Nathalie Forget – Teil 2 klassik-begeistert.de, 13. Juni 2024

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