Auf den Punkt 17: Omer Meir Wellber besteht die Mozart-Mutprobe an der Staatsoper Hamburg

Auf den Punkt 17: Omer Meir Wellber besteht die Mozart-Mutprobe an der Staatsoper Hamburg  klassik-begeistert.de, 22. Juni 2024

© Hans Jörg Michel

Mit den drei Mozart-Da Ponte-Opern ist das so eine Sache. Alle kennen und mögen sie, aber wenn es dann losgeht auf der Bühne, ist mancher schnell gelangweilt. Das liegt auch daran, dass die Opern eine ziemliche Länge haben. So wie bei Wagner, aber eben ohne Wagner’sches Überwältigungspotenzial. Insofern ist es mehr als wacker von Omer Meir Wellber, der nächstes Jahr neuer Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg wird, die Wiederaufnahme einer Così fan tutte zu leiten, die seit 8. September 2018 auf dem Programm steht. Eine Mutprobe, möchte man meinen. Das muss man sich erstmal trauen, bei dem brutal Rezitativ-lastigen, gerne mal einschläfernden zweiten Akt.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Così fan tutte
Text von Lorenzo Da Ponte

UA 26. Januar 1790, Wien  (Altes Burgtheater am Michaelerplatz)

Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg
Omer Meir Wellber – Musikalische Leitung
Herbert Fritsch  – Inszenierung und Bühnenbild

Staatsoper Hamburg, 20. Juni 2024

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertexten

von Jörn Schmidt

Louis Lohraseb hat diese Spielzeit mit einer anderen Mozart-Da Ponte-Wiederaufnahme (Le nozze di Figaro)  bereits gezeigt, wie Mozart ohne Langeweile geht. Mit Karajan’schen Klangideal statt blutleerem, sich historisch informiert gebendem Dirigat. Und mit viel Humanität, die auf der Liebe zu allen Menschen fußt. Dazu habe ich ein recht umfangreiches Interview mit dem jungen Dirigenten geführt. Sie können das hier bei Klassik-begeistert nachlesen.

Lohraseb ist, wenn man so will, ein stiller Diener Mozarts, der aus allen Musikern ein Maximum an Mozart-Liebe herauskitzeln möchte. Der Anti-Langeweile-Ansatz von Omer Meir Wellber geht in die entgegengesetzte Richtung, er setzt auf Effekte, wie es seit Nikolaus Harnoncourt Best Practice ist: zügige Tempi, harsche Akzente und kühle Emotionalität.

Harnoncourt wusste um die Gefahren der historischen Aufführungspraxis: „Wenn man zu viel Wissen hineinsteckt, kann es unheimlich trocken sein. Es ist zwar alles richtig, aber was herauskommt, ist Staub.“ Nikolaus Harnoncourt versuchte dieser Gefahr zu entgehen, indem er auch Orchester dirigierte, die der Verwendung von Darmsaiten oder Naturhörnern usf. kritisch gegenüberstanden. Bei den Wiener und Berliner Philharmonikern wie auch dem Koninklijk Concertgebouworkest war er stets gern gesehen. Dort konnte er sich immer wieder selbst hinterfragen. Die Orchester übrigens auch.

© Hans Jörg Michel

Omer Meir Wellber mag seinen Mozart staubtrocken, das rockt natürlich irgendwie. Nur die Rezitative, die mag er warm-volltönend. Also weder Spinett noch Continuo, Klavier war zur Begleitung der Sänger angesagt. Sicherheitshalber übernahm der Chef daher selbst die Rezitative, er dirigierte vom Klavier aus, und wie ein ungeduldiges Kind griff er bereits während der Ouvertüre in die Tasten. Das zog er übrigens durch bis zum Schluss.

Alles nur Effekthascherei, um gut beim Publikum anzukommen? Ja, was Inszenierung und Bühnenbild von Herbert Fritsch betrifft. Wer nicht begriffen hat, dass Così fan tutte eine Opera buffa ist, dem wurde mit dem Holzhammer nachgeholfen. Gleiches gilt für die eine oder andere Eigenwilligkeit der  Sänger. Zu viel aufgesetzter Humor geht fast immer in die Hose. Hinzu kommt, dass mir Omer Meir Wellbers Mozart-Stil so gar nicht liegt. Gelangweilt habe ich mich an diesem Abend trotzdem nicht. Wieso nur, hat Humor vielleicht eine andere, viel weisere Dimension?

Omer Meir Wellber weiß genau, was er will. Er strahlt das mit sportlich-eleganter Dominanz aus. Selbst mit kleiner Geste macht er eine Vielzahl von unmissverständlichen Ansagen, was Einsätze, Tempo, Dynamik usf. betrifft. Vermutlich versteht er keinen Spaß, wenn jemand nicht mitzieht und sich nicht einordnet. Wie ein Kapellmeister früherer Generationen, nur dass deren vor sich her getragene Strenge heute keiner mehr hinnimmt. Oder würden Sie sich von Sir John Eliot Gardiner eine langen lassen, nur weil sie sich gerade auf der Bühne verlaufen haben?

Ein Orchester auf seine Seite zu ziehen, ist heutzutage also gar nicht so einfach. Auch an der Staatsoper Hamburg gibt es so einige gescheiterte Orchester-Dirigent-Beziehungen. Mit ein paar flotten Witzchen kommt man da nicht weiter, mit Ohrfeigen schon gar nicht. Allzu anbiedernd sollte man aber auch nicht sein, das muss Klaus Mäkelä vielleicht noch lernen. Da hilft nur, das, was man einfordert, auch vorzuleben. Dann ziehen die Musiker mit, wie auch Wellber weiß.

Aber ich vermute, er hat eine weitere scharfe Waffe im Köcher. Die Josef Joffe in seinem Buch gleichen Titels wärmstens anempfiehlt: „Der jüdische Humor als Weisheit, Witz und Waffe“. Nur eine Waffe taugt also? Hierfür trete ich wie folgt Beweis an.

„Urkundenbeweis“: Wellber ist auch Schriftsteller, er hat bereits einen Roman veröffentlicht. „Die vier Ohnmachten des Chaim Birkner“ ist zwar keine Komödie, aber der Titelheld, eine Art Lügenbold, nimmt das Leben erstaunlich leicht. Gerade, wenn es hart auf hart kommt. Da hilft natürlich eine gehörige Portion ausgesuchten  Humors.

„Augenscheinsbeweis“: Trotz einer gewissen Angespanntheit – immerhin galt es, den neunen Chef für sich einzunehmen –  herrschte im Orchestergraben recht gute Laune. Das sieht man viel zu selten in Hamburg, sogar lachende Gesichter waren am Donnerstag zu erkennen. Insbesondere unter den altgedienten Staatsorchester-Haudegen. Das erreicht man in Hamburg sonst nur mit Lachgas, hört man zuweilen. Oder eben mit viel Lebensweisheit, aus der sich feiner, scharfsinnig-pointierter Humor speist. Und mit der Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können.

© Hans Jörg Michel

Beispiel gefällig? Als es auf der Bühne mal wieder überspannt ausgelassen zuging, griff Wellber demonstrativ zu seiner Brille und setzte sich diese tatsächlich auf die Nase. Als ob er sagen wollte: Seht her, da drüben wird’s gerade lustig, da habe ich jetzt gar nicht mit gerechnet…

Setzt man seine Waffen wie Omer Meir Wellber richtig ein, dann haben plötzlich alle gute Laune, die ansteckend ist und sich vom Orchester auf die Bühne überträgt. Vor dort auf das Publikum und desgleichen auf mich. Das ist schon mal ein Anfang, Mozart-Mutprobe bestanden.

Jörn Schmidt, 22. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart & Lorenzo Da Ponte, Così fan tutte Wiener Staatsoper, 16. Juni 2024 (Premiere)

Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte Welsh National Opera WNO, 23. März 2024

Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte Aix-en-Provence, THÉÂTRE DE L’ARCHEVÊCHÉ, 11. Juli 2023

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