Auf den Punkt 19: Mottoparty in der MUK

Auf den Punkt 19: Mottoparty in der MUK  klassik-begeistert.de, 30. Juni 2024

Musik- und Kongresshalle Lübeck © Olaf Malzahn

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Rasmus Baumann / Dirigent
Nils Mönkemeyer /  Viola

Antonín Dvořák (18411904) / Die Mittagshexe · Sinfonische Dichtung für Orchester op. 108

Paul Hindemith (18951963) / Der Schwanendreher · Konzert nach Volksliedern in drei Sätzen für Viola und Kammerorchester

Alexander von Zemlinsky (18711942) / Die Seejungfrau · Fantasie in drei Sätzen für Orchester

Musik- und Kongresshalle Lübeck, Konzertsaal, 30. Juni 2024

 von Jörn Schmidt

Das Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck hatte zum Saisonschluss eine schöne Idee, eine Mottoparty. Das ist eine Determinativkompositum aus den Wörtchen Motto und Party. Also eine Feier, die einer bestimmten Thematik gewidmet ist. Wer über bescheidene Mittel verfügt, bittet  die Besucher, sich entsprechend zu kleiden. Gastgeber, die auf sich halten, gestalten die Örtlichkeit entsprechend. Das Theater Lübeck hatte es noch eine Nummer größer, man fuhr ein groß besetztes Orchester auf und präsentierte einen Mottoklangrausch.

Irgendwie scheinen Mottopartys aus der Mode gekommen, jedenfalls habe ich lange keine solche  Einladung mehr erhalten. Das kann aber auch daran liegen, dass ich da gerne mal in der Ecke gesessen und beobachtet habe, was die Gäste sich so haben einfallen lassen. Man kann als Rezensent eben nicht aus seiner Haut, aber den Humor versteht dann eben nicht jeder auf Anhieb. Auf die Lübecker Mottoparty habe ich mich daher selber eingeladen, sonst hätte ich was verpasst.

Das Motto lautete am Sonntagvormittag: Märchen. Als Kind wundert man sich, warum es für Märchen keine FSK gibt. So blutrünstig geht es da zu, außerdem haben die handelnden Personen durchweg charakterliche Schwächen. Bei  Dvořák zum Beispiel, da droht eine überforderte Mutter dem ungezogenen Kind, dass die Mittagshexe kommt, wenn es nicht endlich brav ist.

Die Hexe kommt dann tatsächlich, und das Kind ist trotz Gegenwehr der Mutter schnell weg. Bereits zur besten Mittagszeit, beim zwölffachen Schlag der Glocke. Das Freudengeschrei der Hexe ist groß, sowas möchte man sich gar nicht ausmalen. Aber anhören möchte man sich das, es ist eine Freude, wie sich aus der Idylle heraus der Schrecken ausbreitet. Rasmus Baumann lässt die Hexe anschleichen, das  Aura- und Hexen-Motiv wird geschickt gesteigert. Am Ende möchte man sich gar mit der Hexe abklatschen, so einen Sog konnte die sinfonische Dichtung entfalten. Warum können Kinder nicht einfach mal brav sein.

Dem Schwanendreher liegen altdeutsche Volkslieder zugrunde, namensgebend war das Lied „Seid ihr nicht der Schwanendreher„. Geht es da um den Pfleger, der sich um die Hamburger Alsterschwäne  kümmert? Oder doch eher um einen eiskalten Kochgehilfen, der gebratene Schwäne über dem Rost dreht? Paul Hindemith lässt das offen, vermutlich weil er in seinem Werk in eindringlicher Weise seine bedrängte Situation im Nazi-Deutschland schildert. Das blieb seinerzeit wohlweislich unausgesprochen, aber Nils Mönkemeyer bringt es zum Klingen.

Seine Viola klingt kernig-dunkel, dabei so extrem wuchtig, dass man denkt: Wenn sich jetzt ein Schwan auf die Bühne verirrt und das Konzert stört, der Mann wird dem Tier doch glatt den Hals um… Doch dann entfaltet der Bratschenklang seinen Zauber. Wie viel Zärtlichkeit verbirgt sich hinter der dunklen Fassade, und welche Palette an Klangfarben. Der Schwan hätte sich safe gefühlt auf der Bühne und gleich noch seine Kinder mitgebracht. Solche Märchenstunden braucht es mehr.

Versprach wenigstens das Hauptwerk ein Happy End? Seejungfrau klingt ja erst mal ganz idyllisch. Aber der Eindruck täuscht, die Meerjungfrau verliebt sich in einen Menschen und gibt dafür die Gabe des Sprechens auf.  Am Ende ist sie tot, sie endet als Schaum auf den Kronen der Wellen. Richard Strauss und  Hans Christian Andersen hatten Alexander von Zemlinsky zu der sinfonischen Fantasie inspiriert. Das garantiert einen höchst  romantischen Klangrausch.

Die Frage ist bei orchestraler Opulenz  allein, was Orchester und Dirigent daraus machen. Es ist ein guter Rat, auf Partys Maß zu halten. Der Kater am nächsten Tag ist gar nicht cool. Und wenn man dann noch mit steigender Nervosität seine Geldbörse suchen muss: Auweia. Aber ein Klangrausch, das kann  eine angenehme Sache sein. Wenn man weiß, wie’s geht.

Rasmus Baumann behielt den Überblick, strukturierte und gestaltete die Klangmassen gekonnt. Im Übrigen ließ er die Zügel locker, man will ja keinem die Saisonabschluss-Party versauen und den Partycrasher geben.

Die Musiker dankten es mit Kondition und Konzentriertheit bis zum Schluss. Und mit Präzision an den leisen Stellen,  das gefiel Baumann besonders. Im Gegenzug gönnte er dem Orchester so manches Forte.
Genuss ohne Reue.

Jörn Schmidt, 30. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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