Auf den Punkt 29: Wegen Geringer Auslastung – AIDA und die Pausen-Einlasskontrollen in der Staatsoper Hamburg

Auf den Punkt 29: Geringe Auslastung… Pausenkontrollen  klassik-begeistert.de, 24. Oktober 2024

La clemenza di Tito @ 2024 Hans Jörg Michel

In der letzten Folge meiner Kolumne habe ich zur Wiederaufnahme von Mozarts La clemenza di Tito an der Staatsoper Hamburg geschrieben. Mir hat es gefallen, das können Sie hier bei klassik-begeistert nachlesen. Einen Aspekt möchte ich heute nachtragen. Nach der Pause [sic!], auf dem Weg zurück von der Bar in den Saal, wurde ich aufgefordert, meine Konzertkarte vorzuzeigen. Wenn Sie jetzt denken, na prima, das ist wieder einer meiner Späße. Dann kann ich anwaltlich versichern, dass dies die Wahrheit ist und nichts als die Wahrheit.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) / La clemenza di Tito

Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg
Ben Glassberg / Musikalische Leitung
Jetske Mijnssen / Inszenierung

Staatsoper Hamburg, 22. Oktober 2024

von Jörn Schmidt

Auf meinen freundlichen Hinweis hin, dass ich mich bereits vor Beginn der Oper legitimiert hätte, wähnte ich die Angelegenheit erledigt. Ich wurde indes recht streng aufgefordert, nun bitte die Karte vorzulegen. Mir stellte sich die Situation als Generalprobe für den 1. April 2025 dar, eine Pausen-Einlasskontrolle hatte ich bislang nicht erlebt. Und das war nicht mein erster Opernbesuch.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Staatsoper Hamburg  hat Pausen-Einlasskontrolle eingeführt als Reaktion auf eine eher geringe Auslastung. Jetzt mache ich aber wirklich Spaß, meinen Sie? Mitnichten! Aber der Reihe nach.

Die junge Dame an der Einlasskontrolle war möglicherweise nicht geschult, wie man mit begriffsstutzigen, aber ziemlich treuen Operngängern umgeht. Erst ein Gespräch mit einer weiteren Saalordnerin brachte Klärung. Momentan nähme bei schlecht verkauften Aufführungen die Unsitte Überhand, dass Inhaber von Karten niederer Preiskategorie nach der Pause ins teure Parkett strömen. Das sei zu unterbinden, daher die strenge Kontrolle.

Das ist legitim, als Anwalt kann ich zu keiner anderen Einschätzung kommen. Aber auch aus anderer Perspektive leuchtet mir ein, dass man dem Preiskategorie-Hopping Einhalt gebietet. Der Opern- und Konzertbetreib ist ohnehin schon hochsubventioniert. Sich günstige Karten zu kaufen in der Absicht und auch in dem Wissen, sich eigenmächtig in Preiskategorie 1 umzuplatzieren zu können, ist ein Stück weit unverschämt.

Oder, wie ich präzisieren möchte: Es ist unverschämt, wenn man grundsätzlich die Mittel hätte, Karten einer höheren Preiskategorie zu kaufen. Sonst ist neben dem Steuerzahler der Ehrliche mal wieder der Dumme. Denn Ehrlich und Nicht-ganz-so-ehrlich sitzen dann eben beide Preiskategorie 1 mit dem Unterschied, dass Nicht-ganz-so-ehrlich noch Geld für den Pausenwein übrig hat.

© Westermann, Staatsoper Hamburg

Und sagen Sie jetzt bitte nicht, meine Einschätzung sei kleingeistig und viel zu preußisch. Dann fahren Sie doch mal den ganzen Tag mit der U-Bahn, quer durch alle Stadtteile. In der Tasche ein Einzelfahrschein „Kurzstecke“. Denn als Sparfuchs wissen Sie, dass ein Einzelfahrschein deutlich günstiger ist als eine Tageskarte.

Wenn das einem Kontrolleur auffällt, und Sie nicht einsehen, eine Buße zu zahlen, dann landen Sie früher oder später in einem deutschen Gerichtssaal. Wegen Beförderungserschleichung, was nach aktueller Rechtslage immer noch eine Straftat ist gem. § 265a StGB. Dann erklären Sie mal dem Richter, er sei ein kleingeistiger Preuße. Ich säße da gerne im Publikum, das wird ein Spaß.

An dieser Stelle wähnte ich mich am Ende meiner Kolumne, wenn da nicht Andreas Schmidt wäre. Mit dem Herausgeber von klassik-begeistert hatte ich vorab zum Thema gesprochen, auch aufgrund eines Leser-Kommentars. Und Andreas stellte mir eine kluge Frage: Statt auf die leeren Ränge mit Kontrollen zu reagieren, wäre es da nicht klüger, wenn die  Staatsoper Hamburg mit Herzblut für eine bessere Auslastung sorgt?

Die Antwort fällt eindeutig aus, es ist besser, leere Plätze zu verkaufen, als leere Plätze zu verwalten. Allein, was tun? Wir bei klassik-begeistert sind nicht nur selber klassik-begeistert, wir wollen auch andere für Klassik begeistern. Nicht zuletzt deshalb hatte ich über die Wiederaufnahme von La clemenza di Tito berichtet.

Nun bin ich nicht so vermessen zu denken, dass ich mit meiner Schreibe die Säle fülle. Aber fragen Sie sich selber. Sie lesen offensichtlich unseren Blog, warum gehen Sie dann am 26. Oktober nicht  in die Staatsoper Hamburg, da wird La clemenza di Tito wiederholt. Ich würde meinen, Ihr Abend gestaltet sich dann inspirierter, als vor dem Fernseher einzuschlafen. Plätze genug gibt es noch, nachstehend ein Screenshot aus dem Webshop der Staatsoper Hamburg (Parkett, Stand 24. Oktober 2024, 10:06 Uhr).

Zum Vergleich weiter unten ein Screenshot (ebenfalls Parkett, Stand 24. Oktober 2024, 10:06 Uhr) aus dem Webshop des Grand Théâtre de Genève. Dort wird am 25. Oktober 2024 ebenfalls La clemenza di Tito gegeben, mit Bernard Richter als Titus, der mit dieser Rolle anlässlich der Hamburger Premiere glänzen konnte. Es dirigiert Tomáš Netopil, von seinem Hamburger Jenůfa-Dirigat war ich seinerzeit begeistert. Milo Rau verantwortet die Inszenierung.

Größere Namen als in Hamburg, auf den ersten Blick jedenfalls. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, Plätze zu zählen. Sonst heißt es noch, ich sei ein Erbsenzähler. Aber gut verkauft ist das Genfer Haus  ebensowenig, wenn auch besser als in Hamburg. Von Ausverkauft sind beide Häuser aber weit entfernt.

Ich würde das so werten, dass die geringe Begeisterung für La clemenza im Grunde kein Problem der Inszenierung und ihrer Besetzung ist. Sondern es fehlt vielerorts an AIDA. Ich beziehe mich dabei nicht auf Verdis großartige Oper, sondern auf die AIDA-Formel, die beschreibt, wie man Kaufentscheidungen beeinflusst. AIDA ist ein Akronym  und steht für die Begriffe Attention, Interest, Desire und Action.

Das AIDA-Wirkungsprinzip beruht darauf, erst mal Aufmerksamkeit zu erregen, die im zweiten Schritt dann in Interesse an dem Produkt, hier der Oper, übergeht. Aufmerksamkeit und Interesse müssen so im Unterbewusstsein verankert werden, dass der unwiderstehliche Wunsch in Ihnen wächst, in die Oper zu gehen (Phase 3). Hat man so weit alles richtig gemacht, ist man beim vierten Buchstaben angelangt. Sie werden aktiv und kaufen im Webshop Opernkarten. Preiskategorie 1 natürlich…

Wie man AIDA richtig gut macht, das zu diskutieren würde den Rahmen dieser Folge sprengen. Aber kommentieren Sie doch bitte, welche  AIDA-Ideen Sie haben. Oder schreiben Sie uns, ob  Sie schon mal durch einen der klassik-begeistert-Artikel inspiriert wurden, in die Staatsoper Hamburg zu gehen. Das würde uns glücklich machen.

Jörn Schmidt, 24. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Auf den Punkt 28: La clemenza di Tito klassik-begeistert.de, 23. Oktober 2024

Auf den Punkt 27: Schrankwand-Vibes in der Laeiszhalle klassik-begeistert.de, 14. Oktober 2024

Auf den Punkt 26: Wie alt ist Tarmo Peltokoski wirklich? klassik-begeistert.de, 10. Oktober 2024

Ein Gedanke zu „Auf den Punkt 29: Geringe Auslastung… Pausenkontrollen
klassik-begeistert.de, 24. Oktober 2024“

  1. Das ist einfach nur dumm!
    Wenn die Plätze doch eh frei sind, warum die Leute dann nicht aufrücken lassen? Quasi als Werbung dafür, dass sie sich demnächst direkt von Anfang an die teurere Karte kaufen? Stattdessen wird hier das Publikum unter einen General-Betrugsverdacht gestellt und durch zusätzliche Kontrollen gegängelt, wobei mehr Mühe und Ungemach erzeugt wird. Mich würde das ärgern. Und wo Menschen sich ärgern, ärgern sich auch immer welche genug, um dann ganz weg zu bleiben. Das ist jedenfalls das genaue Gegenteil von gutem Marketing. Der Saal muss voll werden. Nicht leerer!

    Auch der Vergleich mit der Bahn hinkt gewaltig, denn mit einem Kurzstrecken-Ticket erwirbt man die Beförderungserlaubnis für eine kurze Strecke und damit auch eine kurze Zeit. Das Äquivalent wäre, wenn es in der Oper Kurzzeitkarten gäbe, die nur zum Besuchen eines Akts und nicht der ganzen Oper berechtigen würden. Da und NUR da wäre eine Pauseneinlasskontrolle auch sinnvoll.

    Was stattdessen ein funktionierender Vergleich wäre, ist der zwischen Fahrtkarten der ersten und der zweiten Klasse. Und hier ist es (zumindest bei uns) so, dass man auch mit Fahrschein für die 2. Klasse in die erste einsteigen darf, wenn der Zug sonst überfüllt ist. Wenn also sogar die Bahn, eines der national am desaströsten funktionierenden und gemanagten Unternehmen, das hinkriegt, wieso die Staatsoper Hamburg nicht?
    Lächerlich!

    Daniel Janz

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