Foto © Hans Jörg Michel
Ein magischer Abend, der auch das Publikum in seine Bann zog, es waren keine der zuweilen üblichen Störgeräusche von Husten bis Quasseln vernehmbar. Der Applaus fiel sehr freundlich aus und es gab nur ein vereinzeltes „Buh“ für Jetske Mijnssen beim ersten Vorhang. Wir glauben, die Magie steuerte Ádám Fischer bei.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
La clemenza di Tito
Text von Caterino Mazzolà (nach einem Libretto von Pietro Metastasio)
UA 6. September 1791, Prag (Altstädtisches Theater)
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertexten
Koproduktion der Staatsoper Hamburg, der Royal Danish Opera und der Opéra de Monte-Carlo
Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg
Ádám Fischer – Musikalische Leitung
Jetske Mijnssen – Inszenierung
Ben Baur – Bühne und Kostüm
Staatsoper Hamburg, 28. April 2024 (Premiere)
von Jörn Schmidt und Regina König
Erstochen, vergiftet, hingerichtet, schlecht gezielt im Duell oder einfach nur krank – Singspiele und Komödien einmal ausgenommen, stehen Tod und Verderben im Mittelpunkt der meisten gängigen Opern und bilden deren emotionalen und kompositorischen Höhepunkt. Selbst tot wird zuweilen gesungen.
Noch im Don Giovanni findet Mozart himmlisch schöne Töne, um die Bestrafung des Wüstlings mit dem Feuertod zu feiern: „Questo è il fin di chi fa mal! E de’ perfidi la morte alla vita è sempre ugual!” So ergeht es halt dem, der Böses tut. Nicht aber, wenn man es mit Titus zu tun bekommt. Er ist deutlich mehr Ungemach ausgesetzt, als Don Giovanni je verbreiten konnte. Von den Frauen hintergangen? Nun ja, so sind sie halt. Das Kapitol brennt? Nicht so schlimm, kann ja mal passieren. Ein Aufstand, angezettelt von Freunden? Muss man verstehen, die hatten ja ihre Gründe. Ein Mordkomplott? Nicht schön, aber ist ja gerade noch mal gut gegangen.
Einem Übermenschen gleich vergibt Titus noch die größten Bösartigkeiten und anders als seinerzeit branchenüblich, kommen die Wüstlinge mit dem Leben davon. Das passt gut zu den moralischen Anspruch der Opera seria, der Humanismus wird radikal abgefeiert. Gleichzeitig war La clemenza die Tito ein Auftragswerk, dessen Uraufführung am 6. September 1791 in Prag stattfand. Aus Anlass der Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen. Inmitten der zeitgleich stattfindenden Französischen Revolution, als es Königen und deren Getreuen an den Kragen ging. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Besser schon mal die Todesstrafe abschaffen, als selber auf dem Schafott zu landen.
Wie geht Jetske Mijnssen mit diesem Spannungsfeld um? Während andere Inszenierung jüngeren Datums Titus als Machtmenschen interpretieren, der den Humanismus für sich entdeckt, um an der Macht zu bleiben, gliedert Mijnssen die Oper in vier Schritte, die Titus zum Humanismus führen. Ihre Inszenierung ist dabei stark psychologisierend. Rezitative, die dem Konzept nicht dienen, werden dankenswerterweise gestrichen. Waren ja ohnehin nicht von Mozart.
Step 1 – Delizia: Titus lernt die Freude kennen, er feiert mit Freunden. Leider ist das nur eine kurze Episode in seinem Leben, nach der Ouvertüre ist es damit im Grunde schon wieder vorbei.
Step 2- Potenza: Titus lernt, an der Macht Gefallen zu finden. Diese Freude ebbt aber auch irgendwann ab, und er muss den nächsten Schritt gehen.
Step 3 – Tradimento: Irgendwie verändern sich alle, seit Titus an der Macht ist. Plötzlich dominiert überall Verrat, dem Titus nur mit viel Glück entgeht.
Step 4 – Clemenza: Titus flüchtet sich in Milde. Allen, die ihm Böses wollten, vergibt er.
Ist dies ein Sieg des Humanismus? So sieht es erst mal aus, es wird auf der Bühne sogar ein Bäumchen gepflanzt, das Humanismus heißt. Möge es wachsen und gedeihen. Aber dann, mein Gärtner würde fluchen, keine Gießkanne weit und breit. Das zarte Pflänzchen wird nicht angegossen, kann der Humanismus so gedeihen? Eher nicht, zumal Titus ständig eine Knarre mit sich führt, mit der er erstmal hier und da für Angst und Schrecken sorgt – sie sich aber zuletzt an die eigene Schläfe hält. Das Ende bleibt offen, jedenfalls knallt wenigstens die Waffe nicht und wir wollen derweil unverdrossen an den Sieg des Humanismus glauben und gehen beglückt nach Hause.
Zu diesem Glück haben auch die anderen Beteiligten beigetragen, allen voran Ádám Fischer. Einen Orchestergraben gibt es im Grunde nicht, so hoch wurde dieser auf seinen Wunsch hin gefahren, fast bis auf Höhe der Bühne. Kein Orchestermusiker kann sich mehr verstecken, geschweigen denn seine Leistungsfähigkeit mit einem Powernap aufrecht erhalten. Das fördert die kammermusikalische Interaktion, untereinander und auch mit den Sängern. Überhaupt bekommt Ádám Fischer von dem Hamburger Staatsorchester jede Emotion, die er begehrt. Der Dirigent knurrt? Das Orchester liefert. Es soll schmachtend gelitten werden? Auch das geht, wenn es der Dirigent mit Mimik und Gestik andeutet. Usf. Man merkt, das Ádám Fischer die Originalklang-Bewegung sehr genau studiert hat, trotzdem bleibt sein Mozart immer warm und menschlich. Gut so.
Die Sänger standen dem nicht nach, Tenor Bernard Richter, bereits Titus-erfahren, war im Grund der Star des Abends. Wären da nicht Mezzosopran Michèle Losier (Sesto) und Countertenor Kangmin Justin Kim (Annio). Beide hatten die „4 steps“ tief verinnerlicht und vermochten sich einem Schnellboot gleich reaktionsschnell den vielen Wandlungen der Handlung anzupassen. Nennenswerte Schwächen hatte keiner der Akteure, der Unterschied lag eher in der Identifikation mit Rolle und Regiekonzept. Richter bestach durch seinen klaren und ausgewogenen Tenor, Michèle Losier setzte ihren von kalt bis warm wandelbaren Mezzosopran entgegen. Kangmin Justin Kim ist ein Countertenor mit unheimlich viel Griffigkeit im Ausdruck und alles andere als zugeschnürt. Manche bezeichnen ihn gar als „Paradiesvogel“. Katharina Konradi wusste ihren Sopran den Qualen der Rolle der Servilia berückend schön nutzbar zu machen. Mezzosopran Tara Erraught (Vitellia) und Bass Han Kim (Publio) rundeten das sehr harmonische Ensemble mit guter Stimmführung ab.
Ein magischer Abend, der auch das Publikum in seine Bann zog, es waren keine der zuweilen üblichen Störgeräusche von Husten bis Quasseln vernehmbar. Der Applaus fiel sehr freundlich aus und es gab nur ein vereinzeltes „Buh“ für Jetske Mijnssen beim ersten Vorhang, Wir glauben, die Magie steuerte Ádám Fischer bei.
Jörn Schmidt und Regina König, 29. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wolfgang Amadeus Mozart, La clemenza di Tito Staatsoper Hamburg, 28. April 2024 PREMIERE
Johannes Karl Fischer im Interview mit Ádám Fischer – Teil 2 klassik-begeistert.de, 27. April 2024