Auf den Punkt 4: Sir Antonio Pappano hat ein Karajan-Problem

Auf den Punkt 4: Sir Antonio Pappano hat ein Karajan-Problem  Elbphilharmonie, Großer Saal, 29. April 2024

London Symphony Orchestra, Pappano, Jansen © Christian Palm

London Symphony Orchestra

Sir Antonio Pappano – Dirigent
Janine Jansen – Violine

Lili Boulanger – „D’un matin de printemps“, Fassung für Orchester
Samuel Barber – Konzert für Violine und Orchester, op. 14
Sergej Rachmaninow – Sinfonie Nr. 2 e-Moll, op. 27
Lili Boulanger – Nocturne für Violine und Klavier (Jansen/Pappano)
Pjotr Tschaikowsky – Trepak – Russischer Tanz, aus „Der Nussknacker“


Elbphilharmonie,
Großer Saal, 29. April 2024

von Jörn Schmidt und Regina König

An der Elbe klingt es wie am Rhein. Jedenfalls dann, wenn mit dem London Symphony Orchestra ein absolutes Top-Orchester den Anker wirft. Was Daniel Janz gehört und beobachtet und hier auf https://klassik-begeistert.de/london-symphony-orchestra-sir-antonio-pappano-janine-jansen-tonhalle-duesseldorf-24-april-2024/#more-60657 freundlicherweise geteilt hat, das hätte man auch mit anderem Zeitstempel als Besprechung des gestrigen Konzerts in der Elbphilharmonie ausgeben können.

Selbst die Zugaben waren die gleichen.  Aber natürlich schreiben wir nicht ab und wollen uns statt dessen an einem einzigen Punkt des Kollegen abarbeiten: „Weiteren Unterhaltungswert hat Pappanos stellenweise sehr ausladende Gestik beim Dirigieren. Es hält sich gerade noch so die Waage, dass er die Aufmerksamkeit dadurch nicht zu sehr von der Musik auf sich zieht.

Vollprofis wie die Musiker des London Symphony Orchestra könnten auch ohne Dirigenten auftreten, solange der Konzertmeister die Einsätze gibt. Wobei da vermutlich jeweils ein kurzer Blick in Richtung der anderen Stimmführer ausreichen dürfte. Wahrscheinlich kann man die Londoner auch nachts wecken und fehlerfrei vom Blatt spielen lassen. Und zwar so, dass man staunt, mit welcher Leichtigkeit Töne produziert werden, wie man sie noch nie gehört hat. Wer nicht all seine Kraft aufwenden muss, um richtig zu spielen, dem verbleibt genügend Kondition, um sich auf den Ausdruck zu konzentrieren. Wechsel in Dynamik, Tempo, Rhythmus und Klangfarbe gelingen wie bei einem drehmomentstarken V8 Saugmotor britischer Provenienz absolut mühelos.

Janine Jansen © Lukas Beck/Wiener Konzerthaus

Und genau hier liegt das Problem, alles klingt himmlisch schön, auch berührend, aber irgendwie fliegt die Musik zu schnell an einem vorbei. Daniel Janz führt das beim Violinkonzert auf den Komponisten zurück, indem er zurecht anmerkt: Das „Werk fließt vor allem vor sich hin und bietet nicht so viele Momente, die Orientierung spenden. Es schmiegt sich ans Ohr an, tut sich aber schwer, in Erinnerung zu verweilen.

Wir sind anderer Meinung, hier wäre es Aufgabe von Sir Pappano gewesen, für Orientierung zu sorgen. Hat er aber nicht, leider ebenso wenig in der zweiten Sinfonie von Sergej Rachmaninow. Zugegeben, auch bei Rachmaninow gibt’s eine ähnliche Ausgangslage wie bei Barber, wie Daniel Janz zusammenfast: „Seine Musik hat immer etwas Fließendes, ist oft edel zurückhaltend und auf Feinsinnigkeit ausgelegt. Während andere Komponisten seiner Zeit besonders auf Dramatik und strahlende Höhepunkte gesetzt haben, überwiegt bei ihm raffiniert umwobene motivische Arbeit im Fluss der Empfindungen.“

Sir Pappano hat ohne Frage ein anderes Klangideal als der späte Karajan. Aber das, was man als „Karajan’schen Schönklang“ belächelt und beschimpft hat, diese Falle hat sich auch Pappano gestellt. Trotz aller ausladenden Gestik, die man sonst vornehmlich von jüngeren Dirigenten kennt: Der Maestro erschien so verliebt in den lieblich dahinfließenden Klang, den seine Musiker ihm und den Konzertbesuchern schenkten, dass er dessen Fluss nicht stören wollte. Doch Rachmaninow braucht schattige Ecken und schroffe Kanten, sonst klingt es, als ob man den ganzen Tag nur süße Torte äße.

Jörn Schmidt und Regina König, 30. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

London Symphony Orchestra, Sir Antonio Pappano, Janine Jansen Tonhalle Düsseldorf, 24. April 2024

London Symphony Orchestra, Alison Balsom,Trompete, Sir Antonio Pappano, Dirigent Köln, Philharmonie, 23. April 2024

Isabelle Faust, Violine, London Symphony Orchestra, Sir Simon Rattle, Dirigent Dortmund, Konzerthaus, 6. März 2024

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