Tomasz Konieczny © Kinga Karpati & Daniel Zarewicz
Rechtzeitig zur Wiederaufnahme von Richard Wagners Fliegendem Holländer an der Staatsoper Hamburg wurde mir von einem Whistleblower ein historisches Dokument zugespielt. Eine Kontaktanzeige aus der norwegischen Tageszeitung Dalands Nyheter vom 2. Januar 1843. Höchste Zeit für eine investigative Reportage.
Richard Wagner / Der fliegende Holländer
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano / Dirigent
Tomasz Konieczny / Der Holländer
Wendy Bryn Harmer / Senta
Liang Li / Daland
Staatsoper Hamburg, 8. Januar 2025
von Jörn Schmidt
Bevor man so brisantes Material veröffentlicht, muss man zunächst die Echtheit prüfen. Der unlängst verstorbene Kollege Gerd Heidemann weiß, wovon ich rede. Gab es 1843 eigentlich schon Kontaktanzeigen, habe ich mich zunächst gefragt.
Wikipedia weiß Bescheid. Die erste bekannte Chiffre-Kontaktanzeige erschien am 19. Juli 1695 in England in der von John Houghton herausgegebenen Zeitung A collection for improvement of husbandry and trade und hatte diesen Wortlaut: „Ein Herr von etwa 30 Jahren mit ansehnlichem Besitz sucht eine junge Dame mit einem Vermögen von ca. 3000 Pfund.“
Sie erkennen sofort, materielle Dinge standen damals im Vordergrund. Aussehen, Hobbys, Vorlieben – alles offensichtlich ohne Bedeutung. Aber wie ich aus sicherer Quelle weiß, die als Hinweisgeber nicht genannt werden möchte – Daland, der Herausgeber von Dalands Nyheter, war seiner Zeit voraus. Die Kontaktanzeige lautete:
„Meine Tochter Senta, jung, hübsch und klug. Außerdem höchst anschmiegsam und treu bis in den Tod, sucht einen erwiesenen Bad Boy als Lebenspartner. Gerne deutlich älter. Angemessener Besitz wird vorausgesetzt.“
Aber Senta ist bereits vergeben, sie hat einst dem Jäger Erik ewige Treue gelobt. Wieso sollte ein liebender Vater wie Daland dann so eine Kontaktanzeige schalten. Also doch alles nur Fake? Nein, sagt meine Quelle. Daland wusste, dass Senta den Fliegenden Holländer verehrt. Im Haus hängt gar ein Bild von ihm. Da will man als Vater gerne nachhelfen. Erst recht, wenn es einem die Taschen füllt.
Der Seemann fühlte sich durch die Anzeige sofort angesprochen, er ist zum ewigen Herumirren auf den Weltmeeren verflucht. Weil er einst in schwerer See den Teufel um Hilfe ersucht hatte. Geld hat er auch. Es gibt aber Hoffnung. Sobald eine Frau dem Niederländer treu bleibt, ist der Fluch gebrochen. Und genau so kommt es. Senta erlöst den Angebeteten, wenn auch nicht ganz so wie von Daland geplant.
Nach allem müssen wir davon ausgehen, dass die Kontaktanzeige kein Fake ist. Dieses musikhistorische Dokument wirft natürlich ein ganz anderes Licht auf die Aufführungspraxis. Oder, wie mir meine Quelle anlässlich der Übergabe der Kontaktanzeige geflüstert hatte:
„Mach’ das bitte öffentlich. Fahr’ nach Hamburg und hör’ Dir an, wie die Sänger das umgesetzt haben. Das wäre doch spannend?“ Nun, ich war immer noch skeptisch. Aber Wagner ist immer eine Reise wert.
Kontaktanzeigen sind in der Regel geschönt. Warum sollte man bei Alter, Größe, Gewicht usf. nicht mal Fünfe gerade sein lassen, um sich vorteilhafter erscheinen zu lassen. Der Appetit kommt schließlich beim Essen, sagt man.
Und genau so füllte Wendy Bryn Harmer die Rolle der Senta aus. Ihr Sopran war ziemlich nervig, mit unangenehm schrillem Vibrato im forte- und fortissimo-Bereich. Nichts mit anschmiegsam. Der Holländer wird beim ersten Date ziemlich enttäuscht gewesen sein. Aber der hatte ja auch ganz andere Sorgen, Hauptsache treu bis in den Tod.
Tomasz Konieczny war dagegen war die perfekte Übereinstimmung. Perfect Match, würde heutzutage jede Partnervermittlung dazu sagen. Ein echter Bad Boy. Sein Bassbariton war mächtig, kraftvoll und schwarz. So soll das sein. Liang Lis Daland war desgleichen sehr gut gestaltet. Sein wandlungsfähiger Bass hat sehr emphatisch nachgezeichnet, wie Daland die Kontrolle über das durch seine Kontaktanzeige ausgelöste Geschehen verloren hat.
Vorsicht also bei Kontaktanzeigen, vor allem wenn finanzielle Interessen im Spiel sind.
Jörn Schmidt, 10. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Opernhaus Zürich, 30. November 2024
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayreuther Festspiele, 2. August 2024
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Royal Opera House Covent Garden, 11. März 2024
Richard Wagner Der fliegende Holländer Bayerische Staatsoper, München, 19. Oktober 2023