James Gaffigan © Vera Hartmann
Elbphilharmonie, Großer Saal, 23. Januar 2025
Modest Mussorgsky / Introduktion zu Chowanschtschina
Dmitri Schostakowitsch / Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 op. 129
Joseph Haydn / Sinfonie f-Moll Hob. I:49 La passione
Ludwig van Beethoven / Ouvertüre zu Egmont op. 84
NDR Elbphilharmonie Orchester
James Gaffigan / Dirigent
Vadim Gluzman / Violine
Wenn Dirigenten an ihrer Karriere arbeiten, trägt manche PR-Agentur dick auf. Da wird erstmal aufgelistet, wo der Klient schon mal zu Gast war. Im Falle von James Gaffigan fand sich im Programmheft zum NDR Abonnementkonzert eine stolze Liste:
von Jörn Schmidt
„In Europa gastierte er etwa beim London Symphony Orchestra, Royal Concertgebouw Orchestra, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, bei den Wiener Symphonikern, Münchner Philharmonikern, der Staatskapelle Berlin und der Tschechischen Philharmonie.“ Und nun das NDR Elbphilharmonie Orchester.
Ein Who is who der europäischen Orchesterlandschaft. Und dann die Opernhäuser: „Gaffigan arbeitet regelmäßig an der Metropolitan Opera New York, der Bayerischen Staatsoper und der Opéra National de Paris. Darüber hinaus gastierte er u.a. an der Oper Zürich, Wiener Staatsoper, Staatsoper Hamburg, beim Glyndebourne Festival oder an der Lyric Opera of Chicago.“
Eine Lichtgestalt, wird sich so mancher Konzertbesucher denken, wenn er all diese klangvollen Namen liest.
Und natürlich braucht es besondere Eigenschaften. Am besten etwas, was noch niemand für sich reklamieren konnte. Im Programmheft las sich das so: „Der amerikanische Dirigent James Gaffigan ist für seine natürliche Lockerheit und seinen außergewöhnlich kollaborativen Arbeitsgeist bekannt.“
Da habe ich mich natürlich sofort gefragt, was man bei einem Dirigenten unter natürlicher Lockerheit verstehen soll. Die meisten Menschen assoziieren Lockerheit mit etwas Positivem wie Coolness oder Entspanntheit. Wer locker ist, bekommt so schnell keinen Burnout.
Aber alles zu locker zu nehmen, das ist auch nicht gut. Denn der, der sich locker wähnt, wird von anderen schon mal unversehens als schlunzig, oberflächlich und unzuverlässig wahrgenommen. Nicht ohne Grund gelten Höflichkeit, Respekt, Empathie und Demut als Antonym der Lockerheit.
Nehmen Sie nur mal das Publikum in der Elbphilharmonie. So manch einer nimmt dort ziemlich locker, wann man klatscht, quasselt oder sein Mobiltelefon aus der Tasche zieht zum Daddeln oder Filmen. Aber wie locker war nun James Gaffigan?
Die Bekleidungsordnung sollte mutmaßlich Lockerheit pur signalisieren. Schwarzes T-Shirt unter schwarzem Anzug. Der eine oder andere Styleguide sagt ja, das geht heutzutage. Es wird aber durchweg hinterhergeschoben, dass es auf den Anlass ankomme. Urteilen Sie bitte selber…
Hier steht das Dirigat im Fokus. War es cool oder doch nur unverbindlich? Nun, vor der Pause dominierte Vadim Gluzman Schostakowitschs Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 mit hohem Bogendruck. Gaffigan nahm’s locker, das stand dem Werk ausnehmend gut.
Nach der Pause geriet Gaffigans Dirigat locker-unverbindlich, seinem Egmont fehlte Einfühlungsvermögen. Die Ouvertüre steckt voller unterschiedlicher Gefühle. Einklang, Bedrücktheit und Unruhe. Am Ende ein Versprechen vom Sieg der Freiheit.
Jeder Dirigent hat seine Mittel, das herauszuarbeiten. Dynamik, Tempowechsel, Klangfarben usf. Wenn man Glück hat, gerät die Ouvertüre zu großer Oper. Die schwer erdrückenden Streicherakkorde zu Beginn hinterlassen dann ein Schleudertrauma. Nicht bei Gaffigan, das klang nach Shaka.
Im Übrigen einheitlich hochglanzpolierter Schönklang. Haydns 49. Sinfonie fehlte der Fluss, der große Bogen. Gaffigan versuchte mit flotten Tempi gegenzusteuern. Allein, das verfing nicht und endete in einem gehetzt wirkenden, langweiligen Nebeneinander der Themen.
Lockerheit und Dirigieren, das passt nicht immer.
Jörn Schmidt, 24. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Auf den Punkt 40: Perfect Match… Vorsicht bei Kontaktanzeigen Staatsoper Hamburg, 8. Januar 2025
Auf den Punkt 39: Das geht nicht gut aus Elbphilharmonie, 17. Dezember 2024
Auf den Punkt 38: Vier letzte Lieder MUK Lübeck, 15. Dezember 2024