Sylvain Cambreling © Daniel Dittus
Unruhe im Publikum tut einem Werk nicht gut. Und stört obendrein Künstler wie Zuschauer. Es soll ja tatsächlich Konzertbesucher geben, die sich wegen des Werks im Konzertsaal eingefunden haben. Zum Schutz der Aufführung können auch die Konzertveranstalter beitragen, hatte ich in der letzten Folge meiner Kolumne vertreten. Doch während eine entsprechende Anfrage beim Pressesprecher der Elbphilharmonie unbeantwortet blieb, hat Sylvain Cambreling jetzt auf den Tisch gehauen.
Symphoniker Hamburg
Sylvain Cambreling / Dirigent
Galina Ustwolskaja / Komposition Nr. 2 Dies Irae
Giuseppe Verdi / Messa da Requiem
Laeiszhalle, Großer Saal, 9. Februar 2025
von Jörn Schmidt
Giuseppe Verdis Messa da Requiem ist in der Regel abendfüllend. Es verträgt sich wenig mit anderen Werken, weswegen der Platz auf dem Programmzettel vor dem Requiem in der Regel leer bleibt. Das geht auch anders, hat sich Sylvain Cambreling gedacht. Die Idee war genial, der Effekt ebenfalls.
Aber der Reihe nach. Galina Ustwolskaja war Kompositionsschülerin von Dmitri Schostakowitsch. Eines ihrer Werk heißt Komposition Nr. 2 Dies Irae und war dem Requiem vorangestellt. Die Besetzung ist kammermusikalisch spärlich: Acht Kontrabässe, ein Klavier und eine Holzkiste, die mit zwei Hämmern gespielt wird.
Das Spiel dieses Instruments müssen Sie sich als performativen Akt des
(Zer-)Schlagens der Holzkiste vorstellen, wie Dr. Johann Layer im Programmheft formuliert hat. Als „visuellen und emotionalen Akt der Zerstörung.“
Also so, als ob Sie mit der Faust auf den Tisch hauen. Bloß viel schlimmer… Der guten Ordnung halber sei ergänzt: Am Sonntagabend blieb die Holzkiste ganz, was der Botschaft der Komposition und der Interpretation keinen Abbruch tat.
Vor dem Konzert griff Cambreling zum Mikrofon. Es sei für einen Dirigenten gar nicht so leicht, den Einstieg ins Verdis Requiem zu finden. Gerade das Requiem aeternam… Er habe deshalb Ustwolskaja vorangestellt.
Wie bitte, ein Dirigent von Weltrang, der nicht weiß, wie er Verdis Requiem beginnen soll? Das ist natürlich Blödsinn. Dr. Layer hat im Programmheft ausgeführt, was gemeint war:
„Diese gewalttätige Handlung [Galina Ustwolskaja / Komposition Nr. 2 Dies Irae] zieht das Publikum unmittelbar ins Geschehen und macht es zum aktiven Teil des Erlebnisses, indem sie den Eindruck einer fast unvermeidbaren Eskalation vermittelt.
Im Angesicht dieser urtümlichen, erschütternden Gewalt gewinnt die vom Chor fast geflüsterte Bitte um ewige Ruhe (»Requiem aeternam«) in Verdis Werk eine umso größere Eindringlichkeit. Was zunächst wie ein Moment der inneren Einkehr erscheint, erhält durch die vorherige zerstörerische Kraft in Ustwolskajas Musik eine unerwartete Schärfe.
Die leise Bitte nach Frieden entpuppt sich plötzlich als verzweifelter Versuch, aus der bedrohlichen Dunkelheit herauszufinden, als sei der Wunsch nach Ruhe nicht nur ein liturgisches Ritual, sondern eine existenzielle Notwendigkeit.“
![](https://klassik-begeistert.de/wp-content/uploads/120516_raetzke_laeiszhalle_213_final-1.jpg__605x390_q85_crop-smart_cropper-medium_landscape-_subsampling-2-1.jpg)
Ruhe, darum geht es. Der Trick hat übrigens recht gut funktioniert, das Publikum gewährte dem Requiem den rechten Rahmen. Geht doch… Was mich übrigens gewundert hat, denn obwohl die Komposition Nr. 2 kaum mehr als 20 Minuten dauert, gab es danach erstmal eine Pause. Da verpufft ein Teil der Performance gleich mal beim Pausenwein. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Bleibt die Frage, ob Cambreling Verdis Meisterwerk als Oper oder Kirchenmusik anging. Ich würde meinen, Cambreling hat jede Menge Theaterblut in den Adern. Es dominierten Theatralik und Klangschönheit. Das ließ sich besonders gut an den Sängern festmachen. Im Libera me hat der Sopran zu singen:
Tremens factus sum ego et timeo, dum discussio venerit atque ventura ira, quando cœli movendi sunt et terra.
Tremens, dieses kleine Wort gehört mit Leben erfüllt. Man muss körperlich spüren, wie einen Zittern und Zagen erfasst vor dem Jüngsten Gericht und dessen Rache-Furor. Hören Sie diese Passage mal mit Cheryl Studer oder Elisabeth Schwarzkopf. Mandy Fredrich dagegen? Nun, vor Angst und Schrecken zittern geht anders. Ihre Interpretation geriet unerschrocken und klangschön.
Um als Kirchenmusik durchzugehen, hätte Sylvain Cambreling auf eine schlichtere Gesamtorganisation setzten müssen. Damit die Extreme schroff und unausweichlich daherkommen. Gerade an einer solchen Unerbittlichkeit fehlte es zuweilen, wie bei einem Theaterdonner.
Nach den Gefühlsausbrüchen, in leisen Details, da hätte das nachklingen müssen, was gerade erschüttert hat. Um wirklich unter die Haut zu gehen. Ein besonderer Abend mit konditionsstarken Symphonikern war es aber allemal. Allein schon, endlich mal Ruhe in den Saal zu bekommen.
Jörn Schmidt, 10. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Auf den Punkt 42: Einfach mal klatschen… Laeiszhalle, 30. Januar 2025
Auf den Punkt 41: Hang loose, James Elbphilharmonie, Großer Saal, 23. Januar 2025