Christoph Eschenbach © Marco Borggreve
Ethical Leadership ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit und auch nicht wirklich neu. Früher sprach man von einer guten Unternehmenskultur. Fühlen sich die Mitarbeiter wohl, brummt meistens auch der Laden. Im Beraterdeutsch gibt es neuerdings einen viel schickeren Begriff, wie man seine Firma führen soll. Auf den sogenannten tone from the top kommt es an. Genau genommen müsste es besser action from the top heißen: Man sollte seinen Mitarbeitern vorleben, was man von ihnen erwartet.
Schleswig-Holstein Festival Orchestra
Christoph Eschenbach / Dirigent
Midori / Violine
Felix Mendelssohn Bartholdy / Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64
Anton Bruckner / Sinfonie Nr. 5 B-Dur
Elbphilharmonie, Großer Saal, 18. August 2025
von Jörn Schmidt
Wenn Sie zum Beispiel in Ihrer Firma gerade per Hausmitteilung ein absolutes Alkoholverbot eingeführt haben, dann sollten Sie von einem mittäglichen Geschäftsessen nicht unbedingt mit einem erkennbaren Glimmer ins Vorstandsbüro zurückkehren.
Christoph Eschenbach war vielleicht der erste große Dirigent, dem klar war, wie viel man erreichen kann, wenn der tone from the top von Herzen kommt. Selbst einst ein Nachwuchsstern, wurde Nachwuchsarbeit Herzensangelegenheit. Übervoll von Liebe für die Musik.
Ich bin mir sicher, Maestro Eschenbach hat den Nachwuchs nie unangemessen lautstark oder gar rüpelhaft belehrt. Sondern vorgelebt, was er verlangt. Wohl dosierte Stille zum Beispiel. Denn Stille wie auch leise Töne sind für Eschenbach so etwas wie die dritte Dimension der Musik, die den Fluss der Töne formt auf ihrer Reise hin zur Überwältigung des Publikums.
Oder dass Klangphantasie einen klaren Blick für die großen Zusammenhänge erfordert. Dass Leichtigkeit und Freiheit in der Klanginterpretation stets Partiturtreue und ungeheure Konzentration jedes einzelnen Musikers verlangen.
Desgleichen dass Musik bitte immer elegant, gar vornehm klingen muss, geadelt mit einem Hauch von Extravaganz. All das macht den Musiker Eschenbach aus. Mimik, Gestik und Outfit strahlen das aus – und der Nachwuchs saugt all dies dionysisch auf.
Natürlich ist die Midori längst kein Nachwuchs mehr, aber dem Maestro seit 1986 eng verbunden. Seinerzeit war die japanische Geigerin erstmals beim Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) aufgetreten. Mit 14 Jahren.

Margarete Zander hat in ihrer lesenswerten Eschenbach-Biografie (Lebensatem Musik) ausgehend von einer gemeinsam eingespielten Hindemith-CD fein erfasst: „Die Leichtigkeit und die Präsenz, mit der die Geigerin Midori sich auch mit den leisen Tönen gegenüber dem NDR Sinfonieorchester behauptet, sind phänomenal.“
Dieses Kunststück gelang Midori auch in Mendelssohns Violinkonzert. Dank technischer Brillanz, Tiefe im Ausdruck und sphärischer Energie. Hohe Kunst, ganz im Geiste Eschenbach jeden Ton auf eine fesselnde Reise schickend.
Seit 2004 ist Eschenbach Principal Conductor des SHMF Festivalorchesters, das sich aus höchsttalentierten, enthusiastischen Nachwuchsinstrumentalisten zusammensetzt. Dieses Jahr wurde dem Nachwuchs als Hauptwerk Bruckner 5 abverlangt.
In meinem Interview hier bei klassik-begeistert hatte Maestro Eschenbach betont, dass die jungen Musiker diese Sinfonie gerade wegen der äußerst anspruchsvollen Doppelfuge am Beginn lieben.
Auch aufgrund dieser Komplexität kann eine Bruckner-5-Sternstunde nicht gelingen ohne Partiturtreue, ungeheure Konzentration und ein gewachsenes Gespür für die Flächigkeit von Bruckners Musik. Was hatte Eschenbach dem Nachwuchs für das Konzert in der Elbphilharmonie zusätzlich mit auf den Weg gegeben?

Obwohl auf der Stuhlkante sitzend und spielend, der Konzertmeister stets ready to rumble, eine gehörige Portion Gelassenheit, um den großen Bögen ihre Zeit zu geben. Außerdem ein untrügliches Gespür dafür, dass monumentale Pracht nicht ins Kitschige abdriften darf, sondern stets aufrichtig zu bleiben hat.
Gleichzeitig hat Eschenbach den Musikern ihr Temperament und ihre Weltsicht gelassen. Weihevoll-frisch klang dieser Jung-Alt-Mix. Wenn man kritteln wollte: Ein wenig mehr Klangfarben hätte das Orchester dem Maestro zurückgeben können. Aber nein…
…bei Eschenbach hat tone from the top eine ganz eigene Bedeutung: Himmlischer Bruckner, wie von ganz oben.
Jörn Schmidt, 18. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview: kb im Gespräch mit Christoph Eschenbach, Teil I klassik-begeistert.de, 18. Juni 2025
Interview: kb im Gespräch mit Christoph Eschenbach, Teil II klassik-begeistert.de, 19. Juni 2025
Interview: kb im Gespräch mit Christoph Eschenbach, Teil III klassik-begeistert.de, 20. Juni 2025