Auf den Punkt 80: Großartige Dorfdisco-Volten in der Laeiszhalle

Auf den Punkt 80: Großartige Dorfdisco-Volten  Laeiszhalle, 14. Dezember 2025

Laeiszhalle Hamburg © Thies Rätzke

Eine Dorfdisco zum Kochen zu bringen, ist nicht schwer. Jeder Möchtegern-DJ  weiß, wie man die Tanzfläche füllt und Kondensat an die Fenster zaubert. Man lege ein paar Gassenhauer auf und lasse die Boxen lauter wummern, als die Physik hergibt.  Y.M.C.A.“ (Village People) geht immer (noch), „I Will Survive“ (Gloria Gaynor) ebenso. Auch „Daddy Cool“ (Boney M.)  und „Dancing Queen“ (ABBA). Sie erkennen da Muster… Und wenn wir jetzt mal jeglichen Bildungsdünkel ablegen: Im Konzertsaal funktioniert dieses Rezept ebenso.

Wolfgang Amadeus Mozart
/ Ouvertüre zur Oper „Le nozze di Figaro“ KV 492

Wolfgang Amadeus Mozart / Klavierkonzert Nr. 27 B-Dur KV 595

Peter I. Tschaikowsky / Symphonie Nr. 4 f-Moll op. 36

Szymon Nehring / Klavier
Symphoniker Hamburg

Aurel Dawidiuk / Dirigent

Laeiszhalle Hamburg, Großer Saal, 14. Dezember 2025


von Jörn Schmidt

Die Kollegen vom Hamburger Abendblatt haben Aurel Dawidiuk zum neuen „Stern am Dirigentenhimmel“ erkoren. Heute war der 25 Jahre junge Mann in der wunderschönen Hamburger Laeiszhalle zu Gast.

Und musste abliefern. Denn derlei Kritiker-Hymnen können einen ziemlichen Druck aufbauen – ein Stern kann schließlich schnell wieder untergehen und vom Horizont verschwinden. Und das will natürlich keiner.

Da hilft man, wo man kann. Zum Beispiel, indem man dem Stern ausschließlich Gassenhauer aufs Pult legt. Mozarts geht immer, erst recht die Ouvertüre zur Oper Le nozze di Figaro  und sein letztes Klavierkonzert.

Tschaikowsky 4 kommt desgleichen beständig gut, wenn man sich frenetischen Applaus und hymnische Kritiken wünscht. Mit honigsüßen Melodien und ausschweifendem Drama ist man auf der sicheren Seite, selbst wenn man der Partitur noch nicht genügend Geheimnisse abgerungen hat.

Aurel Dawidiuk Foto Irene Zandel

Und was ist, wenn Sie mit zarten 25 Jahren noch nicht zu einer eigenen Tschaikowsky-Handschrift gefunden haben? Mit schnellen Tempi und großer Lautstärke kann man in der 4. Symphonie gut schummeln…

Tschaikowsky erweist man damit indes keinen Dienst. Nicht nur Mariss Jansons hatte erkannt:

Tschaikowsky darf nicht sentimental klingen, nicht melancholisch, zu süß, man darf die schönen Melodien nicht zuviel genießen; wenn man das übertreibt, verliert die Musik das echte Gefühl. Dieses seelische, dramatische Leidmoment; das ist, glaube ich, ein wichtiger Schlüssel für die Interpretation von Tschaikowskys Musik.“

Wie ging Dawidiuk damit um – ließ ihn Daniel Kühnels Programm-Steilvorlage in die Gassenhauer-Falle tappen?

NEIN. Bereits bei Mozarts letztem Klavierkonzert passte die Balance zwischen Licht und Schatten, wenngleich das zuvörderst an Szymon Nehring lag. Der 30-jährige polnische Pianist stellte seine stupende Virtuosität demütig in den Dienst der Noten.

Szymon Nehring (c) Tomasz Filiks/IAM@IAM

Die Symphoniker Hamburg hielten sich zurück, unfeine Kontraste schienen nicht erwünscht. Kammermusikalische Achtsamkeit statt Attacke.  Aber nach der Pause, da war es wohl vorbei mit der orchestralen Selbstbeherrschung?

Mitnichten, kein Applaus-heischendes Auf-Tschaikowsky-mit Gebrüll-Dirigat weit und breit…Statt dessen ein Bündel raffiniert angetönter Klangfarben und wechselnder Tempi. Bläser, Blech wie Holz, durften um die Wette strahlen.

Allerdings nur, um gleich wieder von der brutalen Realität eingeholt zu werden: Aurel Dawidiuk ließ nie vergessen, welche seelischen Nöte den Komponisten umgetrieben haben. Die 1877 in einer  unschönen Scheinehe kulminierten.

Wie klingt so eine Scheinehe? Streicher im Angriffsmodus, während Pauke und Schlagwerk die Melodien erbarmungslos zerteilen. Keinen Raum lassend für menschliche Wärme oder ein klärendes Gespräch….

Wenn Sie jetzt einwenden: Tschaikowsky selbst bezeichnete das schwungvollen Finale als Volksfest, dann wird das ja wohl auch so klingen dürfen. Da haben Sie natürlich recht. Aber fragen Sie sich selbst:

Hat ein Abend in der Dorfdisco jemals Ängste und Sorgen vertrieben? So einfach ist das nicht, möchte ich meinen. Bestenfalls verdrängt man Befindlichkeiten. Am nächsten Morgen verpufft der Effekt dann endgültig. Alles wieder da….

Genau diese Dorfdisco-Falle, die bei Tschaikowsky oftmals erbarmungslos zu schlägt – Aurel Dawidiuk wusste sie höchst elegant und ein Stück weit altersweise zu umgehen

Jörn Schmidt, 15. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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