Aleix Martínez (Foto: RW)
Mit großer Intensität und beispielhaftem Ausdruck gestaltete Ida Stempelmann mehrere Rollen, auch Anna Laudere tauchte mit ihrem Spiel tief in die Passionsgeschichte ein und Artem Prokopchuk zeigte ein wildes, bei ihm die physischen Grenzen sprengendes Solo zu O Schmerz! hier zittert das gequälte Herz!
Matthäus-Passion, Ballett von John Neumeier
Choreographie, Inszenierung und Ausstattung: John Neumeier
Musik: Johann Sebastian Bach
Live-Aufnahme des NDR aus der St. Michaeliskirche vom 29. März 1980 (St.-Michaelis-Chor und -Orchester, Leitung Günter Jena, mit Peter Schreier, Bernd Weikl, Mitsuko Shirai, Marga Schiml und Franz Grundheber)
Hamburgische Staatsoper, 17. April 2025
221. Aufführung seit der Premiere am 10. November 1980
von Dr. Ralf Wegner
Fast vier Stunden Ballett auf der Bühne, das kann nur ein Werk von John Neumeier sein. Und hier treffen drei epochale künstlerische Komponenten zusammen, Johann Sebastian Bachs weltbewegendes kompositorisches Meisterwerk, John Neumeiers geniale Choreographie und eine Staunen machende Balletttruppe, die dieses Ballett bis an die Grenzen des physischen Leistungsvermögens realisiert.

Man muss nicht unbedingt Christ sein, um Neumeiers Matthäuspassion zu verstehen, Grundzüge der biblischen Passionsgeschichte sollten aber schon gegenwärtig sein. Denn Neumeier hat kein Handlungsballett geschrieben mit einer Vielzahl zugeschriebener Rollen, abgesehen von der Christusfigur, fabelhaft mit großer Eindringlichkeit und überzeugendem Ausdruck von Aleix Martínez getanzt. Petrus ist zu erkennen, der Jesus dreimal leugnet, bevor der Hahn kräht (Edvin Revazov), und auch Judas, der Jesus verrät und sich aus Gram erhängt, ist persönlich zuzuordnen (Matias Oberlin). Oberlin übernahm auch die Rolle des Landpflegers Pilatus. Ansonsten sind zahlreiche aus der biblischen Matthäuspassion bekannte personenbezogene Details mehrfach bzw. unterschiedlich besetzt, was den Zuschauer zum Assoziieren veranlasst.

Jemanden aus dem großartigen Ensemble herauszuheben wäre vermessen. Alle gaben hingebungsvoll ihr Bestes. Manches blieb eher in Erinnerung, wohl auch in Abhängigkeit von der Bekanntheit der Tänzerinnen und Tänzer. Zahlreiche tänzerische Spitzenleistungen waren, zum Beispiel bei Gruppentänzern, kaum persönlich zuzuordnen, auch wegen der einheitlich weißen Kleidung. So waren aus der Ferne selbst Tänzer wie Louis Musin und Francesco Cortese, die sich optisch sehr ähneln, schwer zu unterscheiden. Beide beeindruckten mit intensiver Darstellung und hohen Sprüngen. Auch Madoka Sugai zeigte Sprünge, wie man sie bei Tänzerinnen nur selten bewundern kann.
Mit großer Intensität und beispielhaftem Ausdruck gestaltete Ida Stempelmann mehrere Rollen, u.a. jene der Ehefrau des Landpflegers Pilatus. Auch Anna Laudere tauchte mit ihrem Spiel tief in die Passionsgeschichte ein. Artem Prokopchuk zeigte ein wildes, bei ihm die physischen Grenzen sprengendes Solo zu O Schmerz! hier zittert das gequälte Herz!, er verletzte sich dabei offenbar schwer. Die engelgleich aussehende Emilie Mazon beeindruckte mit ihrer persönlichen Aura und Blicken, die das Herz ergriffen. Und immer wieder übernahm Alexandr Trusch tragende Partien in diesem auch den Zuschauer emotional stark fordernden religiösen Meisterwerk.
Am Ende bleibt nur, dem Tänzer Artem Prokopchuk für seine herausragende Leistung zu danken und ihm baldige Genesung zu wünschen.
Dr. Ralf Wegner, 18. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ballett von John Neumeier, Matthäus-Passion Staatsoper Hamburg, 7. April 2023
J.S. Bach, Matthäuspassion, BWV 244 Wiener Konzerthaus und Musikverein Wien, 17. März 2024
Johann Sebastian Bach, Matthäuspassion BWV 244 Frankfurt, Alte Oper, 16. März 2024