Trotz ausgedünnter Personaldecke wurde erneut herausragend und herzbewegend getanzt

Ballett von John Neumeier Die Kameliendame  Hamburgische Staatsoper, 14. November 2025

Ein Traumpaar: Anna Laudere als Marguerite Gautier und Alessandro Frola als Armand Duval (Foto: RW)

Noch 2024 standen für eine Kameliendame-Serie als Marguerite und Armand vier Paarungen zur Verfügung: Alina Cojocaru als Gast und Alexandr Trusch, Anna Laudere und Edvin Revazov, Madoka Sugai und Alessandro Frola, Ida Praetorius und Jacopo Bellussi. Christopher Evans war zwar nicht besetzt, hatte aber auch bereits als Armand (mit Olga Smirnova als Gast) seine Qualitäten gezeigt.

Die Kameliendame
Ballett von John Neumeier nach dem Roman von Alexandre Dumas D.J.

Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose

Musik: Frédéric Chopin

Musikalische Leitung: Markus Lehtinen

Am Flügel: Michal Bialk, Ondrej Rudčenko (11. November ), Petar Kostov (13. November)

Hamburgische Staatsoper, Aufführungen am 11. und 13. November 2025
255./256. Vorstellung seit der Premiere am 01.02.1981

von Dr. Ralf Wegner

Von John Neumeiers Balletten wird Die Kameliendame weltweit wohl am häufigsten aufgeführt. Das liegt sicher an der berühmten Handlung über die vom Weg abgekommene Pariser Kurtisane und auch der tief bewegenden Komposition von Frédéric Chopin; vor allem aber an den großartigen Pas de deux, die der Choreograph in jeden der drei Akte eingebaut hat. Sie tragen inzwischen sogar Namen, der violette, der weiße und der, besonders schwierige, schwarze Pas de deux.

Was haben wir nicht für fabelhafte Paare mit diesen Pas de deux gesehen. Erinnert sei an Lynn Charles und Kevin Haigen, Joelle Boulogne und Alexandre Riabko oder an Hélène Bouchet und Tiago Bordin, um nur einige zu nennen.

Noch 2024 standen für eine Kameliendame-Serie vier Paarungen für Marguerite und Armand zur Verfügung: Alina Cojocaru als Gast und Alexandr Trusch, Anna Laudere und Edvin Revazov, Madoka Sugai und Alessandro Frola, Ida Praetorius und Jacopo Bellussi. Christopher Evans war zwar nicht besetzt, hatte aber auch bereits als Armand (mit Olga Smirnova als Gast) seine Qualitäten gezeigt.

Wie dünn momentan die obere Personaldecke nach der Demission der den Stil des Hauses prägenden fünf Ersten Solisten geworden ist, zeigte sich bei der jetzigen Wiederaufnahme der Kameliendame. Mit Ida Paetorius, Anna Laudere und Edvin Revazov standen nur noch drei Protagonisten zur Verfügung, zusätzlich konnte Alessandro Frola für einige Aufführungen aus Wien zurückgewonnen werden.

Wahrscheinlich war die Zeit zu kurz, um den jüngeren Nachwuchs an die schwierigen Neumeierrollen heranzuführen. Charlotte Larzelere und Louis Musin, die man beide gern als Marguerite und Armand gesehen hätte, befinden sich bereits im Dauereinsatz und Artem Prokopchuk ist gerade erst von seinem Unfall Ende der letzten Saison genesen. Aber noch viele andere Tänzerinnen und Tänzer warten auf größere Aufgaben wie Ida Stempelmann, Caspar Sasse und noch manchen andere, die bisher nicht den Vorteil hatten, solistisch des Öfteren auf sich aufmerksam zu machen.

Auch wenn der Neumeiersche Ballett-Garten manchen abgeerntet erscheint, werden, wie wir es über Jahrzehnte erlebten, immer wieder neue Tänzerinnen und Tänzer das Hamburger Ballett in einen bunten, überwältigenden Blumengarten verwandeln. Lloyd Riggins wird es schon richten.

Alessandro Frola bedankt sich bei seiner Partnerin Anna Laudere persönlich mit einem Blumenstrauß (Foto: RW)

Mit der erfahrenen Anna Laudere als Marguerite und dem noch jungen, aber als Armand überaus präsenten Neumeier-Tänzer Alessandro Frola gelang am 13. November zudem erneut eine fabelhafte, tief berührende Aufführung des Balletts Die Kameliendame. Wie Laudere die Höhen und Tiefen der Liebe durchlitt, ihre anfänglichen Zweifel und später die überströmende Freude und auch den innen zehrenden Schmerz darstellerisch und tänzerisch zum Ausdruck brachte, sucht ihresgleichen. Und Frola war ihr ein begnadeter Partner, nicht nur als jugendlich lodernder Liebhaber, sondern auch in seiner ihn wie ein Blitzschlag treffenden Verzweiflung; tänzerisch superb im Solo im zweiten Akt zum Ausdruck gebracht.

An dieses Traumpaar schlossen der sich seine frühere Form eher erkämpfende Edvin Revazov (Armand) und die elfenhaft etherische Ida Praetorius (Marguerite) zwei Tage zuvor nicht an. Praetorius überzeugte unverändert mit ihrem technischen Können, konnte aber damit allein ihre Liebe zu Armand nicht hinreichend tänzerisch vermitteln. Beeindruckender agierte sie in dem Pas de deux mit dem nach wie vor hochpräsenten Ivan Urban als Monsieur Duval (Armands Vater), von dem der Funke auf die der Verzweiflung anheim gegebenen Marguerite schließlich auch übersprang.

Vorstellung vom 11.11.2025: Ivan Urban (Monsieur Duval), Xue Lin (Manon Lescaut), Daniele Bonelli (Des Grieux), Michael Bialk (am Flügel), Ida Praetorius (Marguerite Gautier), Edvin Revazov (Armand Duval), Markus Lehtinen (musikalische Leitung), Ana Torrequebrada (Prudence Duvernoy), Matias Oberlin (Gaston Rieux), Olivia Betteridge (Olympia), Louis Haslach (Graf N.) (Foto: RW)

Xue Lin (Manon Lescaut) und Daniele Bonelli (Des Grieux) erfüllten ihre Parts als Spiegelbilder Marguerites und Armands sehr gut, ohne allerdings bereits die künstlerische Perfektion von Silvia Azzoni oder Alexandre Riabko zwei Tage später zu erreichen. Matias Oberlin und Ana Torrequebrada ergänzten das Ensemble als Prudence und Gaston, am 13. November tanzten Louis Musin und Futaba Ishizaki diese beiden Partien.

Zusammengefasst war es am 11. November 2025 ein routinierter Serienbeginn dieses Neumeierballetts,  aber auch nicht mehr. Das Publikum zeigte sich, wenn überhaupt, nach den Pas de deux sehr sparsam mit Beifallsbekundungen, feierte am Ende aber doch die Protagonisten des Hamburger Balletts; Blumenwürfe galten Ana Torrequebrada, Xue Lin und Ida Praetorius.

Silvia Azzoni als Manon Lescaut und Alexandre Riabko als Des Grieux (Foto: RW)

Am 13. November gab es mit Silvia Azzoni und ihrem Ehemann Alexandre Riabko als Manon Lescaut und Des Grieux noch ein weiteres Traumpaar.

Mit der dieser Ausnahmetänzerin eigenen inneren Spannkraft, ihren anmutig fließenden Armbewegungen und ihrer unverändert vorhandenen tänzerischen Dynamik zeigte Azzoni zusammen mit Riabko etwas ganz selten auf der Bühne Erlebbares, vollendete partnerschaftliche Harmonie. Beider Bewegungen fließen ineinander, als ob sie eine Person wären. Und selbst im Tod zeigt Silvia Azzoni als Manon von der Fußspitze bis zu den Fingern eine Spannung, als ob ihr Skelett aus biegsamen Stahl bestünde. Sie gab dem Tod Würde und Marguerite mit ihrem Vorbild Halt in schwerster Zeit.

Wenn der Hamburger Senat den Titel Kammertänzerin und  Kammertänzer jemals verleihen würde, Kammersängerinnen und Kammersänger gibt es ja bereits diverse, dann hätten es zuvörderst Silvia Azzoni und Alexandre Riabko verdient.

Vorstellung vom 13.11.2025: Pepijn Gelderman (Der Herzog), Ida Stempelmann (Nanina, Marguerites Kammerfrau), Florian Pohl (Monsieur Duval), Silvia Azzoni (Manon Lescaut), Alexandre Riabko (Des Grieux), Michael Bialk (Flügel), Anna Laudere (Marguerite Gautier), Alessandro Frola (Armand Duval), Markus Lehtinen (musikalische Leitung), Futaba Ishizaki (Prudence Duvernoy), Louis Musin (Gaston Rieux), Eleanor Broughton (Olympia) (Foto: RW)

Am 13. November war der Saal auch schon zu Beginn spannungsgeladener. Das Licht ging noch nicht aus, und schon verstummte das Publikum beim Auftreten von Ida Stempelmann als Nanina, Marguerites Kammerzofe. Wie sie das Publikum musterte, wollte sich offenbar niemand entgehen lassen. So etwas ist Aura. Häufiger Zwischenbeifall, vor allem nach dem schwarzen Pas de deux sowie nicht enden wollender Jubel und zahlreiche Blumenwürfe beendeten diesen berührenden zweiten Ballettabend. John Neumeier wohnte der Aufführung bei.

Dr. Ralf Wegner, 14. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Kommentar: Click in: Ausblick. Die Ballett-Spielzeit 2025/26 Hamburgische Staatsoper, 28. September 2025

Die Kameliendame, Ballett von John Neumeier Staatsoper Hamburg, Hamburg Ballett, 17. Januar 2024

Die Kameliendame, Ballett von John Neumeier nach dem Roman von Alexandre Dumas d.J. 48. Hamburger Ballett-Tage, Aufführung vom 4. Juli 2023, Staatsoper Hamburg

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