Edvin Revazov, Nicolas Gläsmann und Anna Laudere (Foto Dr. Ralf Wegner)
Wir wurden Zeugen eines tiefgreifenden emotionalen Ereignisses, welches uns, sofern wir als Christen an die Verheißung der Auferstehung glauben, stärker berührt als es jede andere Bühnendarbietung vermag. Neumeiers Matthäuspassion ist ein Ausnahmewerk, welches im Grunde nur erlebt und nicht besprochen werden kann.
Ballett von John Neumeier
Matthäus-Passion
Das sakrale Werk zur Musik von Johann Sebastian Bach ist eines der Schlüsselwerke im Schaffen von John Neumeier – seine Version einer Wiederbelebung des christlichen Kultus im Tanz.
Staatsoper Hamburg, 7. April 2023
von Dr. Ralf Wegner
Nicolas Gläsmann ist als Jesus ein ergreifender, würdiger Nachfolger seiner vier Rollenvorgänger Max Midinet, John Neumeier, Lloyd Riggins und Marc Jubete. Insgesamt standen 41 Tänzerinnen und Tänzer nahezu ständig während der mit Pause mehr als vierstündigen Aufführung auf der Bühne, darunter mit bravourösen Soli u.a. Alexandr Trusch, Aleix Martinez, Patricia Friza oder Madoka Sugai.
Edvin Revazov tanzte das Petrus-Solo, Matias Oberlin hatte den Part des Judas und des Pilatus übernommen. Jemand einzelnen hervorzuheben verbietet sich angesichts der herausragenden tänzerischen und darstellerischen Leistungen aller auftretenden Tänzerinnen und Tänzer. Allein schon so lange auf der Bühne zu agieren und bei den zum Teil statisch besonders beanspruchenden Passagen voll zu überzeugen, ist schon mehr als bemerkenswert.
Was bleibt dann aber in einer Rezension zu berichten. Wir wurden Zeugen eines tiefgreifenden emotionalen Ereignisses, welches uns, sofern wir als Christen an die Verheißung der Auferstehung glauben, stärker berührt als es jede andere Bühnendarbietung vermag. Neumeiers Matthäuspassion ist ein Ausnahmewerk, welches im Grunde nur erlebt und nicht besprochen werden kann.
Zum Gelingen der Aufführung trug auch die herausragende, vom Band eingespielte, 1980 in der St. Michaelis Kirche aufgenommene musikalische Einstudierung unter Günter Jena bei. Peter Schreier und Franz Grundheber hatten damals den Tenor- und den Basspart übernommen. Vor allem die letzte große Arie Mache dich, mein Herze, rein, Ich will Jesum selbst begraben dringt tief ins Herz und löst etwas von der zuvor aufgebauten seelische Spannung. Neumeiers Ensemble nimmt die frohe Botschaft der sich in der Bach’schen Musik ankündigen Auferstehung auf und weist mit großen tänzerischen Tableaus auf den ersehnten Seelenfrieden hin.
Während der gesamten, ausverkauften Aufführung war es im Hause mucksmäuschenstill, erst am Ende entlud sich die Begeisterung des Publikums mit stehenden Ovationen über dem großartigen Matthäus-Passions-Ensemble. Es war sage und schreibe die 217. Vorstellung seit der Premiere am 10. November 1980.
Selbst bei einem Gastspiel in Moskau am 25. Oktober 2017 wollte der Jubel der Moskauer Zuschauer im Tschaikowsky-Konzertsaal nach 4 Stunden Aufführungsdauer kein Ende nehmen. Verglichen mit dem eher dünnen und kurzen Beifall nach einer drei Tage zuvor gesehenen Le Corsaire-Aufführung im Bolschoi-Theater war jene Vorstellung selbst im orthodoxen Moskau ein voller Erfolg gewesen.
Dr. Ralf Wegner, 8. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die vorletzte Vorstellung Matthäus-Passion unter dem Ballettintendanten John Neumeier in HH habe ich so erlebt, wie Herr Dr. Wegner sie beschrieben hat. Danke! Ein Jahr hatte ich gewartet – mit Ungeduld –, um diese Tanzaufführung ein 2.Mal zu sehen. – Danke für den Hinweis auf das russische Publikum in Moskau! Wer die russische, europäische und internationale Kultur ernsthaft liebt, der würde der Freiheit und der Kreativität, dem Frieden hohe Wertschätzung entgegenbringen – eine leise Hoffnung.
Marion Hinz-Petersen