Vineta Sareika-Völkner (Foto: Neda Navae)
Das war mal Richard Strauss galore! Am ersten Pult lässt sich Vineta Sareika-Völkner von dem quasi unspielbaren Heldenleben-Solo nicht beeindrucken und jongliert akrobatische Akkorde und Läufe wie eine Tortenkünstlerin meterhohe Türme an Schlagobers. Was die erste Konzertmeisterin in der Geschichte der Berliner Philharmoniker da liefert, ist mehr als einer Solo-Karriere würdig.
Festspielhaus Baden-Baden, 7. April 2023
Berliner Philharmoniker
Diana Damrau, Sopran
Kirill Petrenko, Dirigent
Vineta Sareika-Völkner, Konzertmeisterin und Solo-Violine
Werke von Richard Strauss
von Johannes Karl Fischer
Den lustigen mit dem saftigen Klang zu jonglieren, das ist die hohe Kunst dieser hammerschweren und zugleich federleichten Musik. Kirill Petrenko bäckt am Pult der Berliner Philharmoniker eine akustische Delikatesse zusammen, solch süße Klänge habe ich noch nie zuvor aus einem Richard-Strauss-Orchester schweben hören. Mit Feuer und Flamme stürzt er sich in die Partitur, lässt den scheinbar furchtlosen Helden durch die Welt galoppieren wie ein Siegfried, der dem Bären im Wald die Pfote abklatscht.
Über Richard Strauss wird gesagt, er konnte den Schaum auf den Bierkrug komponieren. Auch, wenn man – wie ich – kein Bier trinkt: Diese Klänge zergehen voll und ganz auf der Zunge. „Ein Heldenleben“, heroisch, kämpferisch, müsste man meinen. Einen Helden gibt es in diesem Werk, der ist in der Musik auch deutlich zu hören. Tönende Trompetenfanfaren stimmen auf seine heroischen Taten ein, aus dem berühmten Berliner Bläserklang kommt ordentlich Sound raus.
Nur hat dieser Held wohl auch ein Herz für richtig gute Speisen übrig. Besser gesagt für sehr süße. Denn diese Streicherklänge zerschmelzen auf der Zunge wie lauwarmer Altwiener Apfelstrudel. Allen voran zaubert die neue Konzertmeisterin Vineta Sareika-Völkner ein musikalisches Gebäck nach dem anderen aus ihrer Geige, da scheint kein Akkord zu schwer und kein Lauf zu flott. Wunderklänge entstehen, wenn diese Ausnahme-Geigerin teilweise mehrstimmig mit sich selbst – in Form von Doppelgriffen – musiziert.
Denn trotz aller kämpferischen tonkünstlerischen Heldentaten bleibt ihr Klang luftig wie Schlagobers. Sie hat den Saft einer Ausnahme-Solistin, doch stets mit einer starken Infusion an heiter-hopsigem Humor. So geht Richard Strauss, das lustige und das dramatische eben gleichzeitig!
Richard Strauss’ „Ein Heldenleben“ gilt selbst für erfahrene Top-Profis als Feuerprobe der Konzertmeisterliteratur. Diese Konzertmeisterin zeigt all ihren – allesamt männlichen – Vorgängern, was eine Harke ist. Liebe Frau Sareika-Völkner, Sie haben vor nicht einmal zwei Monaten diese Stelle gewonnen, stehen also ganz am Beginn Ihrer Probezeit. Aber sie spielen jetzt schon klarer, leichter, Straussiger als viele Ihrer weit erfahreneren Kollegen.
Fröhlich und heiter gelingen auch Diana Damrau die Vier letzten Lieder. In der ersten Hälfte, sozusagen als Vorspiel zum heroischen Heldenleben. Ihr himmlisch schwebender Sopran scheint auch in diesen düsteren Texten keine Trauer zu kennen, stets strahlt mit Ihrer Stimme Freude in alle Ecken des Hauses. Als würde sie voller Lust und Laune munter Strauss-Lieder für die zwitschernden Vöglein auf einer blumigen Frühlingswiese singen. Läge die Ariadne dort, sie würde vor Freude zu singen und tanzen beginnen. Zerbinetta singt die Vier letzten Lieder. Das war mal eine höchst heitere Interpretation dieses meisterhaften Liederzyklus!
Und wie sich erst dieses Orchester in diesen wunderschönen Engelsgesang einmischt! Wie ein blauer Wasserfall strömen die Streicher in den lächelnden Septembergarten. Sopran und Orchester spielen aus einer Seele, jeder Atemzug, jede Phrasierung der Sängerin verschmilzt im Schwamm der Berliner Klangmagie. „So tief im Abendrot“, das ist der farbenfrohste Sonnenuntergang, den ich je gesehen habe. Die Musik verschwindet im nichts… kommt nach dem Sonnenuntergang vielleicht was noch Schöneres, noch Zauberhafteres? Noch magischer, noch innerlicher als das Heldenleben?
Johannes Karl Fischer, 8. April 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Meine Lieblingsmusik 70: Richard Strauss „Ein Heldenleben“ (1898)
Meine Lieblingsmusik 73: Richard Strauss „Tod und Verklärung“ (1889) Klassik-begeistert.de
Natürlich muss eine Frau heutzutage viel besser spielen als Männer.
Etwas unterkomplex und eigentlich sollte das Geschlecht doch keine Rolle spielen.
Mehr Klischee geht wohl nicht…
Christian Geller
Lieber Herr Geller,
ich finde ist auch wirklich schade, dieses Thema 2023 noch nennen zu müssen. Nur belegen die Zahlen und Statistiken, dass – quer durch die Branche – Frauen an Spitzenpositionen in Berufsorchestern immer noch stark unterrepräsentiert sind. Im März habe ich dieses Thema für BR-Klassik recherchiert: https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/konzertmeisterinnen-gleichberechtigung-im-orchester-berliner-philharmoniker-100.html,
Mit einer solchen Heldenleben-Leistung krönt sich Frau Sareika-Völkner zur Amelia Erhardt der Klassik-Branche!
Johannes Karl Fischer
Ja, und warum ist das schlimm? Wahrscheinlich sind Frauen auch bei Fliesenlegern und im Straßenbau unterrepräsentiert. Das wird allerdings selten beklagt.
Männer sind übrigens total unterrepräsentiert bei den Hebammen, wie schrecklich diese Welt doch ist…
Christian Geller
Herr Fischer, Sie schreiben: „Was die erste Konzertmeisterin in der Geschichte der Berliner Philharmoniker da liefert, ist mehr als einer Solo-Karriere würdig.“
Kann mir jemand erklären, was Herr Fischer mit „ist mehr als einer Solo-Karriere würdig“ meint? Was ist „mehr“ als eine Solo-Karriere? Gibt es so etwas überhaupt?
Dank im Voraus für die Erklärung.
Hindemith
Die Position der KonzertmeisterIn bringt gänzlich andere Herausforderung mit sich als die Solostimme eines Violinkonzerts. Wenn eine Konzertmeisterin das Heldenleben so runter schmettert wie Julia Fischer oder Itzhak Perlman das Brahms-Violinkonzert, kann man – finde ich – von zwei Solo-Karrieren sprechen.
An der Solo-Stimme gemessen ist das Heldenleben ein Konzert für Violine und Orchester. Nur entspricht das nicht der Orchestrierung.
Johannes Karl Fischer