Meine Lieblingsmusik: Top 8 – Richard Strauss „Tod und Verklärung“ (1889) 

Meine Lieblingsmusik 73: Richard Strauss „Tod und Verklärung“ (1889)  Klassik-begeistert.de

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Meine Lieblingsmusik : Top 8 – Richard Strauss „Tod und Verklärung“ (1889) 

Von Daniel Janz

Das Leben nach dem Tode oder den Übergang in eben jenes auszudrücken ist ein Stoff, der wahrscheinlich so alt ist, wie es menschliche Religionen sind. Sei es das christliche Ideal der Erlösung, Horrorvorstellungen von Höllenfahrten und ewiger Folter, der Übergang in ein alles auflösendes Nirvana oder die Vorstellung eines Paradieses – viele Religionen eint die Ansicht, dass nach dem Ableben etwas auf uns Menschen wartet. Kein Wunder also, dass diese Annahmen auch musikalische Umsetzungen fanden. Einem der in meinen Augen beeindruckendsten musikalischen Übergänge vom Leben ins Leben nach dem Tod möchte ich mich heute widmen: Der Tondichtung „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss.

Bereits kurze Zeit nachdem Strauss in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts seine erste Tondichtung „Don Juan“ erfolgreich im Konzertwesen positionieren konnte, packte ihn parallel zur Revision von „Macbeth“ erneut die Inspiration. Seine ersten Programmmusiken hatte er dem Leben zweier zwielichtiger Gestalten gewidmet, was ihm trotz offensichtlichem Ruhm auch viel Kritik der damaligen Fachpresse eingebrockt hatte. Nun aber wollte er sich dem Fatalistischen widmen: Dem Todeskampf selbst. Ein Stoff, der für Strauss ungewohnte Wege darstellte.

Dieser Wandel blieb Zeitzeugen auch nicht verborgen. Zwar war die Rezensionsgeschichte auch hier anfänglich ein Reinfall – allen voran kritische Stimmen, wie Eduard Hanslick in Wien, der in dem Werk das von Strauss vorangestellte Gedicht von Alexander Ritter Zeile für Zeile in Musik übersetzt sah und es eine „grausigen Dissonanzenschlacht“ nannte. Dass Ritter das Gedicht erst nach Fertigstellung der Komposition auf Straussens Bitte hin geschrieben hatte, übersah Hanslick gleich mit. Auch andere Zeugnisse, die in dem Werk fälschlicherweise ein vorangegangenes Nahtoderlebnis von Strauss annahmen, ließen jede Expertise vermissen.

Doch neben den teilweise harschen, teilweise absurden Verrissen finden sich auch lobende Stimmen. Da wird von einem bedeutsamen Werk, von „spektakulär und brillant“, vom „großen, außergewöhnlichen Menschen“, dem Strauss sich gewidmet hätte, vom „Künstlertitan“ und von bahnbrechendem Talent gesprochen.

Tatsächlich kann man „Tod und Verklärung“ zu einer der metaphysischsten Kompositionen von Strauss zählen. Dass es dabei bereits von Anfang an von mystifizierenden Erzählungen begleitet wurde, liegt beinahe im Sinn der Sache. Ein Umstand, der Strauss auch bis zu seinem Ableben und darüber hinaus begleitet hat, als er selbst im eigenen Todeskampf verlauten ließ, dass sich das Sterben genauso anfühlen würde, wie diese Musik. Insofern also ein Werk, dessen Ausdruck hält, was Name und Programm versprechen.

Inhaltlich begegnet uns ein auf dem Totenbett liegender Kranker, der in den letzten Momenten seines Lebens geplagt von Fieberträumen noch einmal die vergangenen Jahre revuepassieren lässt. Analog dazu schrieb Strauss selber: „Der Kranke liegt im Schlummer, schwer u. unregelmäßig atmend, zu Bette; freundliche Träume zaubern ein Lächeln auf das Antlitz des schwer Leidenden“.

Diese Ausgangslage stellt Strauss in einem fahlen, fast leer klingenden Akkord dar. Zu Beginn des einsätzigen Werkes dominieren Quart-Sext-Akkorde. Diese Art von Akkord wurde zwar auch schon früher nicht harmonisch verpönt, konnte aber je nach Kontext als dissonant wahrgenommen werden (Auffassungsdissonanz) und damit als Symbol für Leiden gut herhalten. Begleitet werden diese Leidensklänge von dumpfen Paukenschlägen, die sich auch als Pulsschlag des im Bette liegenden deuten lassen. Bereits in diesen ersten 2 Minuten Musik findet sich damit so viel Klangmalerei, dass die Komposition von Anfang ergreift.

Unvermittelt, fast schon erschreckend setzt auf einen plötzlichen Paukenschlag das erste musikalische Aufbäumen ein. Einen solch unvermittelt dramatischen Einwurf kennt man von Strauss ansonsten eher nicht und die darauffolgende Steigerung zum musikalisch ausgedrückten Todeskampf ist eine der furchterweckendsten, wenn nicht sogar die furchterweckendste Musik, die er jemals komponiert hat. Hier folgt ein Ausbruch dem nächsten, tosendes Trompetengeschmetter und durchschlagende Posaunenstöße stellen hier das Gerüst dar, auf dem Strauss eine famose Dramatik im gesamten Orchester aufbaut.

Es folgt ein episodenhafter Abschnitt, in dem der Sterbende „seines vergangenen Lebens“ gedenkt. Strauss schreibt: „seine Kindheit zieht an ihm vorüber, seine Jünglingszeit mit seinem Streben, seinen Leidenschaften u. dann, während schon wieder Schmerzen sich einstellen, erscheint ihm die Leuchte seines Lebenspfades, die Idee, das Ideal, das er zu verwirklichen, künstlerisch darzustellen versucht hat, das er aber nicht vollenden konnte“. Zum Ausdruck dieses musikalischen Scheiterns nutzt er treffend immer wieder die Posaunen, die das sich stets neu aufbauende Thema der Verklärung durchstoßen und damit (zer)stören. Eine Vollendung ist dem hier Sterbenden zu Lebzeiten nicht gegönnt gewesen.

Den Fieberträumen und unerfüllten Lebenszielen folgt nach kurzer Rückkehr in das musikalische Leid ein weiterer Todeskampf. Einer, den der Protagonist nicht überlebt. Stattdessen schildert Strauss das Entschwinden musikalisch durch die Verwendung des Tamtams, das er verhältnismäßig leise anschlagen lässt. Die Atmosphäre, die er dadurch aufbaut, kommt einem musikalischen Übergang ins Leben nach dem Tod gleich. Eine mystische Reise, die er die Seele des Verstorbenen antreten lässt.

Und nachdem diese zunächst ziellos von einem Akkord in den nächsten gleitet, begegnet uns erneut das Thema der Verklärung und diesmal in strahlender Vollendung. Was Strauss hier zeichnet ist nicht nur eine Himmelsreise hin zur erlösenden Glückseligkeit. Sondern er lädt diese auch noch semantisch auf: Was auf Erden nicht zu erreichen war, weil es immer unvollständig, immer am Makel der Menschlichkeit gescheitert ist, das findet erst jetzt zur vollendeten Perfektion. Ganz gleich, wie man zu der damit verbundenen religiösen Botschaft steht, so zeigt Strauss hier, dass er zu mehr in der Lage war, als nur eine Geschichte in Töne zu übersetzen.

Dazu kommt der faszinierende Umstand, dass dies eine von wenigen Tondichtungen ist, die Strauss mit einem glorreichen Finale anstatt einem leisen Ausklingen enden lässt. Damit reiht sie sich zu Macbeth, Till Eulenspiegel, der nach seinem Ableben einen ruhmreichen Nachruf erlebt und dem Heldenleben ein. Für letzteres zeichnet sie sogar eine bemerkenswerte Entwicklung vor: Auch der Held des Heldenlebens erfährt erst im Tod seine Erhöhung zum Heldentum und damit seine Vollendung. Ob Strauss uns damit sagen wollte, dass alle Vollendung nur im Tod zu finden ist? Fest steht, dass er in „Tod und Verklärung“ eine beeindruckende Komposition von 20 Minuten Länge schuf, die ich uneingeschränkt empfehle. Ob man sie religiös deutet, als Vertonung einer Gefühlsregung oder sich dem nachträglich zugefügten Gedicht bedient – dies ist ein musikalisches Erlebnis, das man mindestens einmal gemacht haben sollte!

Daniel Janz, 1. Dezember 2021, für
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Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.

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