Demis Volpi mit den Tänzerinnen und Tänzern des Hamburg Balletts (Foto: RW)
Es war also die Aufgabe von Jo Ann Endicott gewesen, das Stück, in dem sie vor 50 Jahren auch getanzt hatte, zu rekonstruieren. Das sei ihr möglich, da sie eine innere Verbindung zwischen sich und der Oben weilenden Pina verspüre.
242. Ballett-Werkstatt seit dem 9. September 1973
Ballett-Werkstatt I, The Times Are Racing
Ballettintendant Demis Volpi spricht über die erste Ballettpremiere der Spielzeit
Hamburg Ballett, Staatsoper Hamburg, 15. September 2024
von Dr. Ralf Wegner
Dass er vom Hamburger Ballett-Publikum nicht mit Wärme und Wohlwollen empfangen worden sei, wird Demis Volpi später nicht sagen können. Vorschusslorbeeren gab es genug und seine jungenhafte lockere Art kam auch gut beim Publikum an. Es war die 242. Ballettwerkstatt seit 1973 und, darauf wies Volpi zweimal hin, seine erste.
Um zu zeigen, dass es damals neben John Neumeier oder John Cranko noch andere Auffassungen über Tanz gab, wolle er mit einem frühen Stück von Pina Bausch beginnen. Deshalb habe er sich für seine erste Premiere ihr Adagio nach Gustav Mahlers 10. Sinfonie ausgesucht.
Jo Ann Endicott, die jetzt 74-jährige australische Tänzerin und Wegbegleiterin Pina Bausch’ demonstrierte auf der Bühne der Staatsoper, worum es der Choreographin damals ging, die Bewegung müsse aus der Atmung kommen, der Atem solle die Glieder zum Fließen bringen. Dafür ließ sie die Hamburger Tänzerinnen und Tänzer atmen und sich bewegen. Besonders fiel Gabriel Barbosa mit seinen langen Port de bras ins Auge. Man wird bei der Premiere sehen, ob das Stück darüber hinaus noch mehr hergibt.
Das stärkste Stück von Pina Bausch scheint es nicht gewesen zu sein, denn in das Ballett-Repertoire hat es ihr Adagio offensichtlich nicht geschafft. Es war also die Aufgabe von Jo Ann Endicott gewesen, das Stück, in dem sie vor 50 Jahren auch getanzt hatte, zu rekonstruieren. Das sei ihr möglich, da sie eine innere Verbindung zwischen sich und der Oben weilenden Pina verspüre. Volpi führte an, dieses Stück und nicht ein populäreres gewählt zu haben, da es bisher keine andere Kompanie im Repertoire hätte.
Als nächstes betrat Jozef Varga die Bühne. Seit 2022 als Ballettmeister beim Holländischen Nationalballett tätig, zeigte er, wie sich Hans von Manen die Variations for Two Couples dachte: Minimalistisch getanzt ohne jeden Schnörkel, alles Dekorative weglassend. Dafür stand ihm auch mit Madoka Sugai und Alexandr Trusch ein perfektes Tanzpaar zur Verfügung. An deren tanztechnische und ausdruckstarke Qualität reichten Ida Praetorius und Matias Oberlin noch nicht ganz heran. Aber es sind ja auch noch zwei Wochen Zeit bis zur Premiere.
Demis Volpi steuerte mit The Thing with feathers ein eigenes Werk bei. Das nach einem Gedicht der amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson benannte Stück soll nach Volpi Hoffnung und wohl auch Optimismus ausdrücken. Bis auf Stellproben für die größere Hamburger Ballettbühne und einem rasanten Solo des neu in das Ensemble aufgenommenen Jack Bruce blieb eher wenig in Erinnerung.
Bei dem letzten präsentierten Stück The Times Are Racing (Choreographie Justin Peck) handelte es sich um einen klassischen Rausschmeißer, der das Publikum enthusiasmieren sollte. Fast das gesamt Ensemble bevölkert die Bühne und lauschte mit Begeisterung den Anweisungen des eher schmalbrüstigen, aber beeindruckend tief-stimmstarken Craig Salstein.
Der Solotänzer des American Ballett Theater arbeitet jetzt als Tanzlehrer und war für die Choreographie des Bernstein-Musicals West Side Story in der Verfilmung von Steven Spielberg (2021) mitverantwortlich gewesen. Ähnlich wirkten die Tanzszenen nach der rhythmisch-wummernden Musik von Dan Deacon. Einen Narren hatte Salstein an der wunderbaren Tänzerin Ida Stempelmann gefunden, deren Nachnamen er sich wiederholt auf der Zunge zergehen ließ. Stempelmann hatte ein Solo vor der Gruppe zu tanzen, für die nach einem YouTube-Video eigentlich ein männlicher Tänzer vorgesehen war.
Jedenfalls wurde dieses rasante Stück am Ende umjubelt, und man sah eigentlich nur fröhliche Gesichter beim Verlassen der Staatsoper.
Dr. Ralf Wegner, 16. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm des Hamburger Balletts in der Saison 2024/25 Staatsoper Hamburg, 18. März 2024