Schritte ohne zwischenmenschliche Beziehung sind langweilig

Ballett-Werkstatt III  Staatsoper Hamburg, 2. Februar 2025

John Neumeier vor dem Vorhang (Foto: RW)

John Neumeier vor der Wiederaufnahme von Tod in Venedig

Neumeier sprach nicht von Liebe in der Beziehung von Aschenbach zu Tadzio, Liebe würde im deutschen ausschließlicher, nicht so umfassend sein wie das englische Care. Und zwar im Sinne von Zuwendung zum Gegenüber, zum anderen Menschen und zum Leben überhaupt. Und so haben wir Neumeiers Ballette immer erlebt, als Zuwendung zum Gegenüber, zum Menschlichen an sich, ganz im christlichen Sinne.

Ballett-Werkstatt III
244. Ballett-Werkstatt seit dem 9. September 1973

Probe für Tod in Venedig

John Neumeier sprach über die kommende Wiederaufnahme

Staatsoper Hamburg, 2. Februar 2025

von Dr. Ralf Wegner

Wie schön, John Neumeier wieder einmal auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper zu erleben. Demis Volpi hatte ihm die Ballettwerkstatt für Neumeiers Wiederaufnahme seines Balletts Tod in Venedig nach der Novelle von Thomas Mann überlassen.
Und wie der Choreograph den Zuschauern seine Umsetzung des Mann’schen Textes erläuterte, quasi Verständnis für seine Wahl von Musik und Bewegung vermittelte, sprach für das Genie dieses hochgebildeten Künstlers. Etwas blieb vor allem von seinen Worten haften: Schritte sind nur Schritte und für sich langweilig, wenn sie nicht gelebt und in zwischenmenschliche Beziehung übersetzt werden.

Das hat Neumeiers Handlungsballette ebenso wie seine rein sinfonischen Werke immer ausgezeichnet. Es waren nicht Schritte um ihrer selbst oder der artistischen Brillanz willen, sie dienten immer dem Ausdruck der Beziehung zwischen den Tänzerinnen und Tänzern, selbst wenn diese keine bestimmten Personen darzustellen hatten.

Und Neumeier wies ausdrücklich auf die Qualitäten des Hamburger Ballettensembles hin, jedes einzelne Paar auf der Bühne agiere bei aller Gemeinsamkeit so individuell charismatisch, dass es sich für ihn lohnte, sich bei jede Folgeaufführung ein anderes Tänzerpaar anzuschauen und sich von diesem berühren zu lassen.

Und Neumeiers Choreographie, seine Pas de deux und Pas de trois berührten die Seele, auch ohne Bühne oder Kostüme, nur infolge der immensen Ausdruckskraft der Tänzerinnen und Tänzer. Wie Silvia Azzoni und Alexandre Riabko als Aschenbachs Konzepte mit fließend-eleganter Linie und perfekten Hebungen auf sich aufmerksam machten, war von Neumeier vielleicht so gar nicht gewollt. Denn Aschenbach verwirft dieses tänzerische Vokabular, er sucht etwas Neues. Und Neumeier berichtet von der Schwierigkeit, etwas zu choreographieren, was ihm bzw. seinem Alter Ego Aschenbach tänzerisch an dem intendierten Ballett über Friedrich den Großen missfällt. Etwas gezirkelter geriet da schon die Figur des Protagonisten, wohl aber auch, weil Tänzer, hier auf der Bühne Alessandro Frola, in Barockkostümen immer etwas merkwürdig ausschauen.

Gespannt wird man sein auf die Rollenauslegung von Edvin Revazov als Aschenbach, der ja vor zwei Jahrzehnten den Tadzio tanzte. Heute teilten sich diesen Part Caspar Sasse und Lennard Giesenberg. In der Zweitbesetzung wird Christopher Evans den Gustav von Aschenbach tanzen.

John Neumeier und das Hamburger Ballettensemble, von links: Ondřej Rudčenko (Klavier), Lennard Giesenberg (Tadzio II), Christopher Evans (Aschenbach II), Caspar Sasse (Tadzio I), Edvin Revazov (Aschenbach I), Anna Laudere (Tadzios Mutter I), Louis Musin (Wanderer I), Silvia Azzoni und Alexandre Riabko (Aschenbachs Konzepte I) (Foto: RW)

Neumeier sprach lange über die Musikauswahl. Während er anfangs nur an Bach gedacht habe, verwarf er später diese Idee und zog Richard Wagner
mit musikalischen Bezügen zu Mathilde Wesendonck sowie Musik aus Tristan und Isolde sowie das Bacchanal aus Tannhäuser hinzu.

Und Isoldes Liebestod untermalte schließlich den berührenden letzten Pas de deux von Aschenbach mit Tadzio, der mit seinem Tod endet. Neumeier sprach nicht von Liebe in der Beziehung von Aschenbach zu Tadzio, Liebe würde im deutschen ausschließlicher, nicht so umfassend sein wie das englische Care. Und zwar im Sinne von Zuwendung zum Gegenüber, zum anderen Menschen und zum Leben überhaupt. Und so haben wir Neumeiers Ballette immer erlebt, als Zuwendung zum Gegenüber, hin zum Menschlichen an sich, ganz im christlichen Sinne.

Dr. Ralf Wegner, 2. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sechs Aufführungen dieses choreographischen Meisterwerks gibt es vorerst im Februar, und zwar am 9., 11., 12., 15., 21. und 22. Februar.

Hamburg Ballett, Tod in Venedig, John Neumeier, Staatsoper Hamburg, 19. Januar 2022

Ballett Der Nussknacker, John Neumeier Staatsoper Hamburg, 5. Januar 2025

Jane Eyre, Ballett von Cathy Marston Hamburg Ballett, 16. November 2024

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