Foto: Der Tod und das Mädchen © Serghei Gherciu
Prinzregententheater, München, 1. Juli 2019
Bayerisches Staatsballett
À Jour – Zeitgenössische Choreographien – Neuproduktion
von Barbara Hauter
Alle drei haben das Leben und sein Verlöschen zum Thema. Wie ein rotes Band zieht sich das wortwörtlich durch den Abend. Sonst aber könnten die drei Halbstünder unterschiedlicher nicht sein.
„Der Tod und das Mädchen“ hat ein Motiv, das seit der Renaissance in allen Kunstgattungen beliebt ist und das zu dem Schubertschen Streichquartett auch schon öfter vertanzt wurde. Der in Taiwan geborene und in Kalifornien aufgewachsene Choreografen Edwaard Liang inszeniert seinen Tod als einen kraftvollen, in Bondage-Oberteil geschnürten, erotisch-lockenden schönen jungen Mann – und nicht als hässlichen alten Schrecken. Ihm zur Seite stehen sieben weitere Tänzer, quasi Gehilfen des Herren Tod. Das Mädchen erscheint in doppelter Ausführung und in einer modernen Variante mit schwarzem Bob, wie eine Figur einem Computerspiel. Und wie im Game sind die beiden unnahbar und unbesiegbar. Am Ende der erotischen Annäherungen in elegant geschmeidigen Pas des deux ist es der Tod, der am Boden liegt.
Auch „Sacré“ widmet sich einer berühmten Ballettmusik, dem Frühlingsopfer, das Igor Strawinsky vor rund hundert Jahren für das Ballets Russes komponiert hat und das seitdem von vielen Choreographen wie Wigman, Bejart und Bausch bearbeitet worden ist. Wie an seinem Ursprung mit Nijinsky steht auch bei der Arbeit der Japanerin Yuka Oishi ein Tanzstar im Mittelpunkt: Sergei Polunin. „Sacré“ ist intimes Solostück, das sich ganz den Emotionen der Tänzer Polunin/Nijinsky widmet. Inmitten eines Kreises aus Herbstblättern ist er allein auf der Bühne, schreitet, marschiert, springt, versinkt in sich selbst, sinnt nach, strafft den Körper wieder und schraubt ihn geschmeidig in die Höhe, tanzt wieder in den holzschnitthaften Bewegungen Nijinskys.
Ein Seil markiert unter den Blättern verborgen den Kreis. Es wird für Polunin erst zum Halt, dann verheddert er sich zusehends bis er schließlich unter seinem Gewirr zusammenbricht – ein Bild für den Wahn, in dem Nijinsky 1919 versank. Dem Publikum gefällt es, der Applaus tobt. Doch ein Geschmack bleibt. Denn Polunin tanzt mit nacktem Oberkörper, seine Tattoos wie an einer Litfaßsäule ausgestellt: man beklatscht auch ein Abbild Putins auf der Brust und das Kolovrat auf seinem Bauch, ein bei Neonazis beliebtes Symbol, ein achtgliedriges Hakenkreuz.
„Cecil Hotel“ von Andrey Kaydanovskiy schließlich beweist, dass zeitgenössisches Ballett humorvoll und überraschend Geschichten erzählen kann. Das 700 Zimmer große Cecil Hotel in Los Angeles gibt es wirklich. Es ist Schauplatz von Suiziden, Morden und mysteriösem Verschwinden. Der russische Wahl-Wiener Kaydanovskiy bringt diese Tragödien mit viel schwarzem Humor auf die Bühne.
Dabei sind seine Tänzer nicht nur technisch, sondern auch als Schauspieler gefordert. Gelungen ist ihm so ein komisch-makaberes Horrorballett mit einem Soundtrack aus Geräuschen und Musikhäppchen, der zu jedem Splatterfilm passen würde. Ungerührt vom mörderischen Geschehen wischt der Lobby-Boy höchst tänzerisch das Blut vom Boden, während hinter ihm ein suizidaler Transvestit verschiedene Selbstmordmethoden ausprobiert und ein Serienmörder seine Opfer in Teppiche einrollt. Besonders beeindruckend sind dabei die Leichen getanzt – sie wirken wie Gummipuppen, fast unnatürlich beweglich.
Die Bravi für Mörder und Opfer sind mehr als verdient.
Barbara Hauter, 2. Juli 2019, für
klassik-begeistert.de
Der Tod und das Mädchen von Edwaard Liang
Musik: Franz Schubert
Solistinnen: Kristina Lind, Prisca Zeisel
Solist: Henry Grey
Sacré von Yuka Oishi
Musik: Igor Strawinsky
Tänzer: Sergei Polunin
Cecil Hotel von Andrey Kaydanovskiy
Elisa: Séverine Ferrolier
Jack: Jonah Cook
Prostituierte: Ksenia Rzyhkova
Richard: Jinhao Zhang
Betty: Carollina de Souza Bastos
Lobby-Boy: Dustin Klein
Selbstmörder: Florian Sollfrank