Wer ein solches Meisterwerk so meisterhaft auf die Bühne bringt, hat uneingeschränkten Beifall verdient. Der frenetische Applaus des Publikums für das gesamte Ensemble wird mit einem Da capo aus dem Schlusschor bedankt und schließlich vom Winken der Truppe abmoderiert. Pompeo Magno hat Bayreuth im Sturm erobert, und wir sind für drei Stunden, ohne es auch nur zu bemerken, Sklaven der Barockoper geworden.
Pompeo Magno
Dramma per musica von Francesco Cavalli
Libretto von Nicolò Minato
Musikalische Leitung Leonardo García Alarcón
Regie Max Emanuel Cenčić
Bühne Helmut Stürmer
Kostüme Corina Gramosteanu
Bewegungscoach Chiara D’Anna
Pompeo Magno Max Emanuel Cenčić
Issicratea Mariana Flores
Mitridate Valerio Contaldo
Farnace, Amore Alois Mühlbacher
Sesto Nicolò Balducci
Giulia Sophie Junker
Cesare Victor Sicard
Claudio Nicholas Scott
Servilio Valer Sabadus
Crasso Jorge Navarro Colorado
Delfo Dominique Visse
Arpalia Kacper Szelazek
Atrea Marcel Beekmann
Vier Prencipi Pierre Lenoir, Angelo Kidoniefs, Yannis Filias, Christos Christodoulou
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, 6. September 2025
von Sandra Grohmann
Vielleicht denken Sie beim Stichwort Barockoper ebenso wie ich zunächst an die großen höfischen Opern mit antiken Stoffen, in denen man – wenn die Inszenierung dem nicht vorbeugt – Gefahr läuft, spätestens bei
der 102. Verzierung in Tiefschlaf zu verfallen. Sollten Sie ausgesprochener Barockfan sein, mögen Sie mir diese Bemerkung nachsehen.
In diesem Fall wissen Sie (anders als ich bis vor kurzem) wahrscheinlich ohnehin, dass es schon vor fast 400 Jahren die erste Opernrevolution gab und neben der Hofoper die öffentliche Oper entstand, zu der auch Francesco Cavallis venezianische Karnevalsoper Pompeo Magno gehört. Das Werk über den römischen Feldherrn kann man getrost als barockes Musical bezeichnen: Mit eingängiger Musik und populärer Aufführungspraxis spricht es ohne jegliche Berührungsangst ganz nebenher große Themen an.
Venezianischer Karneval auf der Bühne des altehrwürdigen Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth, das nur für eine einzige hochherrschaftliche Hochzeit erbaut worden ist, also eigentlich wieder abgetragen werden sollte – und stattdessen heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Dort einmal eine Oper zu erleben, ist an sich schon die Reise wert.

Und nun landen wir gleich in Venedig. Zu erkennen schon am Löwen über dem die Bühne in voller Breite einnehmenden dreibögigen Portal, das zu Beginn mit leichten Commedia dell’arte-typischen Vorhängen zugezogen ist. Und dann natürlich an den Masken, den grandiosen Kostümen und der erotischen Zügellosigkeit, die dem Libretto entspringt und die ernst-philosophische Handlung (wir müssen durch Leid gehen, um zur Freude zu gelangen, wie es im Schlusschor heißt) kontrastiert.
Dabei sind die aus Silikon geschaffene Barbusigkeit der (kleinwüchsigen) Frauen aus dem Volk und die Hörnchen zwischen den Beinen der Männer zwar nicht zu übersehen, passieren aber nie die Grenze zum Peinlichen – wenn man das Thema nicht an sich peinlich findet. Die Inszenierung spielt lustvoll das in der Oper angelegte Karnevalsthema in aller Deftigkeit frohgemut aus.
Chiara D’Anna als Bewegungscoach hat dabei augenscheinlich ganze Arbeit geleistet, und die Probenmühe (die mit dem ganzen Ensemble in Athen stattfand) hat sich gelohnt. Sänger und Schauspieler (kleinwüchsig bis riesig) bringen eine Spielfreude auf die Bretter, die das Publikum in den Bann schlägt. Fast ein wenig zu ruhig ist es im Parkett und auf den Rängen des altehrwürdigen Saals: Musik und Darsteller laden gelegentlich nachgerade zum Mittanzen und -klatschen ein, doch das greift an diesem Abend keiner auf, und man muss es freilich auch nicht übertreiben.
Dafür ist auf der Bühne umso mehr los. In den phantasievollen Kostümen von Corina Gramosteanu und im stilsicheren Bühnenbild von Helmut Stürmer, das sich perfekt in das Setting des Opernhauses einfügt, legen Sänger und Schauspieler ein Tempo vor, das mit Musik und Text vollständig übereinstimmt. In durchgängig beeindruckend hoher Qualität präsentieren die Sänger gekonnt ihre Figuren.
Mariana Flores gibt die anbetungswürdige, aber kühle Königin Issicratea mit ebensolchen Tönen, Valerio Contaldo ihren dezent verbohrten Gatten Mitridate mit warmem Tenor. Alois Mühlbacher als ihr gemeinsamer Sohn Farnace wirkt dank des genialen weißen Pierrot-Kostüms mit den geschlossenen und zu langen, fast zwangsjackenhaften Ärmeln ohne weitere Umstände traurig kindlich, was er gekonnt in Gestus und Stimme übernimmt. Die versklavte, auseinandergerissene Familie hat im Moment ihrer Wiedervereinigung ihren dramatischsten und zugleich komischsten Moment: Nämlich ausgerechnet als die drei sich selbst vergiften wollen, jedoch nicht dazu kommen, weil sie sich nicht einigen können, wer zuerst darf. Was für ein Libretto!
Nicolò Balducci, wie Mühlbacher ein sehr hörenswerter Countertenor, bringt als unerwünschter Verehrer der Issicratea einen zwischen Manierismen und Herzenstugend schwankenden Sesto zum Vorschein, während Claudio, der Sohn des Cesare, im Pantalone-Kostüm mit überhöhter Mütze quasi ein personifizierter symbolischer Phallus ist, der die arme Issicratea nervt, wann immer sie den kaum abzuschüttelnden Sesto dann doch einmal verscheucht hat.
Mit entzückender Galanterie, erquickend agilem Sopran und einem angenehmen Maß an Eigensinn bezaubert Giulia, Tochter des Cesare, Sophie Junker, nicht nur ihren Liebhaber Servilio, sondern auch den großen Pompeo. Dieser zwischen Amor und Mars – Liebe und Gewalt – hin- und hergerissene Typ stellt hier den Dogen von Venedig dar, der sich in bereits vorgerücktem Greisenalter den Fährnissen des Lebens und der Liebe stellt.
Max Emanul Cenčić, der auch die detailreiche, aber nie unübersichtliche Inszenierung verantwortet, spielt und singt ihn ausdifferenziert eindringlich und zugleich mit angenehmem Augenzwinkern. Die philosophischen Ausführungen über die Unendlichkeit von Anfang und Ende des Seins behält das Textbuch weitgehend ihm vor. Dass Rom in der Inszenierung keine Rolle spielt, stört dabei nicht: Wir erleben die Barockoper als solche, und diese hier gehört eben nach Venedig.
Aus dem Graben mit den illustren Barockinstrumenten der Capella Mediterranea – des Residenzorchesters des Bayreuth Baroque Opera Festival 2025 – kommt zu alledem die Grundstimmung: die Klagelaute, die Tanzrhythmen, die Gewitterdonner und das Schmachten. Mit Pauken und Posaunen auch der nötige Pomp. Für die perfekte Abstimmung zwischen Sängern, Musikern und Schauspielern – etwa wenn die Marktbesucherinnen im passenden Moment dem Bühnen-Straßenmusiker die Münzen ins Schälchen klimpern lassen – sorgt mit immerwährender Aufmerksamkeit und ausgeprägter musikalischer Leidenschaft Leonardo García Alarcón.
Wer ein solches Meisterwerk so meisterhaft auf die Bühne bringt, hat uneingeschränkten Beifall verdient. Der frenetische Applaus des Publikums für das gesamte Ensemble wird mit einem Da capo aus dem Schlusschor bedankt und schließlich vom Winken der Truppe abmoderiert. Pompeo Magno hat Bayreuth im Sturm erobert, und wir sind für drei Stunden, ohne es auch nur zu bemerken, Sklaven der Barockoper geworden.
Sandra Grohmann, 7. September 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at