Beim Beethovenfest erklingt ein ergreifendes Lied von der Erde

Beethoven Fest Bonn: Chamber Orchestra of Europe Robin Ticciati, Dirigent  Bonn, Festivalzentrale Kreuzkirche, 22. September 2023

Robin Ticciati © Kai Bienert

Robin Ticciati dirigiert das Chamber Orchestra of Europe in der Kreuzkirche


Bonn, Festivalzentrale Kreuzkirche, 22. September 2023

Brett Dean (*1961) – Pastoral Symphony für Kammerorchester

Gustav Mahler (1860-1911) – Das Lied von der Erde
Natalya Boeva, Mezzosopran
Allan Clayton, Tenor

Chamber Orchestra of Europe
Robin Ticciati, Dirigent

 von Brian Cooper, Bonn

Um kurz vor sieben kommt die SMS eines Freundes. Ob ich in der Philharmonie sei. Normalerweise schon, stünde nicht das Abschlusswochenende des Beethovenfests in Bonn an. Warum in die Ferne – also nach Köln – schweifen, wenn das Gute so nah ist? Ich wünsche ihm viel Freude mit der großartigen Midori, die Bernsteins Serenade mit dem WDRSO spielt. Unglaublich, was für ein Kulturangebot wir hier haben. Auch das sollte immer wieder gewürdigt werden.

Apropos Ferne: Dem Chamber Orchestra of Europe bin ich früher bis Paris gefolgt, als ich noch für Konzerte nach Paris fuhr, und nach Baden-Baden reise ich ihm noch immer gern hinterher. Und nun spielen sie in Bonn gleich zweimal: an diesem Freitagabend in der Kreuzkirche Werke von Brett Dean und Gustav Mahler, und dann folgt am Sonntag noch das Abschlusskonzert, beides unter Robin Ticciati, dem eleganten und charismatischen Briten. Am Samstag ist obendrein noch das Mahler Chamber Orchestra in town. Hörerherz, was willst Du mehr?

Es ist also einmal mehr ein hochkarätiges Beethovenfest, und die Menschen in der ehemaligen Bundeshauptstadt nehmen das Programm an: Die von mir besuchten Konzerte sind gut besucht bis ausverkauft. Das Publikum ist durchmischt, viele junge Leute sind dabei.

„Also, bei meiner Pastoral Symphony, im Vergleich zu… es gibt, glaube ich, andere Pastoral Symphonies… aber, ja, bei meiner spielen australische Vogelarten eine ganz große Rolle.“

So der australische Komponist Brett Dean in einem interessanten YouTube-Video. Das Augenzwinkern in der Bemerkung ist natürlich zugleich Referenz und Reverenz an den Bonner Übervater und dessen 6. Sinfonie. Mit der allerdings Deans Werk nicht viel zu tun hat.

Dean, von 1985 bis 1999 Bratschist bei den Berliner Philharmonikern, ist ein Klangmagier. Seine Pastorale ist schwer zu beschreiben: melodienarm, mit forte-Eruptionen, mal sticht eine Oboe hervor, mal eine Klarinette, am Ende eine Trompete, perkussiv ist es hochspannend, es sind aber eher Melodiefetzen, bevor ein gewaltiges Crescendo Erinnerungen an das Ende des ersten Abschnitts von Strawinskys Sacre du printemps weckt. Am Ende kracht alles derart in sich zusammen, dass man zusammenzuckt. Es ist beeindruckend, und man würde nicht dümmer, wenn man es mehrmals hörte. Im Ohr habe ich die Stimme meines Vaters: „I wouldn’t buy the CD“. Und in der Tat, das muss man idealerweise live hören.

Interessant ist, dass der anwesende Komponist (er wurde beim Applaus von Ticciati hervorgehoben, stand auf, kam aber nicht auf die Bühne – Bescheidenheit?) mit Vogelstimmen vom Band arbeitet. Das kennen wir von Respighis Pini di Roma, wo allerdings keine Kookaburras zu hören sind, sondern Nachtigallen. Zudem werden vorproduzierte Geräusche gesampelt, so dass keine Aufführung der anderen gleicht.

„Gustav Mahler und Brett Dean waren und sind beide große Naturliebhaber, die aus der Schönheit und dem Klang unberührter Landschaften Musik schöpfen“, liest man auf der Homepage des Beethovenfests.

Der Mann ist, genau wie Gustav Mahler, großer Naturliebhaber, und die Natur steht im Mittelpunkt der beiden Werke des drittletzten Abends beim Bonner Beethovenfest.

Vordergründig gibt es kein pastorales Idyll in Deans Musik. Der Mensch sehe Land und denke, es sei nur für ihn da, so Dean. Das beschäftigt ihn. Und das passt auch zur zunächst etwas pathetisch anmutenden Beschreibung des heutigen Konzerts: „Ein Konzert, das die Natur feiern will, aber auch die Bedrohungen der Ökosphäre thematisiert.“

Robin Ticciati dirigierte nach der Pause gewohnt elegant Mahlers Lied von der Erde. Gespannt war ich auf die Akustik der Kreuzkirche, in der ich schon so manches Oratorium gehört habe. Wie klingt nun Mahler?

DSO, Robin Ticciati © Alexander Gnädinger

Zunächst ist das nicht ganz einfach zu beantworten. Das Ohr muss sich daran gewöhnen, Mahler in einer Kirche zu hören. Und im Gegensatz zu den Bruckner-Sinfonien des oben erwähnten WDRSO in St. Maria im Kapitol vor vielen Jahren unter Eliahu Inbal hört man nicht alles vierfach. Das ist schon mal gut. Die Kreuzkirche hat eine gute Akustik.

Der Beginn ist zwiespältig. Aber wie gesagt: Das Ohr muss sich anpassen. Allan Clayton hat einen silbrig-strahlenden Tenor, der in der Lage ist, dem Orchester Paroli zu bieten.

Allan Clayton © Sim Canetti Clarke

Die Besetzung der Mezzo-Partie muss ein Alptraum gewesen sein. Bei Veröffentlichung des Programms war Alice Coote angekündigt. Dann Gerhild Romberger. Diese erkrankte kurzfristig (gute Besserung an dieser Stelle) und wurde von Natalya Boeva vertreten. Frau Boeva war zu Beginn des zweiten der sechs Lieder nicht gut zu hören, doch innerhalb kürzester Zeit hatte man sich mit dem Orchester „eingegroovt“, so dass die Balance gefunden wurde.

Im dritten Lied erklingt Claytons Tenorstimme hell und silbrig, im vierten Boevas Stimme zu Beginn glutvoll, man merkt eine gewisse Ähnlichkeit zu Mahlers Vierter, die mir bis dato nicht aufgefallen war. Die Textverständlichkeit bei schnellen Stellen lässt zu wünschen übrig. Doch wie gesagt, es kann auch an der Kirchenakustik liegen. Das G-Dur-Ende gefällt.

Im vorletzten Lied gestaltet der Tenor aufs Schönste seine Partie. Die Kontraste zwischen der Passage „Horch! Ein Vogel singt im Baum“ und „Was geht mich denn der Frühling an? Lasst mich betrunken sein!“ sind bemerkenswert kontrastreich gestaltet.

Höhepunkt dieses einstündigen Werks ist natürlich der letzte Satz. Und hier, wo es zumeist still zugeht, kommt die ganze Klangpracht der Mezzostimme zum Tragen. Oboe und Hörner klingen prächtig in diesem Klagelied. Fahl und vibratolos beginnt die Sängerin. Ihre schöne Stimme füllt die Kirche aus. Es wird eine Reise in die Ewigkeit („ewig, ewig“), die Holzbläser spielen berückend: hier ein Englisch-Horn, dort eine Bassklarinette, und dass Clara Andrada de la Calle mal wieder grandios spielt, braucht man nicht zu erwähnen. Nun habe ich’s doch getan.

Ergreifend war der Schluss. Hätte das Konzert nicht mit zehnminütiger Verspätung begonnen, hätte man vielleicht nicht das einzige Geräusch von außen gehört (die Kirche liegt einen Steinwurf vom Hautbahnhof entfernt), nämlich eine Gruppe Jugendlicher, die ihrerseits ihre Musik mitgebracht hatten und laut waren. Dennoch hielt Ticciati lange die Spannung, und das Publikum erhob sich nahezu geschlossen.

Nun ist’s aber erstmal gut mit Mahler. Nach der zweiten in Köln und der dritten in Amsterdam, und das innerhalb von zwei Wochen, brauchen die Ohren eine Pause.

Dr. Brian Cooper, 23. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Beethoven Fest Bonn: Chamber Orchestra of Europe Robin Ticciati, Dirigent Bonn, Festivalzentrale Kreuzkirche, 22. September 2023

Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 3 Amsterdam, Concertgebouw, 17. September 2023

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 2 in c-Moll Kölner Philharmonie, 11. September 2023

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