Beim Abschlusskonzert sehr guter Schumann mit Christian Tetzlaff und eine elektrisierende Siebte von Beethoven mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Robin Ticciati
Bonn, Oper, 24. September 2023
John Luther Adams (*1953) – Ten Thousand Birds
Hector Berlioz (1803-1869) – Scène d’amour aus Roméo et Juliette op. 17
Robert Schumann (1810-1856) – Violinkonzert d-Moll WoO 1
Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Christian Tetzlaff, Violine
Chamber Orchestra of Europe
Robin Ticciati, Dirigent
von Brian Cooper, Bonn
Bereits beim Betreten des Bonner Opernhauses – das Abschlusskonzert des Beethovenfests steht an – hört man merkwürdige Klänge. Die Mitglieder des Chamber Orchestra of Europe (COE) sind überall verteilt, im Foyer wie auf der Bühne, und spielen Schräges. Hinterher stellt sich heraus: Es ist bereits das erste Werk des Abends, Ten Thousand Birds von John Luther Adams. Nicht zu verwechseln mit John Adams, dessen Shaker Loops beim gestrigen Konzert aus dem Programm verschwunden waren. Alle Instrumente imitieren, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Vogelstimmen. Ob es 10000 Vögel sind, lässt sich nicht überprüfen.
Es erinnert an das Eröffnungskonzert des vergangenen Jahres, als Musik von Louis Andriessen erklang, während das Publikum die Plätze einnahm. Unkonventionell. Und das ist ein Wort, das sehr gut zum neu ausgerichteten Beethovenfest passt. Es gibt viel Aufregendes, Neues, Unkonventionelles.
Irgendwann steht plötzlich Robin Ticciati auf dem Dirigentenpodest, das Licht wird gedimmt, und es erklingen die ersten Töne des nächsten Stücks, eines Ausschnitts aus Roméo et Juliette, der symphonie dramatique des Romantikers Berlioz, dessen op. 17 längst nicht so oft aufgeführt wird wie seine Symphonie fantastique op. 14. Das op. 17 ist ein abendfüllendes Mammutwerk, das nicht auf eine CD passt, mit großem Orchester, viel Schlagwerk, Chor, sowie Mezzosopran, Tenor und Bass.
Hier also nur ein instrumentaler Ausschnitt des Werks von 1839. Kraft, Fantasie und Leidenschaft beschwor Berlioz in seinen Memoiren herauf, um das Stück mit Worten zu beschreiben. Und in der Tat, diese intime Szene besticht durch Berührend-Zärtliches wie brodelnde Leidenschaft. Das COE spielt das A-Dur-Stück unter Ticciati anrührend.
Noch vor vierzehn Tagen spielte seine Schwester Tanja in Endenich; nun war es Christian Tetzlaff, der als Solist im selten gespielten Violinkonzert von Robert Schumann gewonnen werden konnte. Gerade im romantischen Repertoire habe ich ihn öfter erlebt, zuletzt mit dem Violinkonzert von Johannes Brahms in Köln. Tetzlaff ist ein interessanter Geiger: nicht unbedingt auf Schönklang aus – den hat er selbstredend auch im Köcher, wie man besonders in der Kantilene des zweiten Satzes hörte. Sondern insgesamt volles Risiko gehend, mit dichtem Bogenstrich und Klang. Sein Geigenton schwebt immer glasklar über dem Orchester. Es ist eine außerordentlich gute Klangbalance, und es ist eine außerordentlich gute Darbietung.
„Das Konzert wird selten gespielt“, flüstert ein älterer Herr an einer besonders leisen Stelle, der offenbar das, was ihm gerade durch den Kopf geht, absondern will. Vielleicht war es ja seine Gattin, die am vergangenen Mittwoch in Köln, als Isabelle Faust die ersten – sehr leisen – Töne des Violinkonzerts von Ligeti spielte, ebenso laut flüsterte: „Die spielt ne Schtradiwari!“ Was ist bloß los mit den alten Menschen im Rheinland?
Der wunderbare Violinenklang des Christian Tetzlaff war an diesem Bonner Abend auch solistisch zu hören, denn er gab noch die Sarabande aus der d-Moll-Partita BWV 1004 zu. Wirklich magisch waren die letzten leisen Takte. Das hinderte mitnichten den Unsympathen neben mir, schon mal sein Handy für ein Foto parat zu machen. Den Mann hatte ich schon vor Konzertbeginn ins Herz geschlossen, als er stumm blieb, nachdem ich für ihn aufgestanden war, um ihn durchzulassen.
Nach der Pause folgte Beethovens Siebte, die den vielleicht schönsten langsamen Satz des Sinfonikers Beethoven hat. Die Streicher spielten vibratoarm, die Holzbläser, grandios aufgelegt, mit Seele. Insgesamt war es eine elektrisierende Aufführung. Ich gehe weiter und sage, dass ich die Siebte vielleicht nur noch von Bernard Haitink und Yannick so gut gehört habe. Und siehe da, beide mit dem COE!
Die Funken sprühten schon im ersten Satz. Und eigentlich kann man nahtlos übergehen in den ersten a-Moll-Akkord des zweiten, was eine kontrastreiche Spannung erzeugt. Ticciati entschied sich dagegen, was lästigen Zwischenapplaus zur Folge hatte. Der Trauermarsch war aber derart berührend, dass das schnell vergessen war.
Das Scherzo habe ich immer als Antiklimax empfunden. Klar, es ist überdreht, wie es sich für ein Scherzo gehört, aber das ist der letzte Satz auch. Das Scherzo gleicht einem merkwürdigen Onkel, den man gottlob nur alle paar Jahre sieht, und der vollkommen hackedicht eine würdevolle Trauerfeier crasht. Hicks! Hier allerdings geriet der dritte Satz elegant und leichtfüßig, der Onkel war also nur angeschickert und als Gesprächspartner noch zu gebrauchen. Und sehr dialogisch ging es zu. Majestätisch das D-Dur-Trio.
Der überdrehte letzte Satz wurde sensationell. Paukist John Chimes malte förmlich jede Note, die er spielte, und es war mal wieder ein Ereignis, ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Streicher, Holz- und Blechbläser gaben alles für eine berauschende Darbietung. Das Publikum erhob sich nach einem sensationellen Abschlusskonzert.
Was sage ich denn nun meiner lieben Freundin Sabine, die sich so unbändig auf dieses Konzert gefreut hatte? Die feste Zusage eines Rollstuhlplatzes vor anderthalb Monaten war nämlich seitens des Beethovenfests wegen plötzlich auftretender „Kapazitätsprobleme“ wieder aufgehoben worden, Sabine wurde ausgeladen, was mir einigermaßen peinlich war.
Das Beethovenfest 2023 ist also, um es mit Arnold Schwarzenegger zu sagen, Histörih. Gratulation an Steven Walter und sein Team zu einem tollen Festival von dreieinhalb Wochen. Es wäre wundervoll, wenn das COE jedes Jahr für ein Wochenende nach Bonn käme. Fan des Orchesters bin ich schon seit langer Zeit. Fan von Robin Ticciati bin ich spätestens seit heute.
Dr. Brian Cooper, 25. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Beethovenfest Bonn, Konzertmarathon Bonn, 10. September 2023