Victoria Nekhaenko, ENOs The Turn of the Screw 2024 © Manuel Harlan
Bekanntlich liebte Benjamin Britten gute Gespenstergeschichten und die „gothische“ Horror-Novelle „The Turn of the Screw“ („Die Drehung der Schraube, 1881), eine der wichtigsten Erzählungen des bedeutenden amerikanisch-britischen Schriftstellers Henry James in all ihrer mysteriös-dunklen, psychologisierenden Zweideutigkeit, war für den Komponisten genau das Richtige.
Benjamin Britten, The Turn of the Screw
Oper in einem Prolog und zwei Akten
Libretto: Myfanwy Piper nach der Erzählung von Henry James
Dirigent: Duncan Ward
Regie und Bühne: Isabella Bywater
Videos: Jon Driscoll
Prolog: Alan Oke
ENO English National Opera, 11. Oktober 2024
von Dr. Charles Ritterband
Am 14. September 1954 wurde die düstere Oper im Teatro La Fenice als Auftragswerk der venezianischen Biennale uraufgeführt. Die renommierte Tageszeitung „The Guardian“ bezeichnete die Oper als eines der dramatisch wirksamsten Werke des britischen „Nationalkomponisten“ Britten – „chilling“, wie man hier sagt.
Die neue Produktion (Isabella Bywater) der wie immer kreativ-innovativen English National Opera ENO bringt Handlung und Atmosphäre des Stückes in atemberaubender Eindrücklichkeit, musikalisch hervorragend, mit durchwegs erstklassigem und perfekt wirksamen szenischen Mitteln auf die Bühne des viktorianischen Prachtbaus „London Coliseum“.
Isabella Bywater erzählt die Geschichte als gespenstisch wirkende Rückblenden in Form von Schwarzweiss-Videos aus der Sicht der Amme (gesanglich stark und getreu dem Stil Brittens: Ailish Tynan) in einem Bett einer psychiatrischen Klinik. Sie ist bemüht, die beiden Kinder (sehr beeindruckend, mit klaren, harmonischen Stimmen und erstaunlicher Energie Victoria Nekhaenko als Flora und Jerry Louth als Miles) vor den ins düstere Haus zurückkehrenden Geistern des früheren Bediensteten Peter Quint (Robert Murray) und der einstigen Kinderfrau Miss Jessel (Eleanor Dennis) zu beschützen. Quint hatte die beiden Kinder (und möglicherweise auch Fräulein Jessel) zu Lebzeiten offenbar missbraucht.
Eleanor Dennis, die direkt einer Novelle von Virginia Woolf zu entstammen scheint, singt mit beeindruckender Intensität und perfekt Stimmbeherrschung.
Der Dirigent Duncan Ward verstand es in seinem ENO-Debüt, Brittens komplexer Komposition, welche mitunter auf die Schönberg’sche Zwölftonmusik zurückgreift, harmonische Schönheit abzugewinnen, die in anderen Interpretationen allzu oft zu kurz kommt.
Das lediglich dreizehnköpfige ENO-Orchester wartete mit rhapsodisch phrasierten Soli auf, welche spannungsreich mit den im Stück gezeigten sozialen Gegensätzen kontrastieren.
Dr. Charles Ritterband, 18. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
The Governess: Ailish Tynan
Miles: Jerry Louth
Flora: Victoria Nekhaenko
Mrs Grose, Housekeeper: Gweneth Ann Rand
Peter Quint (former man-servant): Robert Murray
Miss Jessel (former governess): Eleanor Dennis
W.S. Gilbert / Sir Arthur Sullivan, Iolanthe English National Opera ENO, 7. Oktober 2023
Janine Tesori (Libretto Tazewell Thompson), “Blue” English National Opera ENO, 4. Mai 2023