Ein Russischer Abend in der Berliner Waldbühne: Kunst versus Zeitgeist

Berliner Philharmoniker, Berliner Philharmoniker Kirill Gerstein, Klavier, Kirill Petrenko, Dirigent  Waldbühne Berlin, 25. Juni 2022

Waldbühne Berlin, Foto: © Monika Rittershaus

Waldbühne Berlin, 25. Juni 2022

Anatoli Ljadow
Kikimara op.33

Sergej Rachmaninow
Konzert für Klavier und Orchester Nr.2 op.18

Modest Mussorgsky
Bilder einer Ausstellung

In der Orchestrierung Maurice Ravels

Berliner Philharmoniker
Kirill Gerstein,  Klavier
Kirill Petrenko,  Dirigent

von Peter Sommeregger

In den gegenwärtigen Zeiten, in denen der aktuelle Konflikt mit dem Despoten im Kreml wenig russland-freundliche Stimmung aufkommen lässt, setzt dieses erste Waldbühnen-Konzert Kirill Petrenkos ein bewusstes Zeichen. Die Fülle der russischen Kultur, speziell auf dem Gebiet der Musik, hat nichts, aber auch gar nichts mit jenem Mann und seinem Regime zu tun, das die Welt gerade empört.

Kirill Petrenko findet in seinem ersten Waldbühnen-Konzert zu einer klugen Ausgewogenheit des Programms. Die über 20.000 Besucher wollen schließlich auch Populäres hören, aber für Wunschkonzert-Niveau stehen dieses Orchester und ihr charismatischer Chef nicht zur Verfügung.

Zu Beginn erklingt mit Anatoli Ljadows Legende für Orchester „Kikimora“ ein weithin unbekanntes Stück, das aber originell orchestriert ist und als Einstimmung für das Publikum bestens geeignet.

Hauptwerk des Abends ist Sergej Rachmaninows zweites Klavierkonzert in c-Moll. Für den erkrankten Star-Pianisten Daniil Trifonov fand man in Kirill Gerstein einen durchaus ebenbürtigen Ersatz. Der Zufall wollte es, dass Gerstein vor Jahren sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern mit eben diesem Klavierkonzert gab. Das spätromantische, schon auf die Moderne weisende Werk ist ein wunderbares Vehikel für große Pianisten. Rachmaninow hat für sich selbst und seine späteren Interpreten einen hohen Schwierigkeitsgrad gesetzt, Gerstein gewinnt mit Souveränität und großer Virtuosität sofort die Herzen des Berliner Publikums, spätestens nach der Zugabe von Fritz Kreislers „Liebesleid“ in der Bearbeitung Rachmaninows wird er zu Recht umjubelt.

Letzter offizieller Programmpunkt sind die „Bilder einer Ausstellung“, eine Reihe musikalischer Miniaturen, die Modest Mussorgsky 1874 für Klavier komponierte, die ihre eigentliche Popularität aber erst in der 1922 entstandenen Orchesterfassung von Maurice Ravel erlangten. Das Werk gab Petrenko und seinen Spitzenmusikern reichlich Gelegenheit ihre Brillanz zu beweisen, ein wahres Feuerwerk riss das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Der letzte, prunkvolle Abschnitt des Werkes trägt die Bezeichnung „Das große Tor von Kiew“, da will man nicht mehr an einen Zufall denken. So kann eben auch Musikauswahl politisch motiviert sein.

Als Zugabe gibt es eine kleine Portion Tchaikowsky, eine Passage aus dem „Nussknacker“ rundet diesen stimmungsvollen, gelungenen Konzertabend ab, ehe die obligatorische letzte Zugabe, die „Berliner Luft“ erklingt. Kirill Petrenko huldigt bestens gelaunt dieser Berliner Tradition.

Ein tief befriedigtes Publikum spendet langen, herzlichen Applaus, ehe es sich auf den ortsbedingt mühevollen Heimweg macht.

Peter Sommeregger, 26. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jonas Kaufmann, Waldbühne Berlin

 

3 Gedanken zu „Berliner Philharmoniker, Berliner Philharmoniker Kirill Gerstein, Klavier, Kirill Petrenko, Dirigent
Waldbühne Berlin, 25. Juni 2022“

  1. Ein russisches Programm in Zeiten, in den die Russen Bomben werfen, Menschen umbringen und Weizen klauen… egal, Hauptsache Kunst. Ein Missverständnis und völliges Mangel an Empathie an Opfern des Krieges. Putin freut sich über schön beleuchtete Bühne in russischen Nationalfarben. Was wäre mit einem Konzert mit nordkoreanischen Musik?

    Kristina Kiefer

    1. Wenn Beethoven Nordkoreaner gewesen wäre, vermutlich schon…

      Auch auf die Gefahr hin, dass man das als zynisch empfinden könnte. Irgendwo auf dieser Welt hat immer irgendeine Nation, ein Volk oder eine Gruppierung anderen Leid zugefügt. Wenn man deshalb plädieren würde, Strauss, Wagner & Co. von den Spielplänen zu streichen, sollte man sich gut überlegen, was noch bleibt.

      Immerhin kann niemand behaupten, die „Klassik“ und alles, was man mit ihr assoziiert, stünde auf so felsenfesten Beinen. Der kulturelle Verfall in Hinsicht auf unsere geistigen Vorfahren breitet sich erschreckend rasch aus. Wenn man nun auch noch die wenigen Zugpferde der Branche zu demontieren versucht, weil sie in Verbindung mit Staaten stehen, die sich nicht an das Völkerrecht halten, bleibt irgendwann nicht mehr viel übrig.

      Dass die zeitliche Nähe der Ereignisse rund um die Ukraine natürlich eine Rolle spielt, steht außer Diskussion. Dennoch sollten gewisse Journalisten sich gut überlegen, ob sie weiter am Ast sägen wollen, auf dem sie eigentlich sitzen. Sonst wird’s bald ganz still.

      Wer den Artikel „Ausgerubelt“ in der Zeit (Printversion) gelesen hat, weiß wovon die Rede ist. Da versucht man Klassikfestivals zu denunzieren, die noch als letzter Anker verblieben sind, weshalb auch nur irgendein Hahn in den Alltagsmedien überhaupt nach der Klassik kräht.

      Jürgen Pathy

  2. Da machen Sie es sich ein bisschen zu leicht: pauschales Russen-Bashing bringt nichts und weder den aufgeführten Komponisten, noch den Interpreten kann man eine Nähe zu Putin und seinem Regime unterstellen. So undifferenzierte Ablehnung alles Russischen spielt nur dem Aggressor in die Hände.

    Peter Sommeregger

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