Daniel Barenboim, Martha Argerich © Stephan Rabold
Etwas hat Barenboims Altersstil für sich: In früheren Jahren drohten mit ihm häufiger die Pferde durchzugehen, nun findet er wunderbar moderate, angemessene Tempi, in denen sich vor allem das in dieser Sinfonie viel beschäftigte Blech prächtig entfalten kann, insbesondere zu Beginn des zweiten Satzes.
Großen, freundlichen Beifall gab es dafür am Ende, freilich vor allem für die enorme Lebensleistung dieses Mannes.
Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 op. 15
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 4 op. 98
Zugabe:
Johann Sebastian Bach: Gavotte aus der Englischen Suite Nr. 3, BWV 808
Berliner Philharmoniker
Daniel Barenboim, Dirigent
Martha Argerich, Klavier
Philharmonie Berlin, 24. Oktober 2024
von Kirsten Liese
Aus dem Berliner Konzertleben, dem sie seit Jahrzehnten zahlreiche gemeinsame Auftritte bescherten, lassen sich Martha Argerich und Daniel Barenboim kaum mehr wegdenken. Und doch war beim ersten der drei jüngsten, schon seit Monaten restlos ausverkauften Abonnementkonzerte mit den Berliner Philharmonikern etwas anders als sonst: Die starke innige Verbundenheit der beiden wurde diesmal weniger sichtbar.
Nacheinander traten die Beiden separat auf, ohne sich wie die letzten Male liebevoll an der Hand zu fassen und beim Gehen zu stützen. Barenboim, wacklig auf den Beinen, geht sehr langsam, sie schreitet etwas schneller voran. Einen Moment stehen die lebenden Legenden auf dem Podium nebeneinander, um den aufbrandenden herzlichen Beifall entgegenzunehmen, aber auch jetzt distanzierter als sonst. Über die Gründe möchte ich nicht spekulieren, sie tun letztlich nichts zur Sache.
Auf dem Podium herrscht dann größte Professionalität, geben sich die beiden, seit Kindheitstagen befreundeten Argentinier als das bewährte Team, als das man sie kennt.
Die etwas kleinere, verschlankte Orchesterformation für Beethovens erstes Klavierkonzert kommt ihnen sehr entgegen. Majestätisch und intimer als in Aufführungen mit vollem Apparat tönt die Introduktion zum Kopfsatz.
Überhaupt musizieren Daniel Barenboim und die Solistin sehr kammermusikalisch mit den Berlinern, so dass das Klavier noch in so leisen herrlichen Momenten wie dem ariosen Thema zu Beginn des Largos bestens zu hören ist.
Die erfahrene Kammermusikerin Argerich schaut dabei des Öfteren hinüber zu den Holzbläsern, wenn diese ein Motiv aus ihrem Part aufgreifen oder fortspinnen. So gleitet organisch eine Stimme über in die nächste.
Aber auch in ihrem eigenen Part stellt die Pianistin Rede und Gegenrede immer wieder plastisch aus. Von meinem Platz dicht am Podium kann ich gut sehen, wie sich das in ihrer Mimik widerspiegelt, wie La Martha auf das reagiert, was vom Orchester kommt oder auch von ihr selbst. Mal mit einem forschen Ausdruck, mal nachdenklich lauscht sie den Klängen nach, als wollte sie sagen „aha“, „soso“ oder „na dann“.
Die virtuosen Kaskaden im Allegro con brio, in denen anderen Pianisten ihres Alters schon einmal der eine oder andere Fehlgriff unterkommt, meistert sie unter Einsatz von Flatterpedal in Perfektion.
Das Largo gefällt mir dank Argerichs expressivem, gesanglichen Spiel am besten. Auch wenn einige Töne zu stark im Pedal verschwimmen. Vermutlich kommt da Argerichs große Vorliebe für Robert Schumann durch, in dessen romantischen Werken dem Pedal freilich eine ganz andere Bedeutung zukommt. Mein klangliches Ideal ist wohl nur noch schwerlich zu bekommen, da die wenigsten Pianisten sich auf ein Legatospiel ohne Pedal verstehen wie einst ein Walter Gieseking als Begleiter Elisabeth Schwarzkopfs bei Liedern von Mozart, wohl bemerkt auf einem modernen Konzertflügel. Ich muss gestehen: eine derart hohe Kunst habe ich seit langem nirgendwo mehr gehört. Schade.
Eine klangliche Eleganz ist hier gleichwohl zu erleben, und die von kristalliner Schönheit zeugenden Töne im Diskant, durchsetzt von irrwitzigen Trillern, erscheinen einmalig. Mehr geht nicht an feinsinniger Anschlagskultur.
Das finale Rondo meistert Argerich mit Bravour, spielt es aber für meinen Geschmack eine Spur zu schnell. Das eingängige, frische Thema des Rondos verliert in der Weise, wie Argerich es herunterfetzt, an Grazilität. Der Satz wirkt stellenweise fast atemlos. Da hat man das Gefühl, als wollte die „Löwin“, wie sie in jungen Jahren genannt wurde, noch einmal mit ihren Raubtierzähnen blecken. Nach einem solchen furiosen Auftritt wartet natürlich der Saal auf eine Zugabe.
In früheren Jahren haben die beiden Ausnahmekünstler dann meist etwas Vierhändiges dargeboten. Aber die Zeiten scheinen vorbei zu sein. Ausnahmsweise alleine kehrt La Argerich, die schon seit vielen Jahren keine Solo-Klavierabende gibt, an den Flügel zurück – für einen leichtfüßigen, intimen Vortrag der Gavotte aus Bachs dritter Englischer Suite.
Eine vergleichbar differenzierte Gestaltung seitens Dynamik und Farbe blieb in Brahms’ Vierter leider aus. Mehr oder weniger mit kleinen Ausschlägen nach unten und oben spielten die Philharmoniker sie unter Barenboim in einem gefühlt einzigen Mezzoforte.
Die Zeichensprache des 81-Jährigen hat mittlerweile minimalistische Formen angenommen, die beinahe schon an Richard Strauss erinnern, der nur kleine Bewegungen mit seinen Fingern unternahm, damit alle Musiker auf ihn schauen sollten.
Die exzellenten Berliner Philharmoniker spielen zur Not vielleicht sogar alleine, aber größere dynamische Abstufungen hätten ihnen hier und da schon gut getan.
Aber etwas hat dieser Altersstil auch für sich: In früheren Jahren drohten mit Barenboim häufiger die Pferde durchzugehen, nun findet er wunderbar moderate, angemessene Tempi, in denen sich vorzugsweise das in dieser Sinfonie viel beschäftigte Blech prächtig entfalten kann, insbesondere zu Beginn des zweiten Satzes.
Großen, freundlichen Beifall gab es dafür am Ende, freilich vor allem für die enorme Lebensleistung dieses Mannes. Trotz der genannten Abstriche, ich sagte es schon, lässt sich Daniel Barenboim schwer aus dem Berliner Musikleben wegdenken. Wie er auf seinem Stuhl wie ein Fels in der Brandung thront, alles im Blick als Souverän, tut gut. Bei schnelleren Tempi anderer Dirigenten gerät die Musik oftmals in Unordnung, dagegen offenbarte sie hier Struktur. Der Meinung, Barenboim solle nicht mehr dirigieren, möchte ich mithin doch deutlich widersprechen.
Kirsten Liese, 25. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at